Tengelmann geh du voran

Mülheimer Lebensmittelkette führt als erste den Selbstbedienungsscanner ein / Wer einkauft, rechnet seine Waren künftig selbst ab  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Der Flirt mit der Kassiererin ist endgültig passe. Wer künftig im Supermarkt einkauft, muß vor allem eines: arbeiten. An der Kasse, die künftig „check out“ heißt, wartet statt der Kassiererin ein Computer-Bildschirm und ein Scanner: Der Kunde soll seine Waren künftig selbst abrechnen. Schon im kommenden Monat wird „Tengelmann“ als erster Supermarkt in der Bundesrepublik den Selbstbedienungsscanner einführen. Vorläufig noch als Pilotprojekt. Weitere ungenannte Supermärkte und Warenhäuser stehen angeblich schon auf der Warteliste, um Nixdorfs neuestes Abrechnungssystem ebenfalls zu testen. Der Selbstbedienungsscanner, so prophezeiht Nixdorfs Marketing -Experte Korder, werde das bundesdeutsche Kassenwesen in kurzer Zeit völlig verändern.

Das Prinzip ist einfach: Was bisher die Kassiererin machte, macht jetzt der Kunde. Mit dem gewinnbringenden Unterschied: der Kunde muß dafür nicht bezahlt werden. Der geht also an die Kasse und zieht dort eigenhändig Ware für Ware mit dem computerlesbaren Strichcode am Computerfenster vorbei. Wenn's piept, ist das Gekaufte ordnungsgemäß registriert. Wenn's nicht piept, leuchtet es auf dem Bildschirm digital: bitte „Vorgang wiederholen“. Sind alle Waren abgelesen, drückt der Einkäufer auf die „Ende„-Taste des Systems, erhält ein „Dankeschön“ vom Computer und - die Rechnung. Damit begibt er sich dann in die Warteschlange des Zentral -Kassenhäuschens. Hier wird bezahlt, hier laufen die Scanner -Absolventen aus mehreren Check-Outs zusammen.

Im Probebetrieb unter Life-Bedingungen habe man gute Ergebnisse erzielt, blickt Nixdorf-Sprecher Wolfgang Zimmer hoffnungsfroh in die Zukunft. Das reine Handling des Systems habe selbst bei völlig unbedarften Testpersonen prima geklappt. Auch die Omi könne mit dem Scanner klarkommen, wird versichert. Die Probeläufe hatten allerdings einen gravierenden Nachteil: Die Testpersonen klauen nicht.

Der Volkssport des Warenhausdiebstahls, der ungebremst um sich greift, muß in das neue Abrechnungssystem integriert werden. Was ist, wenn die Kundin das Kaviar-Döschen am Scanner vorbei in die Einkaufstasche schiebt? Überzeugende Abhilfen gegen die zarteste Versuchung sind den Nixdorf -Leuten bisher nicht eingefallen. Die derzeit favorisierte Lösung ist ein Wiegesystem. Der Rollwagen fährt am „Check out“ über eine Waage, die das Gewicht des Einkaufs festhält. Beim Abrechnen addiert der Computer die Einzelgewichte der bezahlten Waren, die am Ende in der Summe wieder das vorher registrierte Gesamtgewicht ausmachen müssen. Was aber schon vor dem Wiegen in der Einkaufstasche landet, wäre dann allerdings nicht erfaßt.

Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels sieht in der Einführung der Selbstbedienungsscanner vor allem eine Abwälzung der Arbeit auf den Kunden. Auch die Gewerkschaft HBV prophezeiht Akzeptanzprobleme, zumal an den Zentralkassen ein neuer Engpaß entstehen werde. Jörg Wiedemuth, Sekretär für Tariffragen der HBV, weist auf die Schwierigkeiten hin, die selbst routinierte Kassiererinnen häufig mit dem Scanner haben. Beschädigte oder zusammengezogene Strichcodes auf den Waren würden häufig zu Problemen bei der Ablesung führen. Hier will Nixdorf mit „deutlich verbesserten Systemen“ und notfalls mir der „Hilfe„-Taste helfen. Wer beim Handling in Not gerät, kann also SOS geben und den Spezialisten ordern. Und was ist, wenn zwei oder drei Kunden gleichzeitig um Hilfe rufen? Da wird Einkaufen zum Abenteuer...

Die HBV - und nicht nur sie - bleibt jedenfalls mißtrauisch. Sie will die Einführung der neuen Installationen „sehr sorgfältig begleiten und anschauen“. Da die Mitarbeiter in den Zentralkassen künftig quasi eine Bankangestellten-Tätigkeit ausüben, müßte auch die tarifliche Einstufung dieser Kräfte überprüft werden. Fazit der HBV: Die Selbstbedienungsscanner seien „relativ dubiose Projekte“, die, so Wiedemuth, nur auf Personalkosteneinsparung abzielten und der Kundschaft nichts bringen würden.

In den USA sind solche Systeme in einigen Märkten schon vor zwei Jahren eingeführt worden. Mit zweifelhaftem Erfolg. Am Rande der letzten „Cebit“ in Hannover berichteten Branchenkenner von kräftigem Chaos in den US-Märkten, weshalb die Systeme dort eher wieder auf dem Rückzug seien.

Dadurch vorgewarnt, favorisiert Nixdorf eine behutsame Einführung. Anfangs soll mit gemischten Check-Outs gearbeitet und den Kunden Selbstbedienungsscanner und besetzte Kassen zur freien Auswahl angeboten werden. Offenbar wird darauf spekuliert, daß der Kunde bei entsprechenden Warteschlangen an den menschlichen Kassen von selbst auf Do-it-yourself ausweicht.

Tengelmann selbst behandelt seine Scanner-Einführung derweil wie ein Staatsgeheimnis. Ort und Zeit des ersten Probelaufs wollte man der taz nicht mitteilen.