„Der Himmel ist auf unserer Seite“

■ 25 Grad im Schatten und der Trotz gegen das Kreuzberger Bezirksamt sorgten für Riesenauflauf im Görlitzer Park / Fest verlief friedlich / Die Polizei hielt sich im Hintergrund und versteckte sich in den Nebenstraßen

Kreuzberg. Den besten Überblick hatten - zumindest bis Redaktionsschluß - die „Freunde und Helfer“. Drei Stative mit Kameras und entsprechend imposanten Objektiven zierten gestern nachmittag das höchste Hausdach in der Wiener Straße. Was immer sich unten im Görlitzer Park abspielte, die Olivgrünen haben es auf Zelluloid.

Man wollte sich das Fest nicht verbieten lassen - und man ließ es sich auch nicht verbieten. Noch vor Ende der Kundgebung der „revolutionären Maidemonstration“ am Kottbusser Tor standen die ersten Tische auf dem Parkgelände. Lastwagen fungierten als Bühnenersatz für die Musikgruppen. Als die Ostberliner Musikband „Die Firma“ auf der Ladefläche loslegt, strömen immer noch Menschen aus dem Demozug und den umliegenden Häusern auf das Parkgelände. An den Zäunen prangen Transparente „Fünf Monate Hungerstreik Solidarität mit der GRAPO“, „Zerschlagung und Auflösung aller Naziparteien“, „Gegen den männerbestimmten Alltag“. Eine Durchsage vom Lautsprecherwagen sorgt kurz für Verwirrung. Man solle sich von den Verstecken fernhalten, die seien entdeckt und würden observiert. Die Umstehenden rätseln, ob es sich hier um „verbuddelten Alk“ oder Schärferes handelt.

Tausende verteilen sich über das Parkgelände und auf dem Dach des Spreewaldbades. Die Sonne knallt. „Die Bullen haben sich gewünscht, daß es schifft, aber der Himmel ist auf unserer Seite“, triumphierte einer der Redner schon zu Beginn der Demonstration. Man zieht sich alles rein - das Bier, die Musik, die Sonne. Nirgendwo Vermummung Entblößung bestimmt das Bild. Dementsprechend schwach ist die Reaktion auf einen Aufruf während einer der Musikpausen. Man möge sich um 17 Uhr vor dem türkischen Konsulat einfinden, um gegen den Polizeiterror in Istanbul anläßlich der 1.-Mai-Demonstration zu protestieren. Dafür verlassen wenig später zahlreiche Mitglieder von Streetgangs das Gelände. Nicht etwa, um dem eigenen Konsulat einen Besuch abzustatten: Die Polizei hatte am frühen Nachmittag in Lichtenrade Skinheads gesichtet (siehe auch Bericht in dieser Ausgabe).

„Die neue Hure macht schon unter jeder neuen Fahne die Beine breit“, singt „Die Firma“ und verabschiedet sich anschließend. „Wir müssen jetzt rüber zum Käthe-Kollwitz -Platz.“ Wer keine Lust auf Sonnenbaden hat, schlendert mit Bierdose in der Hand durch Hitze und Staub. Infostände mit Flugblättern, Büchern und Broschüren zu Südafrika, Sexismus und Shell, Intifada-T-Shirts und Haßkappen. Dazwischen türkische Kinder, die Spielzeugautos und Comics auf irgendeinem Steinbrocken zum Verkauf ausgebreitet haben. Wer schnell schaltet, besorgt sich eine Palette mit Bierdosen und schlägt sie los - für 90 Pfennig, Preistendenz steigend. „Kein Alk“ heißt es am Anfang noch an den Parkeingängen. Ein türkischer Händler muß mitsamt Schultheiss-Palette das Feld räumen und außerhalb des Geländes weiterverkaufen. An der Mauer zum Park steigt der Alkoholkonsum.

Das Fest breitet sich schließlich bis zum Lausitzer Platz aus. Menschentrauben vor sämtlichen Kneipen, die sich an der Präsenz der Olivgrünen kaum zu stören scheinen. Die Tankstelle an der Görlitzer - Ecke Skalitzer Straße haben sie prophylaktisch in eine Wagenburg verwandelt - spitzfömig von Wannen eingekeilt und zusätzlich noch eingezäunt.

Am Görlitzer Bahnhof bewachen Polizeibeamte ein Schlagloch in der Straße, als handele es sich um die Deutsche Bank. Im nichtrevolutionären Teil der Oranienstraße - zwischen Moritzplatz und Lindenstraße, wo sozialer Wohnungsbau das Bild bestimmt - sind die Imbißstände stark bevölkert. Bierselig stellt die Schultheiss-Gemeinde Prognosen über den Verlauf des kommenden Abends. Längere Ausführungen enden meist mit einem gelallten „Die kloppen alles kaputt“. Weiter vorne, Richtung Hochbahn, prägen heruntergelassene Rolläden das Straßenbild. BewohnerInnen eines Mietshauses in der Görlitzer Straße belassen es bei einem Transparent: „1.Mai Keine Keilerei“.

anb/bw