Ost-Berlin verfrachtet Rumänen in Kaserne

■ Viele neue Flüchtlinge kommen zum Bahnhof Lichtenberg / Krisensitzung des Magistrats am Samstag abend / In der Kaserne fehlen Soldaten zur Betreuung

Ost-Berlin. Auf einer Krisensitzung am Samstag abend haben Vertreter aus der Regierung, der Kommunalverwaltung und der Polizei versucht, den weiter angestiegenen rumänischen Flüchtlingszustrom in den Griff zu bekommen. Sie verfügten die Einweisung der obdachlosen Rumänen in eine Armee -Kaserne. Noch in derselben Nacht wurden weitere DRK-Kräfte und Offiziere der NVA mobilisiert, um weitere Rumänen, die in einer bereits überfüllten Turnhalle keinen Platz mehr fanden, für die Nacht unterzubringen.

Erst vor wenigen Tagen war die Kaserne geräumt worden, um das Gebäude an einen zivilen Betrieb abzugeben. Die plötzliche Entscheidung stellte die diensthabenden Armeeoffiziere in der Nacht jedoch vor allem in personeller Hinsicht vor große Probleme. Die neue Regelung zum Zivildienst, per schriftlicher Absichtserklärung aus dem bewaffneten Dienst ausscheiden zu können, hat innerhalb kürzester Zeit zu einem radikalen Abbau von Soldaten geführt. Am Samstag standen deshalb nur wenige Soldaten für den befohlenen Hilfs- und Sondereinsatz zur Verfügung. In einer ähnlichen Lage befindet sich die einstige promilitärische Zivilverteidigung, die inzwischen ihre Uniformen abgelegt hat und Zivilschutz heißt. An diesem Abend konnten deshalb lediglich elf Mann von den Grenztruppen abkommandiert werden, die ihre nahe Entlassung gefeiert hatten und betrunken vom LKW fielen.

Da es sich um eine Kaserne in einem militärischen Objekt handelt, muß zusätzlich die Bewachung von bestimmten Bereichen gewährleistet sein - auch dafür hatte man zu dieser nächtlichen Stunde keine Lösung. Es ist noch nicht einmal klar, ob die Rumänen überhaupt bereit sind, in ein mit Stacheldraht umzäuntes „Lager“ zu ziehen. Ihr Mißtrauen ist groß und sie flüchten lieber zurück in das anonyme Leben auf dem Bahnhof, als sich namentlich registrieren zu lassen.

Für das bisher immer wieder auf Ministerratsebene verdrängte Problem fand man also wieder nur eine Scheinlösung. Auch die Turnhalle stand nur bis Sonntag früh zur Verfügung und war bereits am Samstag mit gut 250 Personen überbelegt. Die Freiwilligen vom DRK und die zwei Dolmetscherinnen teilten sich die Arbeit in einem nervenaufreibenden Zwölfstundendienst und sahen sich vor schlichtweg unlösbare Probleme gestellt. Viele der Rumänen müssen in ärztliche Behandlung gebracht werden. Die Art der Verletzungen reicht von Schußwunden bis zu blutigen Füßen einige Menschen haben kein passendes Schuhwerk und kleine Kinder oft überhaupt keine Schuhe. Überhaupt haben die meisten nur sehr wenig Kleidung und scheinen mehr Hals über Kopf das Land verlassen zu haben wie beispielsweise eine Großmutter mit vier Enkelkindern, deren Eltern nach Aussage der alten Frau erschossen wurden. Die schlechte wirtschaftliche Lage in der sich die meisten befinden, ist jedoch nur eines der kleineren Probleme. Während einige der Flüchtlinge offensichtlich über etwas Geld verfügen, ist der weitaus größere Teil der Rumänen bitterarm und kommt aus sehr niedrigen sozialen Schichten. Einer von Ihnen unterzeichnete zum Beispiel ein Polizeiprotokoll mit seinem Daumenabdruck; die Bewohner des umliegenden Wohngebietes beklagen sich über bettelnde und hausierende Rumänen. Selbst wenn man die DDR-Bürger darauf hinweist, daß sich in Zeiten der Massenflucht im letzten Sommer Tausende von DDR-Bürgern die Hilfe Ungarns und internationaler Hilfsorganisationen in Anspruch nahmen, ist damit der soziale Sprengstoff, der sich hier anstaut, nicht bewältigt. Zu befürchten sind Regierungsentscheidungen, die dem Trend von Panikentscheidungen und Scheinlösungen folgend, einen stark restriktiven Charakter tragen. Sowohl Rumänen, die die schlechte wirtschaftliche Situation der Familie durch eine zeitweilige Arbeit im Ausland verbessern wollen, als auch Minderheiten, die vor der Unterdrückung fliehen, werden weiterhin auf dem Bahnhof Lichtenberg eintreffen.

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