Die Leute sind alle sehr nett hier

■ Im Januar veröffentlichte die polnische Journalistin Anna Bikont in der unabhängigen Tageszeitung 'Gazeta Wyborcza‘ unkommentiert Aussagen von Angestellten der Zensurbehörde, mit denen sie Interviews geführt hatte

Anna Bikont

1. Zensor: Die Mehrheit hier möchte gern, daß alles so schnell wie möglich vorbei ist. Sobald jemand ein konkretes Angebot von woanders hat, geht er sofort. Aber das ist nicht so einfach, wie es klingt. Die Wirtschaftsfachleute sind alle schon weg, da gibt es eine große Nachfrage. Die Leute von der Kunst sitzen da und warten. Seit den Mai-88 -Gesprächen vom Runden Tisch ist hier jeder der Meinung, daß wir wohl bald aufgelöst werden. Man diskutiert heftig über Rokitas Angriff auf die Zensurbheörde in der 'Gazeta Wyborcza‘. Man glaubt, daß wir als Folge davon nun wirklich bald verschwinden werden, immerhin ist Rokita Parlamentsabgeordneter.

2. Zensor: Ich bin eigentlich von Beruf Geograph. Diesen Job habe ich angenommen, weil ich nichts anderes gefunden habe. Jetzt ist die Zeit des Wartens und der Angst.

3. Zensor: Ich nehme an, ich werde frühzeitig in den Ruhestand treten müssen. Das ist ärgerlich. Ich könnte gut noch ein paar Jahre arbeiten. Die angenehmen Seiten des Berufes? Befriedigung über gelungene Arbeit.

4. Zensor: Ich denke über einen Berufswechsel nicht nach. Das Denken besorgen meine Vorgesetzten für mich.

5. Zensor: Alle denken daran, eine neue Arbeit zu suchen, aber das ist gar nicht so einfach. Warum ich einen Job wie diesen gemacht habe? Bestimmt nicht aus politischen Gründen. Das war damals eben so.

Archivistin: Wenn man erst einmal im Trott ist, ist es schwer, auszubrechen, selbst wenn man woanders mehr verdienen könnte. Ich bin gerade frühzeitig aus meinem Mutterschaftsurlaub zurückgekommen, wegen der Situation hier. Ich hätte gern das Erziehungsjahr (in Polen bis zu drei Jahren möglich, bei voller Arbeitsplatzgarantie, U.R.) in Anspruch genommen, aber wenn sie die Behörde jetzt auflösen, muß ich wohl hier sein, um ein Abfindungsgeld zu kriegen. Meine Aufgabe ist es, die Daten über Zensureingriffe zu speichern. Ich tue sie nur in den Schrank, und da liegen sie dann. Ich selber würde nie Zensor sein wollen. Ich verstaue nur ihre „Ernte“ im Schrank und fühle mich nicht als Teilnehmer des Ganzen. Tatsächlich ist nicht viel zu tun. Es gibt nur zwei, vielleicht drei Eingriffe pro Woche. Wir warten eigentlich nur, daß das hier still seinem Ende entgegengeht.

6. Zensor: Wenn man es genau betrachtet, haben doch die Journalisten dasselbe gemacht wie wir. Sie haben so geschrieben, wie es die Behörden von ihnen erwartet haben, und dennoch glauben sie, daß das bei ihnen etwas anderes ist. Auch wir mußten unsere Überzeugungen an der Garderobe abgeben. Das hier ist doch auch nur ein Job wie jeder andere. Und es besteht sogar die Möglichkeit, dabei seinen Horizont zu erweitern - wenn man den ganzen Tag Zeitschriften liest.

7. Zensor: Ich komme aus der Kunst und habe lange nach Arbeit gesucht. Als ich vor zwanzig Jahren hier anfing, war da noch nicht diese feindselige Atmosphäre, die der Arbeit einen so schlechten Ruf verschafft hat. Dies war eine der zentralen Behörden und wurde mit den gleichen Augen betrachtet wie jedes andere Ministerium. Die Rekrutierung war genau die gleiche wie für jede andere Institution, mit politischen Überzeugungen hatte das gar nichts zu tun.

8. Zensor: Die Leute behaupten, wir würden nach der Zahl der Eingriffe bezahlt. Das stimmt nicht. Unser Ziel war nie, so oft wie möglich einzugreifen. Nur 30 Prozent der Angestellten sind in der Partei. Solange ich hier arbeite, habe ich nicht einen einzigen Menschen getroffen, der die blinden Flecken in der Geschichte unseres Landes einfach akzeptiert hätte; kein Pole hat die je akzeptiert.

Parteisekretär der Abteilung: Was zukünftige Arbeit betrifft, habe ich keinen Trumpf im Ärmel, aber wie jeder andere auch kann ich nicht einfach vor dem Problem weglaufen.

9. Zensor: Wenn Sie versprechen, meinen Namen nicht zu nennen, kann ich Ihnen etwas erzählen über die Arbeit. Also, wir fingen jede Woche an mit einer Schulungszeitung. Ich erinnere mich an einen berühmten Fall, der jungen Beamten als warnendes Beispiel gegeben wurde: In einer Schweinezüchterzeitung hatte man in einem Artikel über Schweinerassen die Adressen ihrer Züchter gedruckt, und zwar als Teil eines Artikels von einem Züchter, der verschiedene Züchtungen und ihren Gebrauch durch das Militär beschrieb. Eine andere Fallgeschichte betraf eine Danksagung der Caritas, die in der Zeitung einer militärischen Einheit für Hilfeleistungen dankte und dabei die Adresse der Einheit und den Namen des kommandierenden Offiziers erwähnte.

Solange es ausführliche schriftliche Anweisungen gab, über „wer und was“ und welche Art politischer Ton nicht durchgelassen werden sollte, gab es keine Zweifel, woran man sich zu halten hatte. Die alten Zensoren erinnerten sich später ganz nostalgisch an die Zeiten in den frühen Siebzigern, als auf der Liste nur 20 Namen von Emigranten standen. Die größte Paranoia herrschte Anfang 1980: Ständig kamen neue Namenslisten dazu. Die Leute hier verloren jede Orientierung.

Von 1981 an gab es, theoretisch jedenfalls, keine Listen mehr; Subjektzensur, also Listen von verbotenen Personen, verschwanden, aber an ihrer Stelle gab es dann mündliche Empfehlungen. Das Statut zur Zensur war sowieso immer nur eine Formalität. Natürlich konnte ein Zensor Bücher oder Autoren nicht nach eigenem Gutdünken von den Maßnahmen befreien, so etwas mußte nach oben weitergegeben werden. Einmal die Woche gab es eine Sitzung, in der wir gesagt kriegten, welche Themen wie zu behandeln seien, also beispielsweise wie über den Konflikt mit der DDR über den Flußverlauf in Stettin berichtet werden sollte. Die Bescheide kamen, soviel ich weiß, aus dem Weißen Haus (Sitz des Zentralkomitees). Seit Anfang des Jahres hat es keine Empfehlungen mehr gegeben. Es gibt kaum etwas zu tun. Neulich brachte einer ein Flugblatt von den Nationalisten an, in dem reichlich Antisemitismus zu finden war. Einige haben sich darübergesetzt und überlegt, ob man es durchgehen lassen soll, und es gab dann schließlich nicht genug Gründe, es einzuziehen. Tatsächlich bleiben uns nur noch Fälle von Pornographie.

Direktor der Abteilung: Mündliche Empfehlungen? Nie was von gehört. Es gab ein System von Richtungsweisungen an die Parteiadresse. Der Anordnende, das heißt der Sekretär des Zentralkomitees, berief Redakteursversammlungen ein und vermittelte dort seine Empfehlungen. Da waren immer die Direktoren der Hauptabteilungen zugegen. Aber es fand nicht auf Abteilungsebene statt, hatte also keine Konsequenzen in der Form von Zensureingriffen. Die Versammlungen waren nur dazu da, die Chefredakteure an die Beschlüsse zu erinnern.

10. Zensor: Ich bin Historiker von Hause aus. Ich kam nur zufällig hierher. Nach dem Wehrdienst suchte ich Abeit. In den Museen erhielten meine Kollegen höchstens Zweieinhalbtausend (im Monat), und hier fing ich bei 3.000 an. Dabei habe ich immer noch keine Wohnung. Innerhalb von zwei oder drei Jahren konnte man eine Wohnung kriegen, aber das war mal, in den Siebzigern. Ein Auto - sicher, natürlich. Aber Zensoren haben nie eine bevorzugte Behandlung in sozialen Diensten bekommen. Das Management hier hatte daran kein Interesse, man benutzte die Urlaubsheime der Partei, und vom Direktor abwärts essen alle in der gleichen Kantine. Immerhin ist das Weiße Haus direkt gegenüber.

Mir ging es vor allem um Geld und um Sicherheit, und genau das bietet einem die Arbeit in einer Regierungsbehörde. Es stellte sich schnell raus, daß die Arbeit ziemlich anstrengend ist, und man kann hier schnell die falsche Art von Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zunächst waren da schon mal meine Freunde, die über mich zu reden anfingen - aber dann haben sie sich daran gewöhnt. Nur nebenbei: Meine Überzeugungen habe ich dadurch nicht geändert, das ist eine völlig andere Sache. Ich stehe mich gut mit meinen Frenden draußen, und auch die Beziehungen mit den Verlagsleuten sind oft eng und freundlich. Ich begiff schnell, daß die Leute alle sehr nett sind hier. In den ersten Jahren schämte ich mich, hier zu arbeiten, aber das ging vorbei.

Abteilungsleiter: Was wir machen, ist eine Folge des Zensurstatus. Das ist alles.

11. Zensor: Wir haben sicherzustellen, daß in der Linie der Zeitung die Ansichten der Regierung erkennbar sind. Ein Beispiel: Darf Noriega, Präsident einer Regierung, mit der wir diplomatische Beziehungen haben, ein Drogenschmuggler genannt werden? Tatsächlich hat die polnische Delegation dann in der UNO nicht gegen die Interventionen in Panama gestimmt. So etwas dient uns dann als Zeichen dafür, daß wir es durchgehen lassen können. Wir müssen dem folgen, was aus offiziellem Mund kommt, das sind für uns Hinweise darauf, ob wir eingreifen oder nicht. Beispielsweise war einmal eine gewisse Nachricht vom Aspekt der militärischen Sicherheit her heikel. Aber dann sprach ein Parlamentsabgeordneter darüber, eingekleidet in eine Frage an den Verteidigungsminister, und das wurde im Fernsehen gezeigt. Also ließen wir es auch durch.

12. Zensor: Eingriffe sind nur die Konsequenzen der Ignoranz von Chefredakteuren. Ich persönlich meine, daß Zensur nicht nötig ist. Man muß nur den Chefredakteuren deutlich genug machen, was unerwünscht ist.

13. Zensor: Ich arbeite in der Abteilung für literarische und wissenschaftliche Zeitschriften. Akademische Zeitschriften sind jetzt von der Zensuraufsicht befreit worden, deshalb kriegen wir jetzt nichts mehr von den Universitäten. Manchmal kommt noch etwas von der Polnischen Akademie der Wissenschaften, aber die könnte eigentlich auch aus der Kontrolle entlassen werden.

14. Zensor: Alle ökonomischen Zeitschriften in meiner Abteilung könnten mit Leichtigkeit von der Zensuraufsicht befreit werden. Sie brauchen nur zu beantragen, daß sie als wissenschaftliche Zeitschrift klassifiziert werden. Ich habe noch von keinem Fall gehört, in dem das zurückgewiesen worden wäre. Aber nicht jeder möchte befreit werden.

15. Zensor: Ich bin Geologe und arbeite über geographische Materialien und Landkarten. Dabei habe ich mit der Kontrolle des Inneren zu tun, damit zum Beispiel nicht die Lage von Wasserreservoirs, Pumpstationen und Hochspannungskabel bekannt wird. Zur Zeit gibt es nur sehr wenige Eingriffe, höchstens, wenn ein Lektor eine Zusammenfassung durchläßt, die nicht von einem Experten stammt.

16. Zensor: In der Geographie gab es immer viele Eingriffe, weil alles als Militärgeheimnis behandelt werden mußte. Zum Beispiel mußten Adressen von irgendwelchen Institutionen rausgeschmissen werden, obwohl deren Schild nicht nur von einem amerikanischen Satelliten aus aufgenommen werden konnte, sondern selbst von der Straße aus sichtbar war. Inzwischen haben sich die Dinge geändert, die Armee ist nicht mehr so rigide. Im August kam ein Delegierter von der Armee zum Chef und erklärte, daß Landkarten jetzt ohne Verzerrungen gedruckt werden können. Wir müssen nicht länger im Ausland Landkarten von Polen kaufen, wenn wir hier wandern gehen wollen.

17. Zensor: Viel Arbeit gibt es nicht mehr. Früher schickte jedes Ministerium Listen mit Themen, über die nicht geschrieben werden durfte. Wenn zum Beispiel ein Journalist einer Geschichte auf die Spur kam, in der es um einen Vertragsabschluß ging, der noch nicht unter Dach und Fach war, dann kam ein Minitster zum Chef und wies ihn an, die Geschichte abzuwürgen, damit das Geschäft nicht verhindert wird. Im August sind die Regeln zur Behandlung von Staatsgeheimnissen etwas geändert worden, besonders die zur Verteidigung. Die Ministerien schicken jetzt keine Instruktionslisten mehr, die Omnipotenz ökonomischer und militärischer Geheimniskrämerei ist am Ende.

18. Zensor: Den Wert unserer Arbeit sehe ich darin, die Menschen von der Selbstzensur zu befreien. Ohne uns würde viel weniger veröffentlicht werden. Viele Verleger haben schon zu mir gesagt: „Fräulein Christine, Gottseidank kann ich alles zu Ihnen bringen und muß nicht nachträglich erklären, was gedruckt worden ist und warum. Ich kriege einen Stempel, und damit hat es sich.“