Bonn plant deutsch-deutsches Schiedsgericht

Neue Fassung des Staatsvertrags / Gremium soll über Streitigkeiten bei der Vertragsdurchführung entscheiden / Entwurf sieht Vorrang des Abkommens vor Verfassungsbestimmungen der DDR / Rentner, die in die BRD übersiedeln, bekommen nur noch die DDR-Rente  ■  Von Matthias Geis

Berlin (taz) - Die Bundesregierung plant zur Schlichtung künftiger Staatsvertragsstreitigkeiten mit der DDR die Schaffung eines gemeinsam zu besetzenden Schiedsgerichtes. Das geht aus der jüngsten, auf 26 Seiten eingedampften Fassung des Bonner Entwurfs zum Staatsvertrag vom 24. April hervor. Dem Schiedsgericht ist ein gemeinsamer Regierungsausschuß vorgeschaltet, in dem Fragen der Vertragsdurchführung verhandelt werden. Wenn „Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung“ des Vertrages in diesem Ausschuß nicht beigelegt werden, wird das Schiedsgericht damit befaßt. Jeder Vertragspartei soll das Recht eingeräumt werden, Konflikte vor das Schiedsgremium zu bringen.

Das Gericht besteht nach Artikel 6 (2) aus einem Präsidenten und vier paritätisch zu besetzenden Mitgliedern, die spätestens einen Monat nach Inkrafttreten des Vertrags von den Regierungen benannt werden. Dem Präsidenten kommt bei der Auflösung von Pattsituationen die Schlüsselrolle zu. Er soll von beiden Regierungen „einvernehmlich“ bestimmt werden.

Im Falle, daß man sich nicht auf eineN KanditatIn einigen kann, ist ein anderes Ernennungsverfahren vorgesehen. Welcher Seite dann die Entscheidung zusteht, läßt sich ahnen, ist aber im Vertragsentwurf noch durch Auslassungszeichen offengelassen.

Neben dieser Neuerung, die auf die Bonner Erwartung fortdauernder Meinungsverschiedenheiten zwischen den künftigen Vertragspartnern hindeutet, umfaßt der Entwurf ein umfangreiches Paket an Detailbestimmungen über aufzuhebende DDR- und einzuführende Bundesgesetze. Während die Ostberliner Koalitionsvereinbarungen noch davon ausgehen, daß im Zuge des Einheitsprozesses auch gesetzliche Veränderungen für die Bundesrepublik - einschließlich des Grundgesetzes - anstehen, ist im Staatsvertrag davon nicht die Rede. Lediglich wo es um Kompetenzerweiterungen, beispielsweise der Bundesbank, geht, sieht Bonn Änderungsbedarf auf seiner Seite. Ansonsten gilt die Dominanz des Staatsvertrages. So heißt es in Artikel 31 unter „Vorrang des Vertrages“: „Beide Vertragsparteien sind sich darüber einig, daß dieser Vertrag (...) entgegenstehendem Recht einschließlich (bisherigem) Verfassungsrecht der Deutschen Demokratischen Republik vorgeht.“

Da im Staatsvertrag die Wirtschafts- und Arbeitsrechtsordnung der DDR an die bundesdeutsche angepaßt wird, betrifft dieser formal für beide Seiten geltende Passus faktisch nur die DDR. Für die Bundesrepublik bedeutet er eine Rückversicherung: Sollten die Bonner Experten bei der Durchforstung der DDR-Gesetzesbücher den einen oder anderen unvereinbaren Paragraphen übersehen haben, wird dieser per Artikel 31 hinfällig. Selbst Bestimmungen aus der Verfassung der DDR können so per Staatsvertrag außer Kraft gesetzt werden.

Von Artikel 31 dürfte auch die zukünftige gesetzgeberische Souveränität der Volkskammer und die im Koalitionsvertrag angekündigte „Gestaltung der Verfassung“ auf der Grundlage des Runder-Tisch-Entwurfes betroffen sein. Auch bleibt fraglich, ob das von der Regierung angekündigte Eigentumsrecht, das etwa den Erwerb von Grund und Boden für Gebietsfremde einschränkt, den Bestimmungen des Staatsvertrages standhält.

Eine unangenehme Überraschung hält der Entwurf auch für diejenigen RentnerInnen bereit, die trotz oder wegen der jüngsten Entwicklung an eine Übersiedlung in die Bundesrepublik denken. Wurden ihre Rentenansprüche im Falle des Staatenwechsels bisher von den bundesdeutschen Rentenkassen auf BRD-Niveau ausbezahlt, wird ihre Rente künftig zwar immer noch in „harter“ Mark, jedoch nach den Vorschriften der DDR-Versicherungsträger berechnet. Da das zu erwartende Rentenniveau der DDR beträchtlich unter dem bundesdeutschen liegen wird, kommt diese angestrebte Regelung für viele RentnerInnen faktisch einer Umzugssperre im „einig Vaterland“ gleich.