Blüms Besinnung

■ Niemand holzte im Wahlkampf heftiger als Norbert Blüm

Norbert Blüm erreichte die Nachricht vom Attentat auf Lafontaine am Mittwoch abend während einer Veranstaltung der CDU mit Düsseldorfer Journalisten. Blüm war sprachlos, irritiert, tief betroffen und brach die Parteiveranstaltung sofort ab. In einer später verbreiteten Stellungnahme erklärte der Rau-Herausforderer wörtlich: Das Attentat müsse „jederman zur Besinnung rufen, daß Wahlkampf nie in Feindschaft ausarten dürfe. Die Achtung der menschlichen Person ist das höchste Gut“.

Tatsächlich hätte niemand mehr Anlaß zur Besinnung als Blüm selbst. Kein anderer CDU-Politiker hat den saarländischen Ministerpräsident in den vergangenen Monaten so scharf, ja teilweise rüde angegriffen, wie der Wahlkämpfer Blüm. Nach der Saarlandwahl warf Blüm Lafontaine vor, er habe mit einem „organisierten und blindwütigen Egoismus“ Sozialneid gegenüber den Übersiedlern geschürt und die Parolen der Republikaner „übernommen“ und „verinnerlicht“. In Bezug auf die Deutschlandpolitik bilde Lafontaine „ein republikanisches Extrem“. Im Bundestag nannte Blüm den Saarländer „einen eiskalten Egoisten“ und „Erfüllungsgehilfen der SED“.

Die Frage stellt sich, ob man solche Formulierungen noch unter dem Oberbegriff „kräftige Wahlkampfsprache“ abbuchen kann, oder ob da nicht schon längst die Grenze zur Denunziation überschritten ist? Noch am Mittwoch abend wählte Blüm eine Formulierung, ein gedankenloses Bild, das zu zitieren einem heute kaum erlaubt scheint, das aber ohne den Anschlag auf Lafontaine in jedem Feature über die Endphase des Wahlkampfes aufgetaucht wäre. „Die Wunderwaffe Lafontaine“, so Blüm am Mittwoch zur Illustration des vermeintlichen CDU-Aufschwungs, „erweist sich ja mehr und mehr als Rohrkrepierer.“ Heute wird ihm diese Formulierung leid tun, aber viel Hoffnung besteht nicht, daß die Politiker in Wahlkampfzeiten - nicht nur Blüm - tatsächlich zur geforderten „Besinnung“ kommen und dem Drang zur sprachlichen Entgleisung endlich nicht mehr nachgeben. Am Donnerstag sagte Blüm als „Zeichen seiner tiefen Betroffenheit“, wie es in einer Erklärung hieß, alle Wahlkampftermine ab. Der Generalsekretär Helmut Linssen empfahl seiner Partei, es dem Vorsitzenden gleich zu tun.

Walter Jakobs