Israels Koalitionskarussell dreht sich weiter

Schamir, Chef des nationalkonservativen Likud, will „kleine Koalition“ mit Rechtsextremen bilden / Führer der Arbeitspartei über Strategie zur Verhinderung einer Rechts-Regierung zerstritten / Die radikalen Siedlerbewegungen sind Nutznießer des politischen Machtvakuums  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Schimon Peres, der glücklose Chef der Arbeitspartei, mußte am Donnerstag nach fünf Wochen vergeblicher Bemühungen sein Mandat zur Regierungsbildung niederlegen. Zum ersten Mal in der 42jährigen Geschichte des jüdischen Staates gelang es damit einem vom Präsidenten beauftragten Bewerber nicht, im Parlament eine Regierungsmehrheit zu finden. Nach dem „ewigen Verlierer“ Peres ist nun der noch amtierende Premierminister und Parteichef des rechtskonservativen Likud, Jizchak Schamir, am Zug. Den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung hat Schamir von Staatspräsident Chaim Herzog bereits erhalten.

Nach eigenen Angaben strebt Schamir eine „kleine Koalition“ an, für die er schon 61 der 120 Knessetmitglieder hinter sich haben will. Eine solche Regierung freilich könnte für Israel fatale Folgen haben. Denn Schamirs „kleine Koalition“ wäre zwangsläufig auf die tatkräftige Unterstützung rechtsextremer Kreise angewiesen. Die aber lehnen jeglichen Dialog mit Palästinensern kategorisch ab und träumen von einem Groß-Israel ohne Araber. Eine zunehmende diplomatische Isolierung des jüdischen Staates und das Ende des ohnehin festgefahrenen Friedensprozesses im Nahen Osten wären damit absehbar.

Die tief enttäuschte Arbeitspartei will nun, wenn sie schon keine eigene Regierung bilden kann, wenigstens eine solch gefährliche Rechts-Regierung verhindern. In den Führungsgremien der Arbeitspartei ist daher viel von „Einheit“ in den eigenen Reihen die Rede. Schließlich könne nur eine einige Partei das Schlimmste verhindern und eine rechtsextreme Regierung torpedieren. Doch wie immer, wenn Parteien von Einheit reden, ist der parteiinterne Dissens unübersehbar. Denn wieder einmal ist der schon seit langem schwelende Konflikt zwischen Peres und seinem parteiinternen und überaus populären Erzrivalen Jizchak Rabin aufgebrochen. Zwar will Rabin, ebenso wie Peres, eine kleine Likud -Regierung verhindern, aber über die Art und Weise, wie das zu bewerkstelligen sei, klaffen die Meinungen weit auseinander. Rabin meldete daher bereits erhebliche Zweifel an Peres‘ Konzept einer „kleinen Regierung des Friedens“ an. Er strebt dagegen eine „große Koalition“ von Arbeitspartei und Likud an. Diese solle dann das israelische Wahlrecht so ändern, daß die direkte Wahl des Ministerpräsidenten durch das Wahlvolk möglich ist. Eine solche Regierung, hätte auch weit günstigere Chancen, den Friedensprozeß gezielt und auf breiter Basis voranzutreiben.

Sollte nach dem fünfwöchigen Tauziehen um eine mehrheitsfähige Regierung nun auch Schamir bzw. eine Wiederauflage der „großen Koalition“ scheitern, dann stehen Israel Neuwahlen ins Haus. Ob diese aber ohne eine weitreichende Wahlreform das politische Patt beseitigen können, ist fraglich.

Profitiert von dem anhaltenden Machtvakuum haben bis jetzt nur die rechtsextremen Siedlergruppen, die die Gunst der Stunde nutzten und kurzerhand neue Kolonien in den besetzten Gebieten der Westbank und des Gaza-Streifens errichteten. Sogar im christlichen Viertel Ostjerusalem besetzten radikale jüdische Siedler einen der griechisch-orthodoxen Kirche gehörenden Gebäudekomplex. Der orthodoxe Patriarch hat als Protest gegen die widerrechtliche Besetzung die vorläufige Schließung wichtiger christlicher Heiligtümer angeordnet und die weltberühmte Grabeskirche schwarz beflaggen lassen. Auch die schweren Zusammenstöße im Gaza -Flüchtlingslager Dschebalya, bei denen am Donnerstag mindestens vier Palästinenser erschossen und mehr als 150 verletzt wurden, werden von politischen Beobachtern in direkten Zusammenhang mit der Stagnation jedweden Dialogs zwischen Israelis und Palästinensern gebracht. Die Unruhen, die im Anschluß an die Gebete aus Anlaß des hohen moslemischen Feiertages „Id al-Fitr“ ausbrachen, sind die schwersten seit mehreren Monaten. Hubschrauber, Panzer und sogenannte „Schotterwerfer“, eine originär israelische Erfindung, kamen dabei zum Einsatz. Für den Rest des „Id al -Fitr“, der das Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan anzeigt, wurde von den israelischen Behörden eine Ausgangssperre verhängt.