Lafontaine: Deutschland soll in der Nato bleiben

■ SPD-Kanzlerkandidat stellt seine Bedingungen für die weitere Mitgliedschaft eines vereinigten Deutschlands in der Nato vor: Abzug aller ABC-Waffen, keine Nato-Truppen auf dem Gebiet der DDR, Reduktion der Streitkräfte / Parteilinke gehen in Konzept erheblich weiter

Bonn (taz) - SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine hat in Bonn ein Konzept zu den sicherheitspolitischen Aspekten der deutschen Einigung vorgestellt. Darin geht er von der Mitgliedschaft eines vereinigten Deutschlands in der Nato aus, bis ein neues europäisches Sicherheitssystem entstanden ist. Voraussetzung sei allerdings eine Änderung von Strategie und Struktur der Nato, die ihre Angriffsfähigkeit abbauen und blockübergreifende Kooperationsfähigkeit entwickeln soll. Daneben sollen alle nuklearen und chemischen Waffen aus der BRD abgezogen und auf Modernisierungen verzichtet werden. Auf dem Gebiet der DDR sollten weder Nato-Truppen noch die Bundeswehr stationiert werden, sondern übergangsweise sowjetische Truppen verbleiben. Letzteres ist in der SPD unumstritten und wird auch von Teilen der Union und der FDP vertreten.

Außerdem fordert Lafontaine eine schrittweise Halbierung der beiden deutschen Streitkräfte sowie den Verzicht einer gesamtdeutschen Regierung auf ABC-Waffen. Bereits jetzt sei die erhebliche Verringerung der Personalstärke der Bundeswehr, die Reduzierung der Wehrpflicht auf zwölf Monate, der Verzicht auf Großmanöver und Tiefflugübungen sowie der Stopp von Jäger 90 und anderen Großwaffensystemen überfällig, erklärte Lafontaine.

Der Kanzlerkandidat zeigte sich optimistisch, daß die Nato entsprechend deutschen Wünschen in eine abrüstungsfähige politische Organisation umgewandelt werden könnte. Es sei zwar wünschenswert, direkt von der jetzigen Blockkonfrontation in ein neues Sicherheitssystem zu gelangen, doch ebenso unrealistisch, fügte der SPD -Sicherheitspolitiker Ehmke hinzu. Auf dem Wege dorthin müßten im Rahmen der KSZE Bausteine für ein neues Sicherheitskonzept geschaffen werden. Dazu sollten eine Agentur zur Abrüstungskontrolle, Schaffung eines europäischen Sicherheitsrats, eines Organs zur Streitschlichtung wie auch der Aufbau multinationaler Brigaden gehören.

In der SPD-Bundestagsfraktion hatte Lafontaine am Dienstag abend sein Konzept vorgestellt. Bei einer Abstimmung gab es rund ein Drittel Gegenstimmen und Enthaltungen. Die Abgeordnete Wieczorek-Zeul legte ein Gegenkonzept vor, daß wesentlich weitgehendere Forderungen als Lafontaine an ein befristetes Verbleiben eines vereinigten Deutschlands in der Nato stellt. So fordert sie auch die Aufgabe der Streitkräfteintegration und des gemeinsamen Oberkommandos. Frau Wieczorek-Zeul vertritt außerdem, daß bereits in der Verfassung eines vereinigten Deutschlands die Übertragung der Außen-, Sicherheits- und militärpolitischen Kompetenz an einen europäischen Bundesstaat enthalten sein muß.

gn