piwik no script img

Wunschloses Sehen

■ WOLS in der Kunstsammlung Düsseldorf

Die Bilder sind klein. Rührend klein in dem glänzend polierten schwarzen Ozeandampfer, der Kunstsammlung heißt; erschreckend klein, hat man nur Reproduktionen der Ölgemälde gesehen und nicht auf die Formate geachtet. Nur vier, fünf der hier ausgestellten Bilder entsprechen den Größengewohnheiten der letzten zwanzig Jahre. Alles andere: sich bescheidend, nach innen gekehrt. Kein Bedürfnis, den Rahmen zu sprengen, mit der uns schon geläufigen Oberflächenvitalität zu beweisen, daß Begrenzungen Verknechtungsrituale sind. Ein Mikrokosmos, nach innen gemalt, im Detail implodierend, zur Mitte hin.

In grober Einteilung: drei Werkgruppen. Fotos, auf getöntem Papier Zeichnungen sowie Aquarelle mit Tuschfederdessins (wobei die Graphik die Komposition bestimmt) und Ölgemälde. Wols‘ Kaltnadelradierungen sind in dieser Ausstellung nicht zu sehen. Da lediglich für die Druckgraphik ein Werkverzeichnis vorhanden ist (und ein gesichertes für das Gesamtwerk erst erarbeitet wird), muß man sich derzeit noch mit Schätzungen begnügen: Die Zahl der Gemälde gibt der Wols -Experte Ewald Rathke mit vermutlich unter hundert an, die Größenordnung der Aquarelle und Zeichnungen dürfte bei rund tausend liegen. Bei den Arbeiten auf Papier bilden die Aquarelle das Hauptkontingent. Die Ausstellung in Düsseldorf ist gegenüber der in Zürich (bis 11. Februar 1990) um 74 Werke gekürzt.

Wols‘ Photographien (ausschließlich schwarzweiß) entstanden zwischen 1932 und 1941: Motive aus der Mode, dem Pariser Stadtleben, Meer- und Steinlandschaften, Porträts und Stilleben. In ihrer dramatischen Schattenverteilung, ihrer betonten, zugleich lässigen Künstlichkeit, ihrer Inszenierung sind die Photographien den surrealistischen Meisterwerken ihrer Zeit ähnlich - nur eine Gruppe unterscheidet sich elementar von der Avantgardephotographie ihrer Zeit: die Stilleben. Die surrealistische Photographie lebt in gewisser Weise von der Verachtung ihrer Objekte, von einer Bewegung über die Sache hinweg - ihre Funktion und Bedeutung, ihr alltägliches Aussehen. Das praktische, nicht ästhetisierende Sehen abstrahiert von den zufälligen Wirkungen von Licht und Schatten, nimmt den Stuhl als Stuhl wahr und nicht als ein Gebilde, das sich auf unserer Netzhaut über seine Äußerlichkeit abbildet. Dieses intentionale Sehen - von dem wir uns bezeichnenderweise im Urlaub befreien, wenn der abbröckelnde Putz einer Hausfassade in Italien den Blick gefangennimmt - spielt in den Photographien der damaligen Avantgarde keine Rolle. Das Rad, an dem die nackte Meret Oppenheim steht, ihr Körper in der Maschinenhalle werden als eine zweite Realität ins Bild gebracht, bei der uns ursprünglich erscheinende Zusammenhänge und Bedeutungen (die gleichwohl immer schon Interpretationen sind) aufgehoben werden zugunsten einer „zweiten“ Realität, die in der überraschenden Wirkung von Licht und Schatten, Form und Plastizität besteht.

Wols‘ Stilleben thematisieren anders. Wenn er Früchte, verwesendes Fleisch, einzelne Organe mit der Kamera festhält, tritt die Dramaturgie des Fotos, die neuartige Kombination seiner Objekte und deren Schockwirkung zurück hinter ein Paradoxon: daß ein Festhalten des Augenblicks geeignet sein kann, die Zeit selbst sichtbar zu machen. Der unaufhaltsame Veränderungsprozeß der Materie, von uns „Verfall“ genannt, das klassische „Werden und Vergehen“ der Metaphysik, die emsig tätige Chemie bestimmen den Blick. Hier ist schon Kern seines Sehens, was auch die späten Aquarelle und Ölbilder ausdrücken: der Versuch, Materie von innen heraus darzustellen, hinter das intentionale, wertende und funktionale Sehen zurückzugehen.

Die Aquarelle - oder auch Tuschzeichnungen auf aquarelliertem Hintergrund - scheinen etwas zu erzählen. Viele sind von grundloser, spinnöser Heiterkeit, auch durch die Farbgebung vermittelt (die an Klee erinnert): pastos, vorsichtig, leicht. Von Luftgeistern bevölkert die Graphismen: Gabeln, die in den Himmel wachsen, ein satirisch überrundetes Doppelkinn, das zur Frauenbrust vervierfacht wird, eine haarige Zahnbürste, ins Wattegrau gesteckt, ein Haus, geknüpft an eine Fahnenstange. Viele Wege führen in den Himmel oder ein nicht näher bestimmtes Blau, viele Begrenzungen (Zäune, Gitter, Reihungen von Pfosten) umschließen nichts. Groteske Märchen, wirr und in hellen Farben berichtet, nicht naiv, sondern mit surrealistischer Selbstverständlichkeit. Schiffe, Zäune, Ketten, an denen der Mond aufgehängt ist. Aus einem Koffer springt, winzig und janusköpfig, ein bebrilltes Teufelchen, einen Knobelbecher auf dem Kopf. Ein sterbendes Insekt liegt auf einem Berg, reckt Fäßchen und Fühler erstarrt einem roten Stern entgegen, nicht größer als sein Auge. Bestimmte Motive wiederholen sich - Schiffe, Zäune, Figuren, Häuser - ohne den Eindruck eines Symbols zu vermitteln.

Das figurative Repertoire - das sich unaufhörlich erweitert - wird immer wieder neu zusammengestellt, so daß eindeutige Interpretationen nicht möglich sind. Man glaubt nicht an den Nutzen eines „Bedeutungskatalogs“, wie er sich für einige Surrealisten durchaus einrichten ließe, weil man nicht den zugleich vorsichtigen und überlegenen Gestus der Verrätselung voraussetzt, der, zwischen Enthüllungswunsch und Distanzbedürfnis unentschieden, Spuren legt, um entdeckt zu werden. Eher denkt man an ein Kind, das, die Zungenspitze durch die Lippen geschoben, versunken seinen Linien folgt und seine eigene Menagerie erschafft. (Tatsächlich hat Wols 1939/40 intensiv an einem Projekt gearbeitet, das er den Circus Wols nannte - ein spielerischer Kosmos, der Ideen, Theorien, Improvisation und Kunst in einen neuen, gelösten Zusammenhang bringen sollte; in seinen Worten: „This Circus Wols is a suggestion to create in an democratic manner the education of taste and public opinion, popularing spheres that up to now were reserved to certain classes only.“ Zirkusdirektor zu sein, um Vergnügen und Belehrung zu verbinden - kein erstaunlicher Traum für einen Jungen aus dem Bildungsbürgertum, aber auch die sardonische, vielleicht ironisch erheiternde Phantasie eines internierten 26jährigen Deutschen, der in der geschlossenen Anstalt Europa dem Zweiten Weltkrieg nicht würde entkommen können.) Diese Linien wirken zugleich geduldig und methodisch und sind, so versichern Beobachter von Wols bei der Arbeit, mit äußerster Konzentration gezogen, präzise und prägnant. Mit dem psychischen Automatismus der Surrealisten haben sie nicht viel gemeinsam; die Realität entsteigt nicht dem Unbewußten in neuer Zusammensetzung, sondern sinkt dorthin zurück. Es gibt weder Kalkül noch sein aktionistisches Gegenteil. Wir sind, wie Rathke es ausdrückt, „Augenzeugen von Träumen“.

Wols‘ Landschaften sind perspektivlos, die Körper werfen keinen Schatten, die Gesetze der Logik und Physik sind aufgehoben zugunsten eines zweiten Dialogs. Sein Verfahren von der Umrißzeichnung einer „Realie“ aus ihr zu entgleiten, weil die Linien selbst, sich „verselbständigend“, neuartige Objekte bilden - ermöglichte schließlich den stufenlose Übergang in eine zweite Gruppe von Aquarellen und Zeichnungen. Formautonome Gebilde, die nur noch Assoziationen, nicht aber mehr Identifizierungen mit Gegenständlichem zulassen. Damit wird Wols „abstrakt“ nicht in Unkenntnis, aber offenbar ungerührt von den „Regeln“ für Kompositionsaufbau und Dynamik, die Kandinsky für die gegenstandslose Kunst so ordentlich aufgestellt hatte.

Die nicht mehr „erzählenden“ Aquarelle haben jeweils ein Grundmotiv, das, zentral situiert, weniger Bewegung als Aufmerksamkeit für seine Struktur vermittelt. Assoziationen an Organisches sind fast unvermeidlich, lösen sich aber bei näherer Betrachtung auf. Ein ganz anderer Eindruck entsteht, vergleichbar der Überzeugung, die man gewinnt, wenn man lange genug einen Kieselstein, ein Blatt betrachtet, durch ein Mikroskop oder Teleskop gesehen hat: daß komplexe Strukturen sich ähneln, ohne sich zu wiederholen, daß Mikro und Makrokosmos einander verwandte Bilder auf unsere Netzhaut bringen - und daß Kreativität und Beobachtungsgabe elementar auf der Suche nach Abweichungen beruhen. Wols „abstrahiert“ nicht, weil er nicht auf das „Akzidentielle“ verzichtet, um das „Wesentliche“ darzustellen. Bewußte Abstraktion selbst ist, im Denken wie im Darstellen, ein ordnender Vorgang, der auf eine Funktion zielt - eine gedankliche oder ästhetische Funktion, die durch puristische Entkleidung vom Zufälligen, Situationsbedingtheiten eine Hierarchie etablieren will. Sowenig Wert der Mensch Wols auf ordnende Funktionen und „Entscheidungen“ gelegt zu haben scheint, so sehr vermitteln die späteren Aquarelle den Eindruck, sie seien durch ein Aufgehen in der Materie entstanden statt durch einen abstrahierenden Zugriff auf sie.

Eine ähnliche Wirkung zeigen die Ölgemälde. Die Mitte ist oft heftig betont, von implodierender Wirkung. Die Vielzahl der Farbschichten und Bewegungsformen des Pinsels und anderer Werkzeuge, mit denen die Oberfläche immer wieder bearbeitet wurde, ergibt eine reliefartige Struktur. Bilder für genaues, geduldiges Hinsehen, der Entstehungsweise entsprechend. Es ist ein zweischneidiges Unterfangen, chronologisch - also, die Photographien außer acht gelassen, mit der Betrachtung der Aquarelle zu beginnen. Der Blick sucht in den Ölgemälden der späten, vierziger Jahre nach einer figürlichen Umsetzung im Informellen. Und findet, natürlich, Spinnennetze, Pupillenkreise, Gitterzäune. Aber schon bald behaupten sich die Bilder selbst: halb erstarrte Bewegung, die immer wieder neu ansetzt, aufs äußerste getriebene Prozesse, hart gewordener Schaum.

Es mag die heftige, wenn auch auf grobe Effekte verzichtende Intensität vor allem dieser Bilder gewesen sein, die zu den merkwürdigen Deutungen von Wols‘ Kunst geführt hat, von der die Formel vom „Maler des Atomzeitalters“ geradezu sprichwörtlich geworden ist. Werner Haftmann, Werner Hofmann und auch Sartre (in seinem wirkungsvollen Essay Finger und Nicht-Finger, erstmals 1963 veröffentlicht) beschrieben Wols als einen existentialistischen Künstler, welcher der Not und Bedrohung des Individuums in Kriegs- und Nachkriegszeit Ausdruck verliehen habe, der „selbstverzehrenden Inbrunst der menschlichen Existenz“. Die Biographie des Künstlers hat zu solchen Charakterisierungen sicherlich Anlaß gegeben, aber in der Rückschau auf diese Betrachtungen überwiegt der Eindruck, daß vor allem die Zeitgenossen selbst „die Wunde der Welt“ in diesen Bildern hatten sehen wollen. Der berunruhigende Weg, den Wols (neben Hartung, de Kooning, Pollock und anderen, aber nicht in Gemeinschaft mit ihnen) gegangen ist, im Gegensatz zum theoretisch fundierten - und damit beruhigten - Konstruktivismus, war vielleicht nicht anders zu verstehen als ein emotionales Aufbegehren, ein leiser, aber durchdringender Schrei. Vermutlich ist es uns heute eher möglich, diesen Bildern gegenüberzustehen in der Bereitschaft, sich faszinieren zu lassen, aber ohne die Notwendigkeit, sich zu identifizieren. Der Verzicht darauf, diesen Bildern eine Geschichte zu unterlegen, die erzählt sein will, eine Emotion, die „sich ausdrücken mußte“, eine Befindlichkeit, die ihnen Gehalt gibt, erschwert das Reden über sie. Die alten Vokabeln haben sich verbraucht, die lyrische Übersetzungssprache hat ihren Gegenstand eingebüßt, dafür haben die Objekte Autonomie gewonnen. Das Sehen kann an solchen Bildern zu einem selbstgenügsamen Prozeß werden, zu einem bedürfnislosen Zustand, der in der Gewißheit beruht, daß es Bilder gibt, die keine Begründung brauchen. Die Befreiung von der Notwendigkeit, Metaphern zu finden und Gefühle zu „erkennen“, läßt wortlos, aber auch wunschlos zurück. Daß eine solche Situation möglich geworden ist, ist Bildern wie diesen zu verdanken.

Wols war eine „Mehrfachbegabung“. Der Junge, der als Wolfgang Schulze 1913 in Berlin geboren wurde, nutzte die Möglichkeiten, seinen vielfältigen Talenten nachzugehen, und wurde darin von seiner Familie, die im großbürgerlichen, kulturinteressierten Mileu angesiedelt war, unterstützt. Er zeichnete, musizierte, beschäftigte sich mit Naturkunde, photographierte, trieb viel Sport - den ganzen Kanon der humanistischen Erziehung spielt er in seiner Kindheit und Jugend durch. Er wurde zum Abitur - mit der Begründung, er sei zu jung - nicht zugelassen und verließ Deutschland 1932 in Richtung Paris (wo er vermutlich Schüler bei Leger war). Dort lernte er seine spätere Frau Grety Dabija, eine Rumänin, kennen, die von dem surrealistischen Dichter J. Barin geschieden war und Wols mit Künstlern wie Tzara, Max Ernst, Giacometti und Masson bekanntmachte. Wols, der von seinen Photographien zu leben versuchte (und nebenher als Taxifahrer, Fremdenführer und Sprachlehrer arbeitete, während Grety als Modistin Geld verdiente), hat viele seiner Freunde mit der Kamera porträtiert. Während eines Aufenthalts in Barcelona wurde der Fahnenflüchtige (sein Jahrgang war zum Arbeitsdienst in Deutschland „aufgerufen“) von Naziagenten beim deutschen Konsulat denunziert und unter dem Vorwand von Drogenhandel drei Monate inhaftiert. Als er sich schließlich wieder nach Paris durchgeschlagen hatte, mußte er sich dort als „verdächtige Person“ monatlich bei der Polizei melden und erhielt keine Arbeitserlaubnis. G.H. Riviere und Leger setzten sich für ihn ein, um seine Ausweisung zu verhindern. 1937 nahm er den Künstlernamen Wols an, die verstümmelte Form seines Namens auf einem an ihn gerichteten Telegramm. Seine zunehmend erfolgreiche Arbeit als Photograph wurde 1939 unterbrochen: Frankreich trat in den Krieg ein und Wols wurde interniert, die längste Zeit in der Nähe von Aix-en-Provence. In den Lagern entstanden Skizzen und Aquarelle auf Papier, die seine Eindrücke und Imaginationen „verarbeiten“. Grety versorgte ihn mit Lebensmitteln, Tabak, Alkohol und Malutensilien und erreichte nach 14 Monaten, daß er entlassen wurde. 1940 heirateten sie, ließen sich in Marseille nieder und versuchten von dort aus, nach Amerika zu emigrieren. Wols gab Freunden und Bekannten eine größere Anzahl von Arbeiten dorthin mit. Während eine Ausstellung seiner Werke in der Betty Parson Gallery in New York stattfand, kamen endlich die Visa für beide an, doch Wols und Grety konnten das letzte Schiff nach den USA nicht mehr erreichen: Die Deutschen hatte auch Südfrankreich besetzt. Bei Dieulefit, wohin das Paar flüchten konnte, verbrachten sie die Zeit bis zum Ende des Krieges. Wols malte viel, trank viel, Grety versuchte, Aquarelle zu verkaufen und stellte Hüte her, um Heimmaterial, Tabak, Medikamente zu beschaffen.

Nach dem Krieg galt Wols als staatenlos. Eine Ausstellung bei dem Kunsthändler Rene Drouin in Paris, zu deren Eröffnung am 21.Dezember 1945 Wols, obwohl inzwischen wieder in Paris, nicht erschien, war ohne finanziellen Erfolg, wurde aber in Künstlerkreisen stark beachtet. Grety und Wols trennten sich, lebten aber beide weiterhin in Paris, Wols in wechselnden Hotels. In einer intensiven Phase 1946/47 entstand der erste „Schub“ von Ölbildern, von denen Drouin 40 Werke ausstellte. Sartre, den Wols bei Kriegsende kennenlernte, trug ihm Illustrationen zu seinen Büchern an und half ihm finanziell regelmäßig aus. Grety, 1948 wieder zu Wols zurückgekehrt, kümerte sich um den Verkauf weiterer Aquarelle; Wols ging es gesundheitlich immer schlechter. Als durch einen Zweijahresvertrag mit dem Kunsthändler Pierre Loeb ein Mindestmaß finanzieller Sicherheit erreicht werden konnte, mußte Wols 1951 wegen starker Vergiftungserscheinungen eine Entziehungskur antreten. Er wurde im Mai gut erholt entlassen und mietete mit Grety ein kleines Bootshaus in Champigny-sur-Marne (Ardeche). „Wols legt ein Gärtchen an“, schreibt seine Schwester Elfriede Schulze-Battmann, „hat einen Hund und Enten, rudert, schwimmt, aquarelliert und malt voller Energie. (...) In der Nacht vom 24. auf den 25. August ist Wols sehr hungrig, und Grety brät ihm Hackfleisch, das ihm nicht bekommt, der Arzt des Ortes kann nicht helfen. Am 28. August wird Wols ins Hopital Broussains gebracht, wo er schlecht versorgt wird, am 30. (...) verlegt, sein Zustand verschlechtert sich. Wols bittet Grety, ihn in ein gutes Hotel zu bringen, wird am 31. August ins Hotel Montalembert, Rue du Bac, gebracht, wo er 1. Seotember 1951 mit 38 Jahren stirbt.“

Gerüchte und Mutmaßungen hat es, Ablagerungen gleich, um die Person Wols immer gegeben. Das Verkaufsgebaren seiner Frau Grety, die als seine Nachlaßverwalterin Werke nach seinem Tod signiert und (im Gegensatz zu Wols) thematisch betitelt hatte, die deprimierenden und obskuren Umstände seines Todes, die Tatsache, daß immer mehr Fälschungen auftauchen und die zögernde Ausstellungspolitik (eine Retrospektive, eingerichtet von Werner Haftmann, zuletzt 1973 in der Nationalgalerie), die weite Streuung seines Werkes überwiegend in Privatbesitz haben dazu beigetragen. Es ist im nachhinein schwierig und gefährlich, ein Leben, das so deutlich von äußeren Umständen bestimmt, auch mißgebildet wurde, selbst vorsichtig zu konturieren. Raumgreifenden Entscheidungen, bestimmenden Gesten und der Logik des Alltags scheint der Künstler, der in den letzten Lebensjahren vor allem liegend, im Bett arbeitete, eher ausgewichen zu sein. Er erzähle seine „kleinen irdischen Geschichten auf kleinen Stückchen Papier“, schrieb Wols, „das Maß der Handfläche“ war ihm „heilig“. An einen Heiligen läßt seine gleichgültige Großzügigkeit mit Geld denken, seine konstante Weigerung, sich um die Verwertung seiner Arbeit zu bemühen, sein wehrloser Alkoholismus, seine räumliche Bescheidenheit und der Gestus des Zurücksinkens, der mit all dem verbunden war.

Der Ausstellungskatalog versucht stärker, eine heutige Sichtweise von Wols Werk anzuregen, als auf die Legendenbildungen einzugehen. Enorme Sorgfältigkeit hat E. Rathke in die Beschreibung der Arbeitsweise von Wols gelegt; zitierend wird auch auf die ursprüngliche Interpretation von Wols‘ Werk eingegangen. Da dieser Katalog weniger historisierende Absichten verfolgt, kann man das Fehlen „klassischer“ Schriften - wie des Essays von Sartre bedauern, aber nicht kritisieren. Beklagenswert ist, daß nicht wenigstens eine Auswahl von Wols‘ Aphorismen (1963 für einen Ausstellungskatalog, der nicht mehr lieferbar ist, von Werner Haftmann übersetzt), in diese Ausgabe aufgenommen wurde. Insgesamt ist der Katalog jedoch von außerordentlicher Qualität und biblioghraphischer Genauigkeit. Wols‘ Schwester, die Kunsthistorikern Elfriede Schulze-Battmann, hat ihre Erinnerungen an Wols beigefügt. Ihre Bescheibungen sind keine Ab- und Aufrechnungen, sondern versöhnlich, auch mit Grety Dabija. Eine behutsame und endgültige Bewegung, mit der man das Laken über einem Toten glattstreicht.

WOLS. Bilder, Aquarelle, Zeichnungen, Photographien.

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Noch bis zum 27. Mai. Katalog (410 Seiten, durchweg farbige Abbildungen) 59 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen