Frau aus Heppingen wollte in die Presse

■ Lafontaine-Attentäterin soll in die Psychiatrie eingeliefert werden / Der SPD-Kanzlerkandidat ist seit gestern morgen außer Lebensgefahr / Ohne die Notärzte vor Ort wäre das Attentat „wahrscheinlich anders ausgegangen“ / Halsschlagader wurde nur um Millimeter verfehlt

Köln (taz) - Oskar Lafontaine hat nur um Haaresbreite überlebt - seit gestern früh ist der SPD-Kanzlerkandidat außer Lebensgefahr. Die 42jährige Attentäterin Adelheid Streidel hatte Lafontaines Halsschlagader mit einem Brotmesser nur um Millimeter verfehlt. Der Kampf um sein Leben wäre ohne die ärztliche Versorgung vor Ort wegen seines hohen Blutverlustes „wahrscheinlich anders ausgegangen“, sagten beteiligte Notärzte.

Reinhard Fischer, Leiter bei der Kölner Kripo, vernahm die Täterin gestern sieben Stunden lang. Nach seiner Darstellung hatte Adelheid Streidel bereits seit Weihnachten 1989 den Plan, einen Politiker zu töten. Die Vorbereitungen für ihre Tat begann sie vor vierzehn Tagen. Sie kaufte zwei Messer. Am Mittwoch fuhr sie allein mit einem Taxi nach Köln -Mülheim, wo sie zweieinhalb Stunden vor der Veranstaltung ankam und zwei Blumensträuße kaufte. Um 17 Uhr setzte sie sich auf ihren Platz in der zweiten Reihe der Stadthalle. Nach einem mißlungenen Versuch unmittelbar nach der Rede Lafontaines gelang es ihr im Gefolge von Journalisten im Aufbruchsgewühl auf die Bühne zu kommen. Sie gab Lafontaine einen Blumenstrauß mit den Worten: „Ich möchte Ihnen ein paar Blumen überreichen, weil ich Sie sehr verehre.“ Sekunden nachdem sie ihm ihr Notizbuch zum Signieren vorgelegt hatte, stach sie zu.

Über das Motiv ihrer Tat befragt, sagte Streidel: „Ich wollte Lafontaine töten, damit ich vor Gericht gestellt werde und das in die Presse kommt. Es war eine private, politische Entscheidung. Ich wollte ein Signal setzen.“ Es gebe in der Welt, so die Attentäterin weiter, „unterirdische Fabriken, in denen Menschen körperlich und geistig umgeformt werden“. Dies geschehe mit Wissen der Politiker. Im Verlauf der Vernehmung gab Streidel weiter an, sie habe erst auf der Bühne entschieden, das Messer gegen Lafontaine zu richten: „Ich wollte einen töten, Rau oder Lafontaine.“

Der leitende Oberstaatsanwalt, Dr. Helmut Schäfer, stellte gestern den Antrag, Adelheid Streidel einstweilen in einer geschlossenen Psychiatrie unterzubringen, da sie vermutlich nicht schuldfähig sei.

In ihrem Heimatort Heppingen lebte Adelheid Streidel zurückgezogen. Niemand im Dorf scheint sie gut zu kennen. Es könne über sie nichts Schlechtes gesagt werden, heißt es in der Nachbarschaft. Sie sei höflich und zuvorkommend.

bm Tagesthema Seiten 2 und 3

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