„Die Welt ist nicht die Erde“

■ Von Schwerelosigkeit und Muskelschwund / Vier „Space-Cowboys“ aus der UdSSR, der BRD, Amerika und der DDR erzählten in der Urania, was los ist im All / Zwanzig Millionen Dollar pro Person für einen Trip / In Zukunft auf zum Mars

Schöneberg. „Am ersten Tag suchst du noch dein Land, am zweiten Tag deinen Kontinent, aber am dritten hast du nur noch Augen für die ganze Erde.“ In diesem Satz eines sowjetischen Kosmonauten spiegeln sich Empfindungen und Veränderungen im Bewußtsein jedes Raumfahrers wider. Der sowjetische Kosmonaut Alexander Iwantschenkow, der amerikanische Astronaut Dr. Walter Cunningham, der bundesdeutsche Astronaut Professor Dr. Furrer und der legendäre „erste Deutsche im All“, Dr. Sigmund Jähn, berichteten gestern im großen Saal der Urania über solche und andere Erlebnisse im interplanetaren Raum.

Die Unendlichkeit des Universums, der Durchflug des erdnahen Gravitationsfeldes, der megaschnelle Einbruch in die unbekannte Dunkelheit, nimmt starken Einfluß auf die Psyche eines Menschen. Obwohl der Flug selber und der Aufenthalt im All viele Streßmomente, angestrengte Arbeit und beinah keine Freizeit ausmacht, wirkt dieses Erlebnis noch lange auf der Erde nach. „Es gibt dann diesen innerlichen Drang, wieder dahin zurückzukehren“, wie Iwantschenkow es beschreibt. Er selber hat 1978 fünf Monate in der sowjetischen Raumstation Salut 6 die Erde umkreist. Auf die bei Langzeitflügen oft vermutete Entfremdung von der Erde angesprochen, schüttelt er den Kopf. „Auf der Erde denkst du immer an den Flug, während des Fluges immer an die Erde.“ Der Kontakt reißt ja trotz der Entfernung nie ab. Ständige Funkverbindungen mit den Kontrollstationen und der Blick aus dem Bullauge lassen das Gefühl für Mutter Erde nicht erfrieren. Außerdem bestimmt sie auch im All den Rhythmus der Wahrnehmung. Eine Erdumrundung dauert anderthalb Stunden, d.h. es ist 55 Minuten hell, dann 35 Minuten dunkel, und das sechzehnmal am Tag.

Das anstrengendste, weil für den Körper ungewohnteste, ist zweifellos die Schwerelosigkeit. „Früh aufzustehen und seine Hose dreidimensional zu suchen“, ist dabei noch der geringste Streß. Größer sind die Probleme, die das Gehirn mit der ungewohnten Situation bekommt. Es versorgt die jetzt unbelasteten Teile des Körpers, wie Beine und Füße, nicht mehr wie gewohnt mit Blut und verknappt die Calziumzufuhr der Knochen. Die Muskelmasse verringert sich um ein Viertel. Sport im Raumschiff steht deshalb alle zwei Stunden auf dem Programm. „Das Problem mit der Schwerkraft ist nicht, daß sich der Körper schnell daran gewöhnt, sondern im Gegenteil, er darf es gar nicht“, klärt Iwantschenkow auf. Denn die Rückfahrkarte ins Gravitationsfeld der Erde ist ja fest gebucht.

Ob es bald Raumflüge im Reisebüro zu kaufen gibt, verneinten alle vier. Theoretisch ist es zwar für jeden möglich, aber vor allem eine reine Kostenfrage. Zwanzig Millionen Dollar und mehr würde die Flucht ins „Nichts“ kosten.

Die Weltschmerzfraktion im Publikum kam beim Geld auch gleich auf die Sinnfrage nach gigantischen Weltraumprojekten. Warum Milliarden durch die Sterne jagen, wenn Millionen hungern, stand als Frage im Raum. Vielleicht ist es der Erlebnisentzug, der viele gerade bei diesem Thema über Geldverschwendung zuungunsten der Armen dieser Erde sinnieren läßt. Raumfahrt ist für viele nicht faßbar, weil nicht selbst miterlebbar. Anders als bei Sport z.B., der ebenfalls enorme Kosten verursacht und trotzdem nicht mit „entweder oder“ diskutiert wird.

Der Amerikaner Cunningham brachte als Beispiel für direkten Nutzen einen Fall aus Indien ins Gespräch. Dort tobte 1977 an der Westküste ein Zyklon, der 25.000 Menschenleben forderte. Zehn Jahre später konnte durch vorab gewonnene Informationen eines Wettersatelliten die Menschen evakuiert werden, und die Opferzahl betrug nur 25 Menschen. Prof. Furrer wies auf die durch die TV und Nachrichtensatelliten erreichten immensen Fortschritte in der Kommunikationstechnologie hin. Diese Entwicklung hat seiner Meinung nach dazu geführt, die Gesellschaftssysteme insgesamt transparenter und damit kontrollierbarer werden zu lassen.

Alle vier brachten als Argument für die Raumfahrt den alten Drang der Menschen, Unbekanntes zu erforschen. Selbst an den eigenen Ursprung der Entstehung vorzudringen, sich als Teil eines Ganzen zu erkennen, könnte dazu beitragen, daß der Mensch sich in der richtigen Relation zum Universum begreifen lernt. „Die Welt ist nicht die Erde“, wie Furrer es nennt.

Ein wichtiger Schritt dahin wurde am Dienstag getan. Das „Habbel-Teleskop“ wurde 600 Kilometer über der Erde im Weltraum stationiert. Das bis heute modernste und mit 1,5 Milliarden Dollar teuerste Einzelobjekt, das jemals die Erde verließ, kann 10 Milliarden Lichtjahre weit, an den Anfang unserer Zeit blicken. Damit könnte die Theorie vom „Urknall“ bestätigt oder verworfen werden.

Wann der jetzt schon legendenumwobene Flug zum Mars stattfindet, konnte keiner genau sagen. „2010 oder später“, meinte der Amerikaner. Zehn Monate bräuchte man alleine für den Hinflug. Die Kosten müßten allerdings von mehreren Nationen getragen werden. Dafür, meinte Sigmund Jähn, waren die Voraussetzungen noch nie so gut wie heute.

Thorsten Preuß