■ Eva Meyer: Der Unterschied, der eine Umgebung schafft

„Mir gefiel der Unterschied zwischen Alleinsein Nicht -Alleinsein und Nicht-Dran-Denken. Das gab der Frau eine Umgebung“, schreibt Gertrude Stein. Auch mir gefällt der Unterschied, der eine Umgebung schafft; und so soll ihm nachgegangen werden.

Vielleicht soll ihm auch vorangegangen werden. Denn dieser Unterschied ist doppelt und gegenläufig. Es ist der Unterschied zwischen Alleinsein und Nicht-Alleinsein und der Verwerfung der Alternative als solcher im Nicht-Dran -Denken.

Also zählt der Unterschied, der eine Umgebung schafft, auf das, was in unserem Denken bewußt und unbewußt ist, und findet in „der Frau“ das Mittel eines Stils, das diesen beiden gleichzeitigen und sich widersprechenden Neigungen einen Spielraum auftut. Indem sie Partei ergreift, gegen die Herrschaft des Sinns, des Denkens, des Seins und für eine im Verhältnis dazu inkohärent und willkürlich erscheinende Bewegung, zwingt „die Frau“ zu einem Denken, das sich nicht auf sich selbst bezieht, sondern auf eine Grenze, an der es mit sich selbst Schluß macht.

Damit ist nicht mit dem Denken Schluß gemacht, sondern jene andere Bewegung in Gang gesetzt, deren „sinnlose“ Beschreibung die Schrift bewegt, wenn sie nicht mehr in Aussagen verfährt, sondern sich als Handlung zurückgewinnt. Und verlierend wie gewinnend zu einer Form findet, die dem Sprachverlust der Wissenschaft Rechnung trägt, indem sie an deren Mangel an Leben rührt.

In genau dieser Tatsache der Berührung aber lernt es sich zu schreiben: Irgend etwas in uns konnte also bis zu diesem Augenblick widerstehen. Und das heißt vielleicht nur, daß es für jeden einzelnen einen anderen Ausgangspunkt der besonderen Beschreibung gibt, der sich nicht vom Allgemeinen erschlagen läßt und im Unterschied eine Umgebung schafft, darin sich „Nachbarschaften“ ergeben können, bei denen Nietzsches „Geist stutzt: er erinnert sich des Ähnlichen, er empfindet einen Geschmack dabei, er hält fest und arbeitet an den Beiden, je nachdem seine Kunst und sein Wissen ist“.

Also gilt es, die Autobiographie der Schrift zu bejahen, deren schriftliche Klarheit in dem Maße zu leben anfängt, wie sie den Verfall des Selbstverständlichen ins Auge faßt und sich dem Widerstand der Autoritäten aussetzt. Das ist kein Kalkül, um der Gefahr zu entgehen, beim Nachdenken ins Nichts zurückzufallen, sondern die bejahende Wiederholung einer Handlung, die das Denken vorantreibt, hin zu seinem Ausgangspunkt, der ihm als Ereignis zukommt und schon auf Gertrude Stein treffen kann, die schreibt: „Mir gefiel der Unterschied zwischen Alleinsein Nicht-Alleinsein und Nicht-Dran-Denken. Das gab der Frau eine Umgebung.“

Nach den Regeln der Logik, die im Nicht-Dran-Denken verworfen werden, besteht zwischen Alleinsein und Nicht -Alleinsein eine Dichotomie: Alleinsein und Nicht-Alleinsein schließen sich in der logischen Negation aus und Nicht -Alleinsein ist wiederum identisch mit Alleinsein. Das ist ein Unterschied, der keine Umgebung schafft, weil Alleinsein und Nicht-Alleinsein die Akzeptionswerte einer zweideutigen Logik darstellen. Wenn nun aber im Unterschied zum Unterschied in der Zweiwertigkeit ein „logischer Abstand gesetzt“ wird und - so Gotthard Günther - „den Charakter einer Umgebung für etwas, das sich von ihr absetzt“ gewinnt, dann kommt die Umgebung als Verwerfung eines vorgegebenen Platzes vor. Als eine „Absetzungsfunktion“, die nicht einfach nur verwirft, sondern zugleich auch erwirft: jenes Dritte nämlich, das nicht hierher, sondern woanders hin gehört und im Zusammenspiel von Akzeption und Rejektion die polylogische Operation der Umgebung schafft.

Diese geht nicht auf in junktionalen Operationen (Konjunktion, Disjunktion) zwischen Alleinsein und Nicht -Alleinsein, sondern schreibt in der „Transjunktion“ (Günther) den Unterschied zwischen Alleinsein und Nicht -Alleinsein in sich ein, um noch auf sich selbst anzuwenden, was zu ihm gehört: die Form des Unterschieds, die sich nicht mehr damit begnügt, das oppositionelle Denken zu bestätigen, sondern zum Mittel des Stils wird, mit dem ein Nicht-Alleinsein in ein Alleinsein eingreifen kann und es in Geschriebenes übergehen läßt.

Das ist nicht der Übergang von hier nach dort, keine Übertragung, die hier aufzuschreiben hätte, was sich dort abgespielt hat, wenn die Verwerfung besagt, daß das Andere immer schon da ist. Also handelt es sich um die Verwerfung der Mechanik des Sagens, die daran Gefallen findet, daß wir zwei wären, obwohl sich alles „in mir“ abzuspielen scheint. Um nicht daran denkend die Unstimmigkeit eines Unterschieds aufzutun, der im Geschriebenen zum Zuge kommt und nach keiner Richtung hin abdichtet, was noch dazugehört. Und das sind Überbewußtes und Unbewußtes, wie sie in Kybernetik und Psychoanalyse ihre Formulierungen erfahren haben und immer schneller oder auch langsamer sind als derjenige Teil in einem selbst, der genau daran denkt: an das Selbst und all diese Geschichten, die es im Sinn hat, um die Arbeit der Schrift zu vereiteln.

Diese aber wäre wie der Igel in Der Hase und der Igel immer schon vorher da, wenn sie sich ein bestimmtes Vergessen ihrer selbst zugibt und ein unbestimmbares Doppel daraus hervorgehen läßt. Unabhängig davon, ob es von hier ausgeht, um dort anzukommen oder umgekehrt. Weil es einen doppelten Anfang hat und daher keinen Anfang und auch kein Ende und also immer auch noch nachher da ist. Und vergißt, was Gleichzeitigkeit vortäuscht: namentlich die Präsenz eines Zeichensystems, die von jeder empirischen Gleichzeitigkeit bereits vorausgesetzt wird. Und wartet, bis sich jede noch so erinnerte Zurückhaltung mit sich selbst entzweit und in Bewegung übergeht.

„Ich war ausgegangen - schreibt Paul Valery -, um mich durch das Gehen und die vielfältigen Bilder, die es vorüberziehen läßt, von irgendeinem langweiligen Geschäft zu erholen. Wie ich so die Straße, in der ich wohne, entlangging, wurde ich plötzlich ergriffen von einem Rhythmus, der sich mir auferlegte und der mir bald den Eindruck einer fremden Betätigung gab. So als bediente sich jemand meiner Lebensmaschine. Ein anderer Rhythmus trat zu dem ersten hinzu und koppelte sich mit ihm, und es entstanden irgendwelche Querverbindungen zwischen den beiden Gesetzmäßigkeiten (ich erkläre es, wie ich kann). Damit kombinierten sich die Bewegung meiner schreitenden Beine und irgendein Gesang, den ich vor mich hin summte oder vielmehr, der sich mittels meiner Person summte. Die Komposition wurde immer komplizierter und übertraf an Kompliziertheit bald alles, was ich vernünftigerweise meinen gewöhnlichen, mir zur Verfügung stehenden rhythmischen Fähigkeiten gemäß produzieren konnte. Daraufhin wurde die Empfindung von Fremdheit, die ich erwähnt habe, fast peinlich, fast beunruhigend. Ich bin kein Musiker; ich bin der musikalischen Technik ganz und gar unkundig; und siehe da, nun war ich einer mehrstimmig durchgeführten Partitur zur Beute geworden, so kompliziert, wie es für einen Dichter niemals denkbar wäre. Ich sagte mir also, hier liege ein Irrtum über die Person vor, diese Gnade sei auf das falsche Haupt gefallen, da ich ja nichts mit einer solchen Gabe anfangen konnte - die in einem Musiker zweifellos Wert, Form und Dauer angenommen hätte, während diese Stimmen, die sich verstrickten und entstrickten, mir ganz vergeblich ein Werk zum Geschenk anboten, vor dessen kunstvoller und wohlorganisierter Abfolge meine Unkenntnis in Verwunderung und Verzweiflung geriet.“

Immer ist es Verwunderung, wenn eintritt, wovon man nicht wissen kann, weil es keinem Bedürfnis entspricht, außer jenem, „das es selbst erschaffen soll“, bevor noch „die Person, die weiß, daß sie nichts von Musik versteht“, erwacht wäre und auch „die Person, die weiß, daß sie nicht fliegen kann“, noch vom Fliegen träumt. Wie wenn die Person, die es nicht verstanden hat, nicht aufhörte damit, es zu wiederholen und es sich wiederholen zu lassen.

Denn was man nicht versteht, das muß man wiederholen, um beharrlich und auf Umwegen doch zu verstehen: Daß die Wiederholung gleich einem Mittel und nicht für sich selbst anzieht und im Unterschied zwischen dem Selben und dem Gleichen eine Änderung der Ansichten und des Verfahrens bewirkt.

Erst dann versteht man, daß das „ergriffen„ werden, wie wenn sich jemand meiner „Lebensmaschine„ bediente, um „mittels meiner Person„ ein Werk darzubieten, „vor dessen kunstvoller und wohlorganisierter Abfolge meine Unkenntnis in Verwunderung und Verzweiflung“ gerät, in genau dieser Absetzung vom Ich eine andere Form des Verstehens findet.

Denn, wie Valery sagt, überlebt die Form das Verstandenwerden nicht: „sie löst sich in der Klarheit auf; sie hat gewirkt; sie hat ihre Aufgabe erfüllt; sie hat verstehen lassen: sie hat gelebt.“ Das ist immer dassselbe. Doch wenn vom Verstandenwerden Abstand genommen wird, nicht, daß es negiert würde, sondern nur, daß man sich von diesem „langweiligen Geschäft“ erholen wollte, indem man eine andere Richtung einschlägt, die gleichwie Sinn gibt: keinen eigenen Sinn, sondern - daß sie unwiderstehlich ist, dann könnte etwas funktionieren, „marcher“ sagt Valery, das die Dauer und die Wiederkehr der Form programmiert: „daß sie sich zwingend behauptet“ und „nicht nur beachtet und geschätzt wird, sondern auch begehrt und darum wiederholt“.

Je schwieriger es ist, darüber zu sprechen, desto selbstverständlicher ist es, wenn es passiert: Wenn dieses Begehren passiert, das im Unterschied zum Bedürfnis keine Entsprechung hat, sondern begehrt - und darum wiederholt. Und einen verstehen macht, daß man sich versteht, indem man sich auf die Wiederholung versteht.

Alles konzentrierte sich nun auf jenen Augenblick des Ergriffenseins, der Empfänglichkeit, wo es ist, als sollte man den Verstand verlieren. Nach Kierkegaard die einzige Möglichkeit, von „der Idee geschwängert“ zu werden und in einen „aufdeckenden Rapport zur Wirklichkeit“ zu geraten. Das, was er „Weiblichkeit“ nennt, weil es „die Idee in das rechte Verhältnis“ bringt. Nicht etwa um sie zu gebären, sondern - um sie zu wiederholen. Und also jenes „Zweideutige“ hervorzubringen, „worin Zeit und Ewigkeit einander berühren“ können. Eine Verschiebung der Zeit gegen sich selbst, um einen Unterschied geltend zu machen, der nicht im „Ich“ und „Jetzt“ aufgehoben wäre. Weil er der Augenblick der Wiederholung ist.

Dieser hat im Momentum den Punkt, an dem die Ewigkeit von „rückwärts“ her den Strom der unendlichen Abfolge der Zeit einfängt. Das ist das „griechische Ewige“, das hinter einem als das Vergangene liegt, „in das man nur rückwärts hineinkommt“, gemäß der „platonischen Erinnerung“. Wenn nicht die Wiederholung das Stammwort movere des Momentum reaktivieren würde, um „vorwärts in die Ewigkeit“ zu gelangen.

Dann muß die Zeit nicht mehr im „völlig abstrakten Begriff des Ewigen“ verschwinden, der ja nur besagt, „daß es das Vergangene sei“. Sie gewinnt Form. Eine zukünftige Ewigkeit, die in vorwärtiger Richtung in die Zeitlichkeit hineinreißt und nicht die Ankunft von etwas absolut Unbekanntem ist, da sie ja wiederkommt, und zwar als das Vergangene.

In dieser Wiederholung aber lernt die Form zu leben, das, was es heißt, im Augenblick die Vergangenheit zur wiederkommenden Zukunft zu machen. Was keineswegs dasselbe ist, weil nichts, das in diesem Zustand geschieht, sich durch eine wohldefinierte Verstandeshaltung auflösen, vollenden, vernichten läßt, sondern eine Wiederholung bewirkt: die positive Bestätigung, bejahende Wiederholung, selbstpräsentierende Zurschaustellung dessen, was uns interessiert und das Begehren zu wissen interessiert.

Das ist es, was Kierkegaard unter einem „rechten“ Verhältnis versteht: Daß die Wiederholung nicht an der determinierenden Macht einer als „notwendig“ aufgefaßten Vergangenheit scheitern muß, sondern in ihren Bewegungsprinzipien auf die Zukunft öffnet. Gegen das Hegelsche „Interesse der Geschichte“, jener weltgeschichtlichen Bewegung auf die Versöhung hin, setzt Kierkegaard „ziemlich bestimmt das Ganze (der Problematik der Wiederholung): Die Wiederholung ist das Interesse der Metaphysik; und zugleich dasjenige Interesse, an dem die Metaphysik scheitert“. Weil dieses Interesse nicht aufgeht in der metaphysisch stets notwendigen Wiederherstellung des Geistes, sondern darauf wartet, daß die Wiederholung eintritt. Und also Zeit gibt. Das, was nötig ist für den Modus der Möglichkeit: Daß das, was sich wiederholen soll, nicht im Verhältnis zu einem selbst verstanden werden muß, sondern auch außerhalb der eigenen Existenz liegen kann, diese selbst ins „rechte“ Verhältnis setzend.

Es ist klar, daß diese Form der Wiederholung sich nicht mehr im Rückgang auf eine mythische Existenzweise wie in der platonischen Erinnerung vollzieht und auch nicht in den Kategorien Übergang, Negation und Vermittlung, Hegels Bewegungsprinzipien innerhalb seiner Metaphysik, begriffen werden kann, wenn sie auch und gleichzeitig auf jenes radikale Außen vorgreift, das Kierkegaard „die Konsequenz der existenziellen Wirklichkeit“ nennt.

Also handelt es sich um die Modalität einer Formgebung, die das Einzige ihrer Struktur ist und auch ihr Gemeinsames, aber niemals ihr Allgemeines. Von daher leitet sie das Ende der Utopie von der Versöhnung ein. Denn diese lebt, wie Gotthard Günther sagt, von der Auflösung des innersubjektiven Unterschieds von Ich und Du: „Das ist die Haltung aller Utopisten gewesen, die im Grunde des eigenen Herzens genau die Regeln lasen, nach denen sich die anderen Menschen zu verhalten hätten.“ Demgegenüber setzt Günther auf die Eigengesetzlichkeit eines außersubjektiven Unterschieds zwischen Ich und Du, auf einen Prozeß, dem sowohl die „Eigenschaft der echten Gegenständlichkeit“ als auch „die der Ichhaftigkeit“ abgeht, weil er sich „im Modell wiederholen und technisch konstruieren läßt“ und doch nicht ohne Rest zu objektivieren ist: Weil er in einer „Absetzungsfunktion“ von der „bisherigen Idee der Subjektivität“ begriffen ist, diese selbst wiederholend.

Das ist das Begehren, daß wir zwei wären, obwohl alles sich „in mir“ abzuspielen scheint - und nun nach Außen drängt, nach Maßgabe einer Form, von der wir vorerst zu ahnen beginnen: Daß sie der Diskontinuität zwischen der Kohärenz des Ich und der triebhaften Inkohärenz Rechnung tragen muß und die Kohärenz begreifen läßt, die sich zwischen dem Ich und seinem konträr gedachten Trieb herausgebildet hat, zum Zwecke seiner Aneignung zu einer Identität, die nun enteignet wird.

In einer Wiederholung, die den Trieb nicht mehr als Bedrohung der Kohärenz des Ich mit sich selbst versteht und deshalb als sein anderes denken muß, weil sie einem anderen Trieb zu folgen beginnt. Und sich „mittels meiner Person“ eine zwingendere Kohärenz verschafft, die Triebbewegung selbst, jene „Lebensmaschine“, wie sie nur von einem anderen Ich gedacht werden kann.

Das wäre eine Wiederholung, die - nach Günther - den Weg der Kybernetik einschlägt, wenn sie damit beginnt, „sich selbst als Prozeß“ und nicht mehr „als Ausdruck einer ich -haft privaten, aber überall gleichen Subjektivität zu interpretieren“. Wenn sie im Unterschied von Ich und Du ein „objektives, allen individuellen Ichs sowohl in gleicher Weise bekanntes als auch in gleicher Weise fremdes Modell der Subjektivität“ annimmt. Objektiv nicht im Allgemeinen, was nur auf dasselbe hinausliefe, sondern einzeln und auch gemeinsam, wie es nur eine in gleicher Weise bekannte und fremde Umgebung sein kann.