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Tarifgegner beschwören Kampfbereitschaft

Am Samstag endet die Friedenspflicht im Metallbereich / IGM-Vorstand zieht sich in Klausur zurück / Für Dienstag ist zu Warnstreiks aufgerufen / Signal aus den Betrieben: „Wir sind streikbereit“ / Arbeitgeber haben bundesweite Aussperrungen angedroht  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Zwei Tage vor Ende der Friedenspflicht im Metallbereich am 28. April waren die Spitzenfunktionäre der Industriegewerkschaft Metall an ihren Arbeitsplätzen nicht zu erreichen. Der Vorstand der Metallgewerkschaft hat sich angesichts der festgefahrenen Fronten im Tarifkonflikt der Metallindustrie nach Bad Nauheim zu einer Klausur zurückgezogen. Denn pünktlich zum 1. Mai tritt die Auseinandersetzung in ihre entscheidende Phase.

Nach wie vor stehen sich die Positionen unvermittelt gegenüber: Die IG Metall fordert die 35-Stunden-Woche, Lohnerhöhungen von 8,5 bzw. 9 Prozent und die Sicherung des freien Wochenendes. Die Arbeitgeber erklärten sich lediglich bereit, 1993 über weitere Arbeitszeitverkürzungen zu verhandeln.

Zunächst sieht alles danach aus, als steuere der Konflikt auf einen Arbeitskampf zu. Beide Parteien beschwören ihre Kampfbereitschaft. Während die IG Metall für Dienstag sowohl in Baden-Württemberg wie auch in den norddeutschen Tarifbezirken zu eintägigen Warnstreiks aufgerufen hat, kündigten die Arbeitgeber für den Fall eines Arbeitskampfs bundesweite Aussperrungen an. Die Klausur der IGM -Spitzenfunktionäre wird unter anderem der Frage gelten, inwieweit die Mobilisierung in den Betrieben dieser massiven Einschüchterung der Arbeitgeber standhalten kann. Durch die 1986 von der Bundesregierung durchgesetzte Novellierung des Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes erhalten kalt Ausgesperrte außerhalb der Streikgebiete keinerlei Unterstützungen vom Arbeitsamt.

Außerdem wird die Gewerkschaft in Bad Nauheim ihren Fahrplan für die kommenden Wochen festlegen. Einige Termine stehen schon fest: Die Friedenspflicht endet an diesem Wochenende. Die nächste Verhandlungsrunde im wichtigen Tarifbezirk Nordwürttemberg-Nordbaden findet am kommenden Donnerstag statt. Die IG Metall hat für Dienstag in mehreren Tarifbezirken zu Warnstreiks aufgerufen, was die Arbeitgeber mit der Drohung nach Regreßforderungen beantworteten. Sollte bei der Verhandlungsrunde am 3. Mai erwartungsgemäß keine Einigung zustandekommen, wird die Tarifkommission der IG Metall Baden-Württemberg das Scheitern der Verhandlungen erklären. Am 8. Mai soll dann in einer Vorstandssitzung der Gewerkschaft über Urabstimmung und Streik entschieden werden. Die Urabstimmung wäre dann Mitte Mai, Streikbeginn dann in der dritten Maiwoche.

Sollte es zum Streik kommen, werden die daran Beteiligten vermutlich größere Opfer bringen müssen als in früheren Auseinandersetzungen. Schon bei den für Dienstag angesetzten Warnstreiks wird es nach Ankündigungen der Gewerkschaft kein Streikgeld geben. Bis zu 400 Mark, so der Stuttgarter Bezirksleiter Walter Riester, werden die Metaller sich ihre Beteiligung an der Aktion kosten lassen. Bei Daimler, einem der ins Visier genommenen Streikbetriebe, werden an diesem Tage rund 1.000 Luxuskarossen weniger vom Band laufen.

Dennoch signalisieren die IGM-Bezirke Kampfeslust. Aus Bayern heißt es: „Wir sind streikbereit“. Auch aus Norddeutschland wird gemeldet, in den Belegschaften wachse die Empörung über die unnachgiebige Haltung der Unternehmer. Die Weigerung der Arbeitgeber, jetzt über Arbeitszeit zu verhandeln, konterte ein Sprecher der IGM mit einer eindeutigen Festlegung: der Stuttgarter Bezirksleiter Walter Riester werde „keinen Vertrag unterschreiben, der nicht die 35-Stunden-Woche enthält“.

Einigkeit besteht zwischen den Arbeitgebern von Gesamtmetall und der Gewerkschaft nur in einem Punkt: Nach vier Monaten vergeblicher Verhandlungen sieht man auf beiden Seiten keinen Sinn darin, nach einem eventuellen Scheitern noch ein Schlichtungsverfahren einzuleiten. In fünf Betrieben hat die Gewerkschaft bereits Erfolg gehabt: in Firmentarifverträgen vereinbarte sie für nächstes Jahr die Verkürzung der Wochenarbeitszeit (derzeit 37 Stunden) auf 36, für 1992 auf 35 Stunden. Die Arbeitgeber haben ihre abtrünnigen Unternehmerkollegen mit Verbandsausschluß bestraft.

FREITAG, 27/4/90BRD7

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