Maitre Jacques's Heiligenschein

Tischtennis-Europapokal der Landesmeister: Levallois Paris - ATSV Saarbrücken 5:3  ■  Von Günther Rohrbacher-List

St. Ingbert (taz) - Um 580 nach Christus hielt St. Ingobertus Einzug in die saarpfälzischen Lande und gab dem verschlafenen Städtchen St. Ingbert seinen heiligen Namen. Hier, 10 Kilometer vor den Toren Saarbrückens, trägt der ATSV seine Bundesliga- und Europapokalspiele aus. Im Cupfinale gegen den französischen Meister UTC Levallois hielt ein moderner „Heiliger“ seinen Einzug: Jacques Secretin, 41 Jahre alt, 27 Jahre international aktiv, Einzeleuropameister 1976 und 41facher französischer Champion im Einzel, Doppel und Mixed, ging zum letzten Mal im großen Tischtennis an die Platte. „Maitre Jacques“ will künftig nur noch in der französischen Liga spielen.

Secretin, von einfallslosen Machern der Saarbrücker Clubzeitschrift als „Nationalheros“ tituliert, war sich vor der Begegnung mit den Saarländern sicher, daß der Pokal mit nach Paris gehen würde. „Nous gagnons!“ war sein knappes Statement, und dabei zeigte er verschmitzt auf die 500 mit angereisten Unterstützerinnen und Unterstützer aus der nahen Heimat. Die machten denn auch einen Lärm, der so manches müde Fußballteam hätte stimulieren können. Zwei Trompeter und ein exzellenter Perkussionist intonierten passend zur Situation vor dem jeweiligen Spiel meist höchst unfranzösische Weisen.

„We are the champions“

Hongkong-Chinese Lo Chuen Tsung wurde mit dieser selbstbewußten Vorgabe nicht fertig und unterlag dem rappeldürren Saarbrücker Ungarn Andras Podpinka. Dabei ließ sich Lo von der Technik überlisten, denn seine anfängliche Führung zeigte die Elektronik falsch an. Nach kurzer Spielpause hing der Chinese dann völlig durch, und Saarbrücken führte schnell 1:0. Secretin sah kopfschüttelnd zu, wohl ahnend, was da auf ihn zukommen würde, und hatte dann gegen Xie Saike, ehemals chinesischer Mannschaftsweltmeister, Glück, überhaupt ein paar Pünktchen zu ergattern: 5:21 und 8:21, die französischen ZuschauerInnen sahen es mit Demut. Ihr „cheri Jacques“ tat ihnen schlicht leid, so vorgeführt worden zu sein.

„When the saints

go marchin‘ in“

Die gleiche Erfahrung machte auch Saarbrückens Oldie Peter Engel. Der 36jährige begleitete seine Fehler und Unkonzentriertheiten mit permanentem Kopfschütteln und Schimpfen und verlor gegen den WM-Dritten von Göteborg, Jean -Philippe Gatien. Beim Spielstand von 3:2 für den ATSV Saarbrücken kam nun dem Match Engel gegen Secretin eine vorentscheidende Bedeutung zu. Engel, vorher über Secretin: „Gegen den habe ich früher immer verloren, aber der wird auch nicht mehr der alte Tiger sein.“ Doch die Franzosen hatten ja ihre Musiciens mit.

So wie es einem Jacques Secretin gebührt, wurde er begrüßt. Und von wegen alter Tiger! Zwei Matchbälle wehrte er im zweiten Satz ab, ganz cool, gewann denselben und zwang Engel in einen zermürbenden dritten Durchgang. Das war nicht das hochklassigste Spiel, das demonstrierte Gatien gegen Xie Saike, als er einen 8:16 Rückstand im entscheidenden Satz aufholte und in einem irren Spielrausch mit 21:17 siegte. Aber Secretin und Engel boten höchste Dramatik, machten beide ihre Fehler abwechselnd und gestalteten so das Match bis zum letzten Aufschlagwechsel spannend, wie einen guten Krimi. Und Maitre Jacques zeigte Gefühl, einmal, als Engel 17:18 herankam. Da stand ihm der Schock im Gesicht. Doch dann zogen sie wieder ein, die Saints und halfen dem alten Mann aus Levallois und dem „Unisport Tennis de Table“ zum 3:3-Ausgleich.

Das letzte und endgültig entscheidende Spiel gegen Andras Podpinka blieb dem charmanten Schmeichler Jacques, der zuweilen auch ein Schwätzchen mit seinen Zuschauerinnen und Zuschauern hielt, erspart. Gatien bezwang Xie Saike, und Engels Kraftquellen versiegten gegen Lo Chuen Tsung. Jetzt flippten Trommler und Trompeter völlig aus, verborgene Trikoloren tauchten im Dutzend auf und die französischen KollegInnen von 'L'Equipe‘ eilten in den Innenraum. Ziel: Jacques Secretin, Interviewobjekt, Autogrammopfer, Glückwunsch- und Blumenempfänger. „Ja, wir haben gewonnen, wie ich es gesagt habe, aber die Chance war doch 50:50“, wiegelte der Überglückliche („je suis heureux“) allzu überschwengliche Landsleute ab.

Derweil schauten die Saarbrücker betroffen und belämmert drein, voran Georg Rebmann, ein schwergewichtiger Sportmarketing-Manager, der bei fast allen saarländischen Spitzenvereinen seine massige Gestalt im Spiel hat und der vor der Auslosung, die über das Heimrecht entschied, versucht hatte, diese zu umgehen und das Spiel für 40.000 DM zu kaufen. Doch letztlich triumphierte das Tischtennis des Herzens über das des Geldes, und Saarbrücken hatte einen komfortablen Vorsprung nicht nutzen können. Ihnen fehlte an diesem langen Nachmittag in der stickigen Halle bei St. Ingobertus der rettende „Heilige“, eben ein „Maitre Jacques Secretin“. Dem ATSV bleibt die Chance, am 1. Mai das 9:5 aus dem ersten Meisterschafts-Play-off gegen Düsseldorf auswärts zu bestätigen und das Finale gegen den Nachbarn TTC Grenzau zu erreichen. Wäre man dort siegreich, führte das Los eventuell erneut den ATSV Saarbrücken und UTC Levallois zusammen, ohne „Saint Secretin“.