Schmeißt mit Ideen!

■ Brigitte Landes: „Es gibt keinen Hund. Das futuristische Theater“

Brigitte Landes hat ihr Buch, in dem sie 61 theatralische Synthesen des Futurismus herausgegeben und mit einem ausführlichen Nachwort versehen hat, Es gibt keinen Hund genannt. Dieser zunächst unverständliche Titel erklärt sich bei weiterem Eindringen von selbst, denn das Stück, dem er entliehen ist, liest sich wie die Essenz des futuristischen Theaters: „Personen: Der den es nicht gibt. / Eine nächtliche Straße, Kälte, Leere. / Ein Hund überquert die Straße. / Vorhang.“

Stücke wie dieses sind weder spielbar noch abendfüllend und führen die Hoffnung des feingemachten Publikums auf sinngebende Unterhaltung oder verträglich dargebrachte Kritik ad absurdum. Statt dessen wurde es beschimpft und mit Dialogen konfrontiert, die auch den avantgardistischsten Zuhörer beim besten Willen überfordern. Aber gerade der Angriff, das Unverständliche zielen paradoxerweise auf Kontakt, auf ein Mit- und Neudenken des Publikums: „Schmeißt mit Ideen statt mit Tomaten, Idioten!“

Das Absurde spielt eine wichtige Rolle im Theater der Futuristen. Es vor allem ist Träger ihres Protestes gegen das erdrückende Gewicht einer längst zum Bildungskanon erstarrten Kunst, die die moderne Lebensrealität weder spiegelt noch beschwichtigt, sondern mit der Proklamation höherer Wahrheiten verleugnet.

Demgegenüber versuchen die Futuristen ihre Gegenwart auf die Bühne zu bringen. Wie an den von Brigitte Landes herausgegebenen Texten immer wieder deutlich wird, haben sie ihr Anliegen nicht nur inhaltlich, sondern auch formal verwirklicht. Formal: Die Futuristen liebten das zeitgenössische Variete wegen seiner unmittelbaren Lebensnähe und gestalteten ihre Stücke kurz wie Auftritte auf dessen Bühne. Synthesen genannt, stellen sie wie aufblitzende Scheinwerfer Situationen oder Gefühle in Szenen dar, die zu wenigen Worten oder Gesten verdichtet wurden. Inhaltlich: In den Synthesen geht es um die Kehrseite der stilisierten Kunstwelt: um Huren und Irre, um Mord und Inzest, um die Verlogenheit der Liebe und die unverklärte Häßlichkeit der Armut, aber auch um die wachsende Bedeutung von Traum und Unbewußtem, von Kraft, Geschwindigkeit, Elektrizität.

Zum größten Teil sind die Theaterstücke der Futuristen heute vergessen; allenfalls ihre Manifeste sind noch bekannt. Brigitte Landes hat ihrer Sammlung die vier bekanntesten beigefügt und ihr durch den Nachwort, Bibliographie und Worterklärungen etc. umfassenden Arbeitsteil eine solide Grundlage verliehen, die eine Verständnishilfe für die teils eher kryptisch anmutenden Stücke bereitstellt. Die Texte, die sie dem Leser erstmals in deutscher Übersetzung zugänglich macht, sind witzig oder provokativ, machen nachdenklich oder bleiben unverständlich stehen in unmittelbarer Nähe zum italienischen Faschismus oder verarbeiten die neuesten Erkenntnisse von Wissenschaft, Technik und Psychoanalyse. Immer geht es ihnen darin um die Auseinandersetzung mit der Gegenwart; darum, das Theater aus dem Ghetto des Dekorativen oder Erhabenen herauszuführen und für die Lebensrealität relevant zu machen. Stücke sind dabei entstanden, die von politischer Propaganda teils nicht zu unterscheiden sind und deren Kunstwert manches Mal hinter der Aussage zurückbleibt. Stücke aber auch, die mit großer Sensibilität die Rohheit des menschlichen Umgangs aufarbeiten oder die Verlorenheit des Individuums inmitten des technischen Fortschritts darstellen. Stücke, denen die Zielsetzung, ihre Gegenwart kritisch abzubilden, gelungen ist.

Katharina Kaspers

Es gibt keinen Hund. Das futuristische Theater - 61 theatralische Synthesen und 4 Manifeste. Übersetzt und herausgegeben von Brigitte Landes; edition text + kritik, 223 Seiten, 42 DM.