Volkskammer gegen neue Verfassung

Verfassungsentwurf des Runden Tisches wird nicht mal im Ausschuß diskutiert / Meckel (SPD): Weder Ja noch Nein zur Nato / Diestel (DSU) will mit Bürgerkomitees zusammenarbeiten / Botschafterjobs zu vergeben  ■  Aus Ost-Berlin Walter Süß

„Sie kastrieren sich selbst als Parlament!“ Der empörte Ausruf des PDS-Abgeordneten Uwe-Jens Heuer galt der Ablehnung der Volkskammermehrheit, den Verfassungsentwurf des Runden Tisches auch nur im Ausschuß zu diskutieren. Mit einer Mehrheit von 179 zu 167 Stimmen wurde von konservativen und liberalen Parteien ein Vermittlungsvorschlag der SPD-Fraktion, im Ausschuß ohne inhaltliche Festlegung wenigsten darüber zu debattieren, abgeschmettert.

Das „Bündnis 90“ hatte zuvor den Antrag gestellt, der Verfassungsausschuß solle beauftragt werden, „ein Gesetz zu erarbeiten, ...auf Grund dessen der...Entwurf einer neuen Verfassung der DDR als vorläufiges Grundgesetz der DDR für die DDR in Kraft gesetzt“ wird. Eine öffentliche Diskussion und eine Volksabstimmung am 17. Juni sollten folgen. Der Stellvertretende Volkskammerpräsident Ullmann (Bündnis 90) hatte zuvor noch einmal ausgeführt, daß ein Zustand, in dem sich Teile der Regierungskoalition nicht an die Verfassung gebunden fühlen und das Parlament „mühsam von Verfassungsänderung zu Verfassungsänderung stolpert“, untragbar sei. Schließlich und endlich sei eine neue DDR -Verfassung auch dafür notwendig, daß es zu einem gleichberechtigten Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten kommen kann.

Die Argumente der konservativen und der liberalen Parteien wiederholten in abgekürzter Form das wenige, was von ihrer Seite schon bei einer aktuellen Stunde zu diesem Problem ausgeführt worden war: Die Zeit sei dafür zu knapp, das Ganze würde zu viel Energie kosten.

Der Abgeordnete Becker (CDU/DA) warnte, daß dann der Staatsvertrag „nicht rechtzeitig“ unterschrieben werden könne, der doch das „einzige Mittel (sei), eine Verelendung der DDR zu verhindern“. Seine Plädoyer, die bestehende Verfassung „paketweise zu verändern“, brachte ihm vom Bündnis den Zwischenruf ein: „Sie sollten zur Post gehen!“ Dort - könnte man einwenden - muß freilich sorgfältiger gearbeitet werden.

Schon zu Beginn der Volkskammersitzung war es bei der Befragung einzelner Minister zur Aspekten der Regierungserklärung zu teilweise hitzigen Debatten gekommen. Außenminister Meckel (SPD) sprach zu der - in der Regierungserklärung offen gelassenen - Frage einer Nato -Mitgliedschaft des vereinten Deutschland: „Die einen sagen ja, die anderen sagen nein, ...und es hilft nicht weiter. Deshalb ist es unsere Politik, hier nicht in das klare Ja und auch nicht in das definitive Nein einzustimmen, sondern zu fragen: „Worum geht es eigentlich?“ Es geht, meinte er, um ein „gesamteuropäisches Sicherheitssystem“. Da das aber ganz so schnell nicht kommen wird, wolle man zwar nicht in die Nato, das ist „nicht unser Ziel“, aber wahrscheinlich wird man doch müssen. Doch nur in einer veränderten Nato, die auf flexible response, Vorneverteidigung u.ä. verzichtet hat. Wie diese Veränderungen in der Nato durchzusetzen seien, auf diese Frage einer PDS-Abgeordneten, gab der Minister keine Antwort.

Meckel verlieh in seiner Rede der Volkskammer eine neue Funktion: als Stellenmarkt für Botschafter. Die DDR -Botschafter sind bekanntlich alle noch von der SED eingesetzt worden, die Regierungsparteien haben keine neuen Leute. So richtete der Außenminister an die Zuschauer draußen im Lande den Aufruf, daß die Zuhörer, „die dies hören und sich sagen: das traue ich mir, sich durchaus anbieten“ sollten.

Innenminister Diestel (DSU) trat in seinem Beitrag Vermutungen entgegen, er wolle die alten Stasi-Strukturen nutzen, um einen neuen Geheimdienst aufzubauen. Es gebe dafür keinerlei „Handlungsbedarf“. Er dankte den Bürgerkomitees, mit denen er auch künftig zusammenarbeiten wolle, für ihre „historische Leistung“. Entschieden wandte sich Diestel auch dagegen, „daß diese (Stasi-)Akten, bundesdeutschen Organen zur Verfügung gestellt werden“. Das sei „ein Problem der DDR“, das von ihr allein bewältigt werden müsse.