Redefreiheit für Rassisten?

■ Verfassungsreform und Menschenrechte - ein Blick in die Zukunft einer Nach-Apartheid-Gesellschaft in Südafrika

Albie Sachs

Im November 1989 bat 'Index‘ den Rechtsanwalt und Schriftsteller Albie Sachs, einen Blick in die Zukunft einer Nach-Apartheid-Gesellschaft in Südafrika zu werfen und seine Vorstellungen über Verfassungsreform und Menschenrechte darzulegen. Zu dieser Zeit schien alles noch Phantasie. Am 2.Februar 1990 dann kam die Aufhebung des ANC-Verbots, und am 11.Februar wurde Nelson Mandela freigelassen.

Professor Albie Sachs ist zur Zeit Direktor des „South Africa Constitution Centre“ des „Institute of Commonwealth Studies“ an der Universität von London und Mitglied der Kommission „Verfassung und Gesetz“ des ANC. Er ist Autor mehrerer akademischer und politischer Bücher zu Gesetzesfragen, unter anderem von „The Future of Roman Dutch Law in a Non-Radical Democratic South Africa“. Gleichzeitig schieb er autobiographische Bücher, unter anderem über seine Haft, „The Jail Dairy of Albie Sachs“ (von David Edgar für die Bühne der Royal Shakespeare Company bearbeitet) und über den Prozeß seiner Genesung nach einem Bombenanschlag, „Soft Vengeance of a Freedom Fighter„; das Buch wird im Laufe des Jahres in London (von Grafton) publiziert (sein US -amerikanischer Titel: „Running to Maputo“, bei Harper & Row).

Der folgende Text gibt das November-Gespräch über Südafrikas Zukunft in Auszügen wieder.

Index: Wie werden Sie das Problem der freien Meinungsäußerung in einer neuen Verfassung behandeln?

Albie Sachs: Rein formal gesehen ist das keine Schwierigkeit. Wir stellen uns vor, Grundrechte in einer Verfassung zu verankern, die bestimmte grundsätzliche Rechte und Freiheiten festschreibt und eine unabhängige Justiz etabliert, die ihre Einhaltung überwacht. Vorstellbar ist so etwas wie die (amerikanische) First-Amendment-Erklärung. Wenn das Parlament ein Gesetz verabschiedet oder Ausführungsbestimmungen erläßt, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken, könnte sich ein Bürger dann an die Gerichte wenden und das Gesetz oder den Erlaß zu Fall bringen. Dabei geht es übrigens nicht nur um das Recht der freien Rede, sondern umfassender um ein Recht auf Information. Das gesamte kolonial-rassistische System hatte ja zur Folge, daß Wissen und Information nicht nur von einer herrschenden Clique monopolisiert war, sondern von einer rassisch definierten, gesellschaftlichen Kaste. Teil des Kampfes gegen die Apartheid ist es, die Monopolisierung des Wissens zu durchbrechen und zu sichern, daß Nachrichten frei zirkulieren können.

Thabo Mbeki, der für die internationalen Beziehungen im ANC zuständig ist, sagte kürzlich auf einer Konferenz in Columbia, USA, daß nach den Veränderungen in Südafrika die Erwartungen der Menschen groß und die Ressourcen beschränkt sein werden. Dadurch stellt sich die Frage nach den Prioritäten. Man kann die Menschen entweder zum Stillsein zwingen und die Entscheidung über den Gebrauch der Ressourcen einer Elite überlassen, oder man versucht, die gesamte Bevölkerung in die Diskussion über den besten Weg einzubeziehen. Mbeki sprach sich sehr entschieden für letzteres aus. Insofern ist Freiheit der Rede und Information sehr viel mehr als nur der unbeschränkte Zugang zu Ideen. Sie ist ein integraler Bestandteil unserer Vorstellung von Regierung - ganz besonders wichtig in einem Land wie Südafrika, in dem die Masse der Menschen nie ein Recht hatte, gehört zu werden.

Aber wie frei kann die Meinungsfreiheit sein? Immerhin gibt es fünf Millionen Weiße. Dürfen sie weiterhin die Sprache des Rassismus sprechen? Wird es im Hinblick auf eine rassistische Sprache Restriktionen geben?

Nicht alle sind Rassisten, aber der Rassismus ist in ihrer Kultur und Psychologie tief verwurzelt. Ich denke, daß das grundlegende Prinzip, der Ausgangspunkt, die Freiheit sein muß - und jede Beschränkung muß gerechtfertigt werden. Unsere Vorstellung ist, daß wir jedem erlauben werden, frei zu sprechen. Es ist besser, wenn alles offen zutage liegt.

Gleichzeitig muß man im Kopf behalten, daß die Rassenfrage eine ganz entscheidende und ganz furchtbare Rolle im Leben der Menschen gespielt hat. So viel Kränkung und Entwürdigung ist damit verbunden, daß es ein äußerst heikles Feld bleiben wird, auf dem es um weit mehr geht als um das Recht auf freie Rede. Es berührt die Seele. Im Hintergrund lauert immer Gewalt. Die Diffamierung der Schwarzen ist untrennbar assoziiert mit Eroberung und Repression, Mord, Folter und Tränengas.

Einen provokativen und hetzerischen Angriff in einer Situation zu machen, in der die Menschen zu Gewalttaten bereit sind, geht weit über das Argumentieren für eine bestimmte politische Vorstellung hinaus.

Ich denke, wir werden uns hierzu die Gesetzgebung aller demokratischen Länder ansehen. Wie dort die Meinungsfreiheit beschränkt wird, wenn es sich um rassistische Diffamierung und Aufhetzung zu rassistischer Feinseligkeit handelt, werden wir sehr genau studieren und dann versuchen, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, an dem die Grenzen gesetzt werden. Hierzu hat man im ANC eine sehr entschiedene Haltung. Die neue Regierung und die neue Verfassung muß die Würde und Gleichheit aller garantieren. Das ist in sich ein positiver Wert und muß ebenso für die Weißen gelten. Tatsächlich könnten die Weißen die Hauptnutznießer einer solchen Schutzklausel sein.

Die genauen Formen einer Beschränkung müssen noch ausgearbeitet werden. Nach meiner Meinung sollte das Strafgesetz nur die letzte Zuflucht sein. Es geht nicht um eine Polizei-Angelegenheit, sondern um Fragen der Kultur und Gesellschaft. Der Umgang mit ihnen muß als erstes eine Zerstörung der Mythen, der faktischen und legalen Privilegien sein, die die überlegene Position der Weißen begründen und zu einer Ideologie der Überlegenheit der Weißen geführt haben. Die Existenz eines gewissen Maßes von Chauvisnismus müssen wir tolerieren, das gehört einfach zum rauhen Klima des politischen Lebens dazu. Überreaktion ist nicht unbedingt die beste Lösung des Problems.

In der Zerstörung der rassistischen Mythen müssen die Medien eine positive Rolle spielen und dabei helfen, einen nichtrassistischen way of life zu kreieren. Immerhin geht es um das Entstehen einer Nation. Und das geschieht nicht durch Proklamationen oder Verfassungen. Eine Verfassung kann nur dabei helfen, die Bedingungen zur Entstehung einer Nation zu schaffen. Man weiß, was das Fernsehen, was allein Nachrichtenberichterstattung bewirken kann. Gesetzliche Intervention, Bestrafung rassistischer Propaganda zum Beispiel, ist wirklich nur ein allerletztes Mittel in Situationen, in denen der öffentliche Friede bedroht ist und aufgrund hetzerischer Reden die Möglichkeit eines Ausbruchs von Gewalttätigkeiten besteht.

Sie haben im Sommer 1989 ein Diskussionspapier zur Verfassungsreform vorgelegt, das sich mit dem holländischen, römischen und dem britischen Kolonialrecht beschäftigt. Wie kann Meinungsfreiheit am ehesten garantiert werden?

Grundlage eines gesetzlichen Schutzes der Meinungsfreiheit ist die Verfassung. Und das wird schon einmal etwas Neues sein, denn wir hatten in Südafrika nie eine geschriebene Verfassung plus Menschenrechtserklärung. Das wird Teil unserer Kultur werden: ein verfassungsmäßiger Rechtsstaat und die Vorstellung, daß die Leute ihre Rechte per Verfassung einklagen können. In bezug auf das, was man „Gewohnheitsrecht“ nennt, hat Süfdfrika einen holländisch -römischen Rechtshintergrund, und zwar so, wie er im 17.Jahrhundert festgelegt wurde. Das ist nie reformiert worden, da die Kapkolonie britisch wurde, bevor Holland den napoleonischen Kode angenommen hatte. Insofern kann in südafrikanischen Gerichten bis heute das alte römische Recht als direkte Gesetzesquelle zitiert werden. Faktisch jedoch hat sich in den letzten Jahrhunderten ein südafrikanisches Recht durchgesetzt, in dem weder auf das holländische noch auf das römische Recht besonders häufig rekuriert wird. Wir nennen es meistens ganz einfach „Südafrikanisches Recht“.

Der Einfluß des englischen Rechts ist vor allem in Verfahrens- und Verwaltungsprozeduren groß gewesen, auch in Revisionsverfahren, was in Hinsicht auf die Rechte des Individuums nicht unwichtig war. Aber man findet in den meisten Gesetzessystemen sowohl autoritäre wie auch liberale Traditionen. Es gibt sie beide im englischen und im holländischen Recht. Und es gibt sie auch in der Praxis der Richter in Südafrika. Wir hatten viele eindeutig liberale Richter - und Massen von reaktionären, autoritären Richtern.

Freiheiten dürfen natürlich nicht von der Einstellung der Richter abhängen. Die Verfassung muß unmißverständliche Verhältnisse schaffen, in denen das Grundrecht auf Meinungs und Informationsfreiheit jenseits allen Zweifels steht.

Im europäischen „inquisitorischen“ Verfahren spielt der Richter bei der Examierung und Gewichtung der Beweise eine große Rolle, der Anwalt eine relativ geringe. Im englischen „gegnerschaftlichen“ Verfahren, manchmal auch „gladiatorisch“ genannt, wird den Anwälten überlassen, die Beweise zu produzieren. Die Wichtigkeit des Redens, Überzeugens ist größer als die der Aussagen auf Papier, das Kreuzverhör ist von fundamentaler Bedeutung, und der Richter ist eher ein Art Schiedsrichter als jemand, dem es um die Wahrheit geht.

Südafrika lehnt sich mehr an das englische Recht an, es ist Teil unserer Kultur; in den letzten Jahren hat sich die Regierung mehr dem inquisitorischen System zugeneigt, meist aus eher schlechten Gründen, um den Prozeß der Verurteilung zu vereinfachen zum Beispiel, besonders bei Anti -Apartheidaktivisten. Es gibt in unserer Gesellschaft eine starke Strömung, die gegen Entwicklungen dieser Art gerichtet ist und die auf die Prinzipien des englischen Rechts besteht.

Welche Zeitgrenze haben Sie sich gesetzt für einen ersten Entwurf von Empfehlungen zur Verfassung?

Ich bin Mitglied im Verfassungskomitee des ANC, wir sind etwa zwölf Leute und haben viele Jahre zur Verfassungsfrage zusammengearbeitet. Unabhängig davon leite ich ein Forschungsinstitut zur Verfassungsfrage Südafrikas, das dem Institut für Commonwealth-Studies an der Universität London angeschlossen ist. Im Verfassungskomitee ist uns ziemlich früh klar geworden, daß es nicht unsere Aufgabe ist, eine Verfassung zu entwerfen. Eine Verfassung repräsentiert die Souveränität des Volkes und muß von einer Körperschaft entworfen werden, die ein direktes politisches Mandat vom Volk hat. Die Verfassung soll alle binden, also muß sie auch aus allen hervorgehen. Das Prinzip muß sein, daß eine verfassunggebende Versammlung oder eine nationale Konferenz, die ihr Mandat durch allgemeine Wahlen erhalten hat, die Verfassung entwirft.

In der Zwischenzeit, so glauben wir im ANC, sollten wir einen Dialog mit den Menschen darüber beginnen, welches Fundament ihrer Meinung nach die neue Verfassung haben soll. Das kann man nicht der Nach-Apartheid-Gesellschaft überlassen, denn man braucht dafür eine informierte und wache Bevölkerung, die sagt, „hier ist, was wir wollen, dort sind wir bereit, Kompromisse zu machen“. Es hat bereits eine sehr breite Diskussion gegeben. Das nationale Exekutiv -Komitee des ANC hat ein Papier entworfen, das die Grundprinzipien eines neuen Verfassungsrechts in Südafrika darlegt: unteilbare Staatsbürgerschaft, Gleichheit aller Bürger in einem vereinigten Südafrika, das nichtrassistisch und demokratisch verfaßt ist und periodisch Parlamentswahlen abhält; ein Mehrparteiensystem, Garantie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und ein Grundgesetz; eine gemischte Wirtschaft, in der der Staat eine wichtige Rolle spielt, besonders in der Korrektur der großen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, die das Apartheidsystem hinterläßt; außenpolitisch geht es um Blockfreiheit - falls das in der heutigen Welt überhaupt noch eine Bedeutung hat - samt Mitgliedschaft in der OAU und in den Vereinten Nationen. Auch die Frage der traditionellen (Stammes-)Führerschaft wird berührt und viele andere Einzelfragen wie Frauenrechte und eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung mit dem Recht auf Streik.

Alle diese Punkte sind zu Verfassungsprinzipien erklärt worden, die, so meint der ANC, der Bevölkerung zur Diskussion vorgelegt werden müssen. Das war ganz lustig: Die Regierung ließ gleichzeitig eine offizielle Kommission die Frage eines Grundgesetzes für Südafrika diskutieren. Diese offizielle Kommission produzierte einen Bericht, der offiziell zirkuliert, während unser Papier nur inoffiziell zirkuliert und dabei hundertmal mehr Leser und Diskutanten hat. Man diskutierte in Gewerkschafts- und Gemeindeversammlungen, in großen und kleinen Gruppen im ganzen Land. Das ist sehr wichtig, denn Verfassung und Verfasungsrechte sind damit nicht mehr der alleinige Besitz von ein paar Rechtsanwälten und Experten; eine neue Verfassung ist kein Kuhhandel, der in irgendeinem verrauchten Hinterzimmer abgeschlossen werden kann. Sie ist das, wofür Menschen gekämpft haben und worüber sie sich ihre eigenen Gedanken machen; deshalb fühlen sie ganz zu Recht, daß sie als Bürger einen wichtigen Beitrag zu leisten haben, daß sie konsultiert werden müssen und zutiefst in diesen Prozeß involviert sind. Wenn es zu Verhandlungen in Südafrika kommt, wird die ANC-Seite davon ausgehen, daß sie ein Mandat hat.

Die Frage der Meinungs- und Redefreiheit ist sehr leidenschaftlich diskutiert worden. Die Idee, daß „Reaktionäre“ ihre krude Propaganda weiterbetreiben dürfen, ist für viele eine schmerzliche und schwierige Vorstellung. Und wir haben dazu gesagt, daß es besser ist, sie spucken ihren Müll offen aus, als daß sie in den Untergrund gehen. Man hat auch die Frage gestellt, ob alle Splittergruppen der schwarzen Bewegung weiter offen sprechen sollten. Und wir sagen, ja, natürlich sollen sie das, das genau ist es, was Freiheit der Rede bedeutet. Diese Diskussionen sind außerordentlich wichtig. In diesem Sinne bin ich ein sehr gegen meine eigene Zunft agierender Anwalt. Ich glaube an mein Handwerk und an unsere Aufgaben, aber ich glaube nicht, daß wir Rechte schaffen. Wir stellen die Rechte her. Das Volk schafft Rechte.

Haben Sie sich für den Bericht ein Zeitlimit gesetzt?

Das Zeitlimit setzt die Geschichte. Wir stellen uns vor, daß eine frei gewählte Versammlung die Verfassung ausarbeitet. Aber wir gehen mit dieser ANC-Position in die Verhandlungen. Freiheit der Rede wird eine der Schlüsselfragen sein, beim Übergang der Gesellschaft von Apartheid zur Demokratie.

Was denken Sie über die Unesco-Pläne für ein Nachrichtengesetz? Wäre das ein Schutz für die Meinungsfreiheit in Dritte-Welt Ländern?

Ehrlich gestanden habe ich mich mit den Papieren des New Information Order von der Unesco nie genauer beschäftigt, deshalb weiß ich nicht, welche konkreten Themen da behandelt sind. Was ich allerdings aus meiner Erfahrung in Mosambik weiß, wo ich bis 1988 - also in der Zeit der Kontroverse um die Unesco - gelebt habe, ist die Tatsache, daß ganz generell sämtliche Berichterstattung stark zugunsten der nördlichen Länder, der reichen, industrialisierten Länder ausfiel und daß über Afrika und afrikanischen Ereignissen entsetzlich schlecht berichtet wurde; dieses Gefühl teilten auch die Menschen dort, einschließlich der kritischen Journalisten. Einfach ist die Frage nach der Zensur: Wir sind schlicht dagegen.

Schwieriger wird es, wenn man weiß, daß zur Zeit drei Zeitungsgruppen 98 Prozent aller südafrikanischer Publikationen besitzen; sie beherrschen nicht nur die Verlage, sondern auch den Vertrieb, Verkaufs- und Lieferagenturen. Die Kontrolle geht von den Redaktionen bis zum Zeitungsverkäufer. Das ist eine Monopolisierung in ungeheurem Ausmaß.

Wir müssen über die einfache Aufhebung von bisherigen Regierungsrestriktionen und Zensurmaßnahmen hinausgehen und Mittel und Wege finden, wie wir Rundfunk und Zeitungen für andere Kreise öffnen. Zur Zeit ist das Fernsehen Staatsmonopol und wird als Propagandainstrument eingesetzt. Ein wenig hat es sich schon verändert, aber im Prinzip ist es immer wieder dem rassistischen Staat zur Seite gesprungen. Die Presse ist in den Händen weniger, deren Interesse der Profit ist. Es sind Weiße, und Profit heißt, an die Leute zu verkaufen, die das Geld haben. Ein Journalist drückte das neulich so aus: Zeitungmachen in Südafrika heißt nicht, Nachrichten an das Publikum zu verkaufen, sondern Zeitungsbesitzer verkaufen Kunden an die werbungsplazierende Industrie, wobei die Nachrichten als Köder dienen, um Kunden anzuziehen. Aber Kunden müssen Geld haben, und das heißt im Prinzip, es sind Weiße. Dieser Journalist ist auch Redakteur, und er erzählte, daß sein Auftrag ist, Seiten zusammenzustellen, die sich mit den Anzeigen für Unterwäsche und Möbel vertragen. Katastrophen harmonieren nicht mit dem Verkauf von Unterwäsche.

Das ist natürlich kein südafikanisches Phänomen; aber hier ist es doch in ein solches Extrem getrieben, wie man es woanders kaum finden dürfte; Konzentration des Besitzes und weißer Besitz ergänzen sich zu diesem extremen Zustand. Selbst die sogenannte Schwarze Presse ist ja in weißer Hand. Sie lassen eine Art Ghetto-Presse nebenherlaufen, für die sie schwarze Redakteure einstellen, die sich mit den Schwarzen besser auskennen. Landesweite Nachrichten sind und bleiben dabei weiße Nachrichten und behandeln alles vom Standpunkt der Weißen aus.

Wir müssen einen Weg finden, wie wir die Wahrnehmung selbst und die Berichterstattung allgemeingültiger machen können, wie wir entscheiden, was Nachrichtenwert für alle hat.

Wie das bewerkstelligt werden soll, ist nicht so leicht zu entscheiden, denn wir wollen bürokratische Eingriffe und Druck von oben möglichst vermeiden. Meiner Ansicht nach müssen Journalisten die Hauptrolle spielen, besonders schwarze Journalisten. Ein Vorschlag lautet, der Staat solle als seinen Beitrag zur Nachrichtenfreiheit die Druckereien subventionieren. Zu einer Kontrolle der Zeitungen darf das nicht führen. Die Druckereien sollen lediglich den Zeitungen zur Verfügung gestellt werden, sie selber müssen dann durch Verkauf, Werbung und Leserunterstützung überlebensfähig werden.

Das müßte dann aber ein ganz statischer Finanzierungsbeitrag sein. Alles andere würde ja wieder zu einer Art Willkür führen.

Das hat einer der Journalisten auch vorgeschlagen; er gab ganz zu Recht zu bedenken, daß man sonst schnell wieder angelangt ist beim alten „Wes‘ Brot ich eß, des‘ Lied ich sing“. Ich schlage dies auch nicht als Lösung des ganzen Problems vor. Wenn wir es allerdings ganz und gar dem Markt überlassen, dann würden die existierenden, äußerst verzerrt berichtenden Zeitungen mit all ihren Verzerrungen weitermachen. Sie würden die Interessen der weißen Redakteure, der weißen Besitzer und Manager und der weißen Leser, die ihre Hauptkundschaft ist, repräsentieren. Und das ist Apartheid als gesellschaftliche Erscheinung. Wir müssen Mittel finden, genau das zu zerstören.

Die 'Rand Daily Mail‘ wurde trotz ihrer hohen Auflage eingestellt. Die schwarze Bevölkerung kaufte diese Zeitung mehr und mehr - aber sie hatte nicht das Geld für die Waren, für die per Anzeigen dort geworben wurde. So etwas ist nicht akzeptabel. Die Zeitung war nicht einmal radikal, es war eine liberale Zeitung, ein Lichtblick im Dunkel der südafrikanischen Zensur.

Vermutlich eine sehr schwer zu beantwortende Frage: Haben Sie eine Vorstellung, wie die Phase der Vermittlung dieser Idee der Verständigung aussehen kann?

Die Hauptsache ist, daß die Menschen wissen, daß dies ihr Prozeß der Veränderung ist, daß sie den Schlüssel für Entscheidungen, für Tempo und Richtung der Veränderung haben. Nur das kann über einen Zustand, in dem jeder sich selbst der nächste ist, hinausführen.

Ich denke, man kann die Bevölkerung auf zweierlei Weise betrachten. Die eine Perspektive geht davon aus, daß die Leute dumm sind, und die andere, daß sie zu großer Klugheit und Common sense in der Lage sind.

Wenn man der Meinung ist, die Leute sind dumm, dann muß man ein autoritäres, manipulatives Regierungssystem aufbauen. Aber aufgrund unseres Kampfes für Demokratie in Südafrika können wir mit dem Common sense, der Großzügigkeit und Klugheit der Leute rechnen. Die Menschen müssen außerdem merken, daß ihr Leben sich wirklich und nicht nur symbolisch verbessert. Sehen Sie sich die Menschen an, die nach 25 Jahren aus dem Gefängnis frei kommen: was für ein überwältigender Sieg für sie! Sie haben ausgehalten, sie waren unüberwindbar, und die Ziele und Ideale, für die sie gekämpft haben, beginnen sich zu materialisieren. Wenn sich die politischen Führer so verhalten, dann heißt das natürlich nicht, daß es jedem möglich ist, aber es setzt ein Beispiel, das beruhigend und sehr ermutigend ist für unser Volk.

Die wirkliche Gefahr droht von den ultrrarechten, faschistischen Strömungen in der weißen Bevölkerung, denen daran liegt, Pogrome und ähnliches zu provozieren. Man muß ihren Provokationen unbedingt widerstehen lernen.

Eine Sicht auf Südafrika betont das Gegeneinander von Schwarz und Weiß, eine andere die von Schwarz gegen Schwarz. Wie realistisch oder unrealistisch ist letztere?

Dieses Gerede von Schwarz gegen Schwarz ist übertrieben. Das meiste daran ist die Spannung zwischen einer Klasse von Kollaborateuren, die von der Apartheidsstruktur Vorteile hat, und der Masse der Bevölkerung. Das werden Sie in jedem besetzten Land finden - und die Townships in Südafrika sind wie besetztes Gebiet. Sobald das Problem der Apartheid gelöst ist, wird sich auch diese gesellschaftliche Gruppe von Schwarzen, die sich mit der Apartheid identifiziert, auflösen. Mit anderen Worten: Die strukturelle Basis der Spannungen ist dann nicht mehr vorhanden. Der größte Teil der „schwarzen Gewalt gegen Schwarze“ ist in Wirklichkeit nicht stammesgebunden. Zum Teil ist das in Natal der Fall. Aber prinzipiell ist es auch dort so, daß Zulus Zulus bekämpfen, es sich also nicht um stammesgebundene, sondern höchstens innergesellschaftliche Konflikte handelt. Im übrigen ist deutlich, daß der Staat bei der Aufrechterhaltung dieser Spannung eine prominente Rolle gespielt hat; er hat sie nicht hervorgerufen, aber er hat auch nichts dafür getan, sie aufzulösen. Friedensgespräche sind immer wieder von staatlicher Seite verhindert worden; man hat Hausarreste gegen Leute verhängt, die friedliche Lösungen gesucht haben.

Es wird doch vermutlich viel Anstrengung nötig sein, um ein vollkommen anderes Bild zu vermitteln. Im weißen Europa herrscht eindeutig die rassistische Haltung vor, diese Konflikte - nicht nur in Südafrika, sondern in Afrika generell - als Stammeskonkurrenzen aufzufassen. Siehe beispielsweise die Berichterstattung über Nigeria. Man wird also viel Aufklärungsarbeit leisten müssen, die frustrierend, zeitaufwendig und teuer ist.

Nun ja, unser Hauptproblem ist nicht, Europa zu überzeugen. Selbstverständlich ist uns an guten Beziehungen zu allen Ländern weltweit gelegen, und in der Tat ist es ein bißchen bitter, wenn man sieht, wie sie Demokratie in China wollen, in Polen usw., und wenn die Rede auf Südfafrika kommt, halten sie Demokratie für einen höchst entnervenden Gedanken. Alle möglichen antidemokratischen Pläne werden da ausgeheckt, die besonderen Schutz der Weißen verlangen, Privilegien für die Weißen, Gruppen-Vetorecht und „Innere -Angelegenheiten„-Klauseln und wer weiß was noch alles. Wir wollen Demokratie in Südafrika, und wir glauben, daß sie funktionieren kann.

Das neue Südafrika ist auf kulturellem Gebiet sehr stark. Es gibt eine großartige Blüte bei Theater, Tanz und Musik und auch die visuellen Künste werden davon erfaßt - eine starke alternative Kultur. Ich habe vorhin schon die Gewerkschaften erwähnt. Die Gewerkschaftsbewegung ist hauptsächlich schwarz, aber in ihrer Gesamtperspektive ist sie nichtrassistisch, nicht regional gebunden und gewiß nicht an Stammeszugehörigkeiten. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung erklären sich als aktive Christen, und auch die Moslemische Gemeinde hat nichtrassistische Positionen eingenommen.

Es gibt so viele Traditionen in Südafrika. Sogar eine Mehrparteientradition, auch wenn sie nur für weiße Parteien gegolten hat. Aber immerhin gibt es sie und wird jetzt eben ausgeweitet auf alle und jeden. Eine andere Tradition ist die des Kampfes für die Freiheit der Presse, die geht zurück bis in die dreißiger Jahre des 19.Jahrhunderts. Wir müssen auch da nicht bei Null anfangen. Dieser Kampf ist immer prekär gewesen und war im wesentlichen nur für die Weißen und ihre Organisationen offen. Jetzt wollen wir es eben für alle möglich machen, für die ganze Bevölkerung. Die Idee ist da, wir müssen sie nur ausweiten. Das gleiche gilt für das Konzept der Legalität. Wir haben eine gewisse Tradition mit Gesetzlichkeit - festgelegte Verfahren nach dem Gesetz -, aber bisher war das eine weiße Angelegenheit, mit ständigen Rückfällen durch Ausnahmezustände, Suspension von Habeas -Corpus-Verfahren usw. Aber wir müssen es nicht erfinden, es gibt bereits Fundamente. Das alles sind Faktoren, die unsere Situation günstiger machen im Vergleich zu anderen Ländern, in denen man ein Minderheitenregime stürzen mußte.

Wir haben im übrigen auch in unserer eigenen Bewegung lange Traditionen. In gewissem Sinne ist es ein Vorteil des Exils, daß unsere Leute inzwischen überall in der Welt gelebt haben.

Ist das Ihre persönliche Entwicklung?

Zum Teil ist es persönlich, aber vor allem eine politische Entwicklung. Das fing vor der Perestroika an, zumindest bei mir fing es vorher an. Das ist durch die Entwicklungen in Osteuropa bestätigt worden, aber es wurde nicht durch sie hervorgerufen. Vielleicht ist es deshalb so tief in mir verwurzelt. Die Erfahrung, in Mosambik zu leben, war sehr wichtig, besonders in Hinsicht auf gesetzliche Fragen. Am Ende wollten die Menschen auch nichts anderes mehr, als auf die guten alten gesetzlichen Lösungen zurückkommen: Gerichte, die wie Gerichte funktionieren, mit Anwälten etc. Das hat die neuen Formen von „Gemeinde-Justiz“ nicht ausgeschlossen, die wir eingeführt haben und die auch Sinn machen, und übrigens aus einer starken afrikanischen Tradition stammen. Am Ende jedoch willst du, wenn du mit Gefängnis bedroht bist, einen richtigen Prozeß mit einem richtigen Anwalt, der dich verteidigt. Was ich gesehen habe, was die Menschen wollten - Diskussion, Regierungskritik und die Korrektur von Erlassen - hat mich überzeugt. Das hat immer mit Erfahrung zu tun. Es ist jetzt auch viel einfacher geworden, ehrliche Positionen zu beziehen, weil dieser Unsinn des kalten Krieges rapide am Verschwinden ist. Wir werden natürlich mit neuem Unsinn konfrontiert werden; die Idee, daß Geschichte endet, ist absurd. Aber im Prinzip glaube ich, daß das Neue ein großer Fortschritt ist, und es ist wirklich ein Glück, in dieser Zeit zu leben.