Utopie und Trümmer

■ „Das Plakat“, 1. Mai, ZDF, 20.15 Uhr

Wien im April 1945. Maschinengewehrknattern und Rückzugskommandos deutscher Soldaten hallen durch zerbombte Gassen. Letzte, sinnlose „Verteidigungsgefechte“ erschüttern die Stadt. Auf Hüfthöhe stolpert die Handkamera mit den von russischen Truppen aufgeriebenen Soldaten an einer Uferböschung entlang. Nach einem Sprung in den Donaukanal entgeht der Deserteur Karl Blahe (Helmut Berger) mit knapper Not dem Todesschuß seines Offiziers. Wenige Straßen entfernt bangt Karls hochschwangere Frau Olga (Annette Uhlen) im Luftschutzkeller um ihren Mann, während der biestige Hitlerjunge des Hausmeisters bis zuletzt fanatisch „Die Fahne hoch“ plärrt.

Mit den Friedensglocken kommt Olgas und Karls Sohn Rudi zur Welt, doch der frischgebackene Vater hat anderes im Sinn als trautes Familienglück. „Wer als erster auf dem Plan ist, dem gehört die Zukunft“: Nach diesem Motto schließt er sich seinen alten Genossen an. Enttäuscht muß der gelernter Drucker feststellen, daß ihm beim Wiederaufbau in der von seinem fixen Schwager bereits straff organisierten Vereinigung „nur“ die Aufgabe zukommt, ein Plakat für den 1. -Mai-Aufmarsch herzustellen. Da die Militärregierung politische Propaganda untersagt, wird das Plakat beschlagnahmt, in einem (mit Dietmar Schönherr als hilfreichem Weltkriegsveteranen etwas zu boulevardesk inszenierten) Husarenstreich wieder entwendet und doch noch pünktlich geklebt.

Die in ausdrucksvollen Schwarzweißbildern fotografierte, zwei Mio. Mark teuere ORF-ZDF-Co-Produktion aus dem vierteiligen „Arbeitersaga„-Zyklus beeindruckt über weite Strecke durch vielschichtige und pointierte Beobachtungen. Da verkleidet sich der Nachbar während einer ausgelassenen Feier mit einer Damenperücke und wird von betrunkenen russischen Soldaten fast vergewaltigt. Im gleichen Atemzug trägt ein anderer russischer Soldat den ausgezehrten, im KZ ermordet geglaubten Schwager Max (Erwin Leder) durch die Tür.

Bedrohung, Angst und Wirrnisse der letzten Kriegsstunden werden unmittelbar abgelöst von der Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft, die sich in der mühevollen Beschaffung des Papiers, der detaillierten Darstellung des Druckvorganges sowie der liebevollen Inszenierung des Plakats zum Symbol verdichtet. Die beflissenen Drucker Karl und Max werden jedoch von einem Altnazi denunziert und Oberkommandant Strachow (Gert Voss) vorgeführt. Mit einer kleinen Handbewegung verfügt der ihre Abführung ins Gefängnis, worauf Max direkt in Ohnmacht fällt. Eine in ihrer Prägnanz erschütternde, für den Film leider nicht immer typische Szene, die die gesamte Geschichte des KZ -Häftlings Max in der Wirkung einer beiläufigen Handbewegung aufblitzen läßt.

Durch die Entwicklung in der DDR erlangt „Das Plakat“ eine unfreiwillige Aktualität, denn von der Utopie eines sozialistischen Staates bleibt nur eine wehmütige Erinnerung.

Manfred Riepe