In der DDR ist Kommunalpolitik derzeit kein Renner

■ DDR-Parteien versuchen vergeblich ihr Volk für die Kommunalwahlen zu begeistern / Doch Kommunalpolitik ist derzeit kaum Thema

Während die Band auf dem Podium - immerhin verfremdet - die BRD-Hymne aufspielt, hält der SPD-Oberbürgermeisterkandidat für Berlin (Ost) Einzug in den Saal. In seiner Begleitung, der Regierende, Berlin (West), Walter Momper und die neue SPD-Sozialministerin Hildebrandt. Die Besetzung ist typisch für die Veranstaltungen im Vorfeld der Kommunalwahl am 6. Mai: Die Ministerin soll Auskunft geben über das, was die Leute derzeit beschäftigt: die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze, die soziale Abfederung der kommenden Marktwirtschaft - nicht gerade klassische kommunalpolitische Themen. Die Westprominenz dagegen soll die wahlkampfmüde Bevölkerung schon wieder zum Urnengang motivieren. Momper versucht, der weitverbreiteten Lethargie entgegenzusteuern: Klar, für die wahlkampfungeübten DDRler seien vier Monate Wahlkampf schon 'ne ganze Menge. Er selbst habe allerdings ganze zwei Jahre lang Wahlkampf betrieben, bevor er am 29. Januar 1989 seinen Wahlsieg einfahren konnte. - Na und? Momper reißt an diesem Abend im Berliner Kleeblatt keinen von den Stühlen. Wenn überhaupt Politik derzeit interessiert, dann sind es die Folgen der „großen“ Auseinandersetzung, der Umtauschkurs, der Termin für die Währungsunion, die Arbeitsplätze.

Gewählt werden am kommenden Sonntag 216 Kreistage, 615 Stadtverordnetenversammlungen sowie 6.945 Gemeindevertretungen. Insgesamt sind 119.652 Mandate zu vergeben. Kein Wunder, daß der Bruch mit der jahrzehntelangen Tradition der Einheitsliste der Nationalen Front die neuen Parteien bei der Besetzung ihrer Kandidatenlisten in ziemliche Bredouille bringt. Auf Kreisebene schafften es nur CDU und SPD, flächendeckend anzutreten. Die DSU etwa konnte nur in den drei südlichen Bezirken Suhl, Leipzig und Dresden KandidatInnen für alle Kreisverordnetenversammlungen benennen. Die Bürgerbewegung Neues Forum kandidiert immerhin noch für etwa 60 Prozent der Kreisvertretungen.

Nach dem im März erlassenen Kommunalwahlgesetz sind diesmal, anders als bei den Volkskammerwahlen, neben den Listen von Parteien und Bewegungen auch Einzelkandidaturen möglich. Jede/r BürgerIn, die im Vorfeld 200 Unterschriften oder fünf Prozent der Stimmberechtigten für sich gewinnt, darf am 6. Mai kandidieren. Kehrseite dieser bürgernahen Regelung: die als Partei in der DDR noch immer verbotenen „Republikaner“ können über den Weg der Einzelvorschläge in die kommunalen Vertretungen einziehen. Mancherorts dürfte die Möglichkeit der Einzelkandidatur für ziemliche Verwirrung sorgen. So stehen allein im Landkreis Leipzig 211 Einzelvorschläge zur Wahl.

Die Möglichkeit zu Listenverbindungen hat - zumindest auf Kreisebene - nicht zum Bruch parteipolitischer Fronten geführt. So tritt die CDU häufig mit dem Demokratischen Aufbruch und - wesentlich seltener - mit der DSU auf einer gemeinsamen Liste an. Die SPD bewirbt sich insgesamt sechsmal gemeinsam mit dem Neuen Forum. Oft stehen Listenverbindungen aus landesweit agierenden Bürgerbewegungen und lokalen Initiativen zur Wahl. In Schwedt haben sich Demokratie Jetzt, die Grünen und die Unabhängigen Frauen zusammen mit der Freiwilligen Feuerwehr auf einer Liste eingefunden. Auch eher skurrile Verbindungen streben in die Parlamente: In Berlin kandidiert der „Bund der Diabetiker“. Andernorts wollen der „Verband der Berufssoldaten“ oder ein „Verband der Ärzte und Zahnärzte“ die Wähler von ihrer kommunalpolitischen Kompetenz überzeugen.

Angesichts dieser inflationären Bewerberlage ist heute fast vergessen, daß sich vor einem Jahr an der Frage alternativer Kandidaturen zu den kommunalen Einheitslisten die DDR -Opposition ertmals landesweit zu formieren begann. Die Forderung nach sanktionsloser Gewährung des geheimen Wahlrechtes und schließlich der Aufruf zum Wahlboykott fanden - erstmals über die oppositionelle Szene hinaus Zustimmung. Die von den örtlichen Initiativen belegte Wahlfälschung entwickelte sich zum Kristallisationspunkt für die im Herbst erfolgreiche Systemopposition.

Auch diesmal hat der Wahlgang mit Kommunalpolitik wenig zu tun. Die PDS-Parole: „Die Regierung ist fern, der Bürgermeister nah“, mit der die SED-Nachfolgerin die spezifische Bedeutung kommunaler Politik und Verantwortung hervorheben will, geht jedenfalls haarscharf an der derzeitigen Stimmung vorbei. Selbst wo die klassischen kommunalpolitischen Problemfelder Wohnungspolitik, Kinderbetreuung oder Jugend- und Gesundheitseinrichtungen zur Diskussion stehen, können die künftigen KommunalpolitikerInnen angesichts der unberechenbaren Vorgaben und Handlungsspielräume der Berliner Zentralregierung nur im Nebel stochern - oder das Blaue vom Himmel herunter versprechen. Nicht einmal die früher üblichen kleinen Geschenke für wahlkonformes Bürgerverhalten - hier eine Wohnungszuweisung, da ein Kinderspielplatz, werden diesmal vergeben.

Was die örtlichen Probleme betrifft, herrscht meist breiter Konsens. Doch auf die Frage, wie der beklagte Wohnungs- und Umweltnotstand behoben, die marode Infrastruktur saniert werden sollen, verfallen die KandidatInnen auf Allgemeinplätze. Beispiel Jena: Der CDU-Kandidat kündigt an, er werde als erste Amtshandlung einen Kassensturz machen. Was das allerdings für die 6.000 WonungsantragsstellerInnen bedeutet, bleibt offen. Auch die drängende Forderung, das örtliche Kraftwerk, das wegen seines zu niedrigen Schornsteins den Jenaer Kessel mit dicker Luft versorgt, künftig nicht mehr mit hochgradig schwefelhaltiger Braunkohle zu betreiben, betrifft zwar die Lebensqualität der Stadt, überschreitet aber schon die Kompetenz der Kommunalpolitik.

Mit Wahlprognosen scheint man in den Parteizentralen diesmal noch vorsichtiger als vor den Volkskammerwahlen. Die SPD glaubt, nach ihrem miserablen Ergebnis vom 18.März diesmal zulegen zu können. Ähnliche Prognosen verbreiten die Bürgerbewegungen. Doch auch für die CDU, die im Vereinigungspoker bislang die sozialen Ansprüche der DDR -BürgerInnen hochhält, ist ein Einbruch keineswegs vorprogrammiert. Eine Konstante zur Volkskammerwahl zeichnet sich jedenfals auch diesmal ab: Eine Woche vor der Wahl sind über die Hälfte der WählerInnen noch unentschieden.

Matthias Geis