: Kraftlose Einigkeit
Solidarnosc-Kongreß drückt sich um Grundsatzentscheidungen ■ K O M M E N T A R E
Vielleicht drückt das unspektakuläre Ende des Solidarnosc -Kongresses in Danzig das Ende eines langen Weges einer Gewerkschaftsbewegung aus, die ihre wesentlichen politischen Ziele in der Gesellschaft durchgesetzt hat. Anders als beim letzten Kongreß 1981 gab es diesmal keine emotionsgeladenen Rededuelle, keine Kulissenkämpfe und keine Kampfabstimmungen. 1981 noch war Solidarnosc eine mächtige Volksbewegung gewesen, die alle Stömungen in sich vereinigte, die gegen das totalitäre Regime ausgerichtet waren. Heute ist Solidarnosc zu einer von drei Gewerkschaftsbewegungen in Polen geschrumpft. Und dabei nicht einmal die Größte. So ist es nicht verwunderlich, wenn sich viele Delegierte vom Kongreß erhofften, daß Lech Walesa die Gewerkschaft wieder zu neuem Glanz führen könnte. Doch die Einigkeit, von der auch das Wahlergebnis für Walesa zeugt, bedeutet keine Stärke mehr.
Manche haben eingesehen, daß die Schwäche der Gewerkschaft inzwischen unvermeidlich ist. Mehr Einfluß durch Entpolitisierung oder durch Einflußnahme auf Parlament und Regierung - der Streit zwischen diesen beiden Konzeptionen, der so alt ist wie die Gewerkschaft, wurde auch in Danzig nicht entschieden. Denn weder kann und will Solidarnosc der Regierung den Rücken kehren noch sich von den Bürgerkomitees trennen. So blieb nur der halbherzige Beschluß, künftig nicht mehr unter dem Namen Solidarnosc eigene Kandidaten bei den Wahlen aufzustellen, also auf die direkte politische Repräsentanz zu verzichten.
Doch gelang es nicht, das gewerkschaftliche Element stärker zu betonen. Viele fragten sich, warum Wladyslaw Frasyniuk, der Chef der mitgliederstarken niederschlesischen Organisation, nicht gegen Walesa antrat. Frasyniuk hätte nämlich ein Symbol für einen gewerkschaftlichen Neubeginn sein können. Doch er wagte diesen Schritt nicht. So bleibt alles beim alten: Solidarnosc wird der Regierung weiterhin gemässigt gegenübertreten, wird in den Betrieben die Regierung unterstützen und weiterhin Mitglieder und an Bedeutung bei den Arbeitern verlieren. So bleibt nur noch die Hoffnung, daß Walesa als Gegenkandidat zu Staatschef Jaruzelski Präsident wird. Doch was dann aus der Gewerkschaft wird, ist offen. Einst war es die Gewerkschaft, die Walesa trug. Heute zehrt sie vom Ansehen ihres Vorsitzenden. Und vielleicht noch von den Symbolen, die Zbygniew Bujak zusammenfaßte: das Eintreten für die Freiheit, die Solidarität, die Toleranz und die Gewaltfreiheit.
Klaus Bachmann
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