Bruderzwist um Nato-Mitgliedschaft

■ Sowjetunion und DDR sind sich uneinig über Nato-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands / De Maiziere für Einbeziehung, Gorbatschow strikt dagegen / Vieraugengespräch brachte keine Klärung / DDR-Ministerpräsident für Änderung von Strategie und Struktur der Nato

Moskau (dpa/taz) - DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere ist es bei seinen Gesprächen mit dem sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow nicht gelungen, Differenzen in der Frage der Bündniszugehörigkeit eines vereinten Deutschlands auszuräumen. „Da war heute ein Dissens erkennbar, daran müssen wir noch arbeiten“, sagte er am Sonntag zum Abschluß seiner zweistündigen Unterredung mit dem Kremlchef vor der Presse in Moskau. Doch er betonte, daß „der Prozeß der Vereinigung nicht schwerer, sondern eher leichter“ geworden sei.

De Maiziere, der den Besuch als „gut und nützlich“ bezeichnete, erklärte, daß Gorbatschow einer Nato -Mitgliedschaft Deutschlands erneut eine Absage erteilt habe. Es müßten andere Kompromißformeln gefunden werden. Der Ministerpräsident wiederholte die Auffassung der DDR -Regierung, daß eine Nato-Mitgliedschaft nur in Frage komme, wenn das westliche Bündnis „Struktur und Strategien“ darunter die der Vorwärtsverteidigung und der flexiblen Antwort - ändere. Gorbatschow habe gesagt, wenn diese Veränderungen vorgenommen würden, dann könne man „anfangen, weiter darüber nachzudenken“. Er fahre indes „mit einem guten Gefühl nach Hause“. Die von dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse angeregte Doppelmitgliedschaft in beiden Bündnissen sei „neu und im Moment für uns noch nicht handhabbar“, fügte de Maiziere hinzu. Eine Neutralität sei „keine Lösung“.

Sowjetische Bedenken gegen eine Vereinigung auf Grundlage des Grundgesetzartikels 23 hätten „keine zentrale Rolle“ gespielt. Er stehe jedoch auf dem Standpunkt, daß es sich hierbei um einen „inneren Aspekt“ handele, sagte der DDR -Premier. Mit Gorbatschow sei Einverständnis darüber erzielt worden, daß die „Gestaltung der inneren Aspekte der Einigung Sache der Deutschen“ sei. Im Wirtschaftsbereich betonte de Maiziere das Interesse der DDR an Fortsetzung und Ausbau der Beziehungen. Er habe Befürchtungen Moskaus widersprochen, daß Wirtschaftsverträge nicht eingehalten würden. Eine von sowjetischer Seite angeregte Beteiligung westdeutscher Vertreter an Wirtschaftsgesprächen sei „angedacht“ worden.