Südafrikas versteckter Krieg in Natal

In der Provinz Natal bekämpfen sich der ANC und die konservative Zulu-Organisation Inkatha / Südafrikas Regierungspartei will mit Inkatha zusammenarbeiten  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

In Natal herrscht Krieg. Seit 1987 sind in dieser südafrikanischen Provinz mehr als 3.500 Menschen ums Leben gekommen, und Hunderttausende sind geflohen. Aber für die Weltöffentlichkeit, oft sogar für die südafrikanische Öffentlichkeit, ist dieser Krieg schwer zu verstehen und deshalb meist kein Thema. Immerhin bekämpfen sich hier rivalisierende schwarze Organisationen. Auch die Apartheidregierung verweist gern auf die Hautfarbe der Kontrahenten, um die Ursachen des Konflikts zu verdecken. Das Blutvergießen in Natal ist das Ergebnis einer heftigen ideologischen Auseinandersetzung zwischen der konservativen, prokapitalistischen Zulu-Organisation Inkatha, und den linken Organisationen um den Afrikanischen Nationalkongreß (ANC).

Inkatha und ANC lagen nicht immer im blutigen Streit. Als der Zulu-Häuptling Mangosuthu Buthelezi 1975 die schon 1928 von seinem Onkel König Solomon Dinizulu gegründete Organisation wiederbelebte, tat er dies nach ausdrücklicher Rücksprache mit dem ANC.

Der ANC wollte in ländlichen Gebieten Widerstand gegen die Apartheid mobilisieren. Aber schon nach wenigen Jahren gab der ANC die stillschweigende Duldung von Inkatha auf. Der ANC warf Buthelezi vor, Inkatha zu einem Instrument seiner persönlichen Macht ausgebaut zu haben. Buthelezi wiederum behauptete, daß der ANC die Organisation gleichschalten wolle. 1979 kam es endgültig zum Bruch. Inkatha scheut sich allerdings bis heute nicht, die Widerstandstradition des ANC für sich in Anspruch zu nehmen. Die ANC-Farben - Schwarz, Grün und Gold - sind auch die Farben von Inkatha. Verstorbene ANC-Führer aus dem Volk der Zulu werden von Inkatha als beispielhafte Vorfahren gerühmt, etwa der ehemalige ANC-Präsident und Friedensnobelpreisträger Albert Luthuli.

„In Inkatha-Kreisen bezeichnet man den sogenannten ANC offiziell als die 'Auslandsvertretung des ANC'“, erklärt Inkatha-Generalsekretär Oscar Dhlomo. Für Inkatha ist der „authentische“ ANC die Organisation, die 1912 in Südafrika gegründet wurde. Das bedeutet vor allem, daß Inkatha die Aufnahme des bewaffneten Kampfes nach dem ANC-Verbot 1960 und die Verhängung von Sanktionen gegen Südafrika nicht unterstützt. Die Organisation befürwortet statt dessen Investitionen in Südafrika und arbeitet eng mit Vertretern großer Konzerne zusammen. Außerdem will die Organisation das Apartheidsystem von innen bekämpfen, vor allem durch die Beteiligung am Homeland-System.

Inkatha ist mit den Verwaltungsstrukturen des Homelands Kwa Zulu eng verflochten. Das Inkatha-Zentralkomitee kann dem Kwa-Zulu-Kabinett Vorschriften machen; der Regierungschef des Homelands ist immer zugleich Präsident von Inkatha.

Unter Ausnutzung dieser Machtbasis konnte Buthelezi den Enfluß von Inkatha seit 1975 erheblich ausweiten. Wer in Kwa Zulu etwas erreichen will, muß Inkatha-Mitglied sein. So gehören inzwischen etwa zwei Millionen der sechs Millionen Zulus der Inkatha an.

Doch als 1983 die dem ANC nahestehende Vereinigte Demokratische Front (UDF) gegründet wurde, schlossen sich dieser neuen Organisation auch in Natal viele Jugendliche, Studenten und Stadtbewohner an. Schon im Oktober 1983 kam es zu ersten blutigen Auseinandersetzungen zwischen UDF -Mitgliedern und Inkatha an der Universität von Zululand.

Auch die Gründung der Gewerkschaftsföderation COSATU 1985 in Durban wurde von Buthelezi als Bedrohung empfunden. Inkatha schuf prompt im nächsten Jahr eine eigene, prokapitalistische Gewerkschaft, die UWUSA. Damit waren die Fronten festgelegt. Während Inkatha-Mitglieder vorher auch Mitglieder von COSATU-Gewerkschaften sein konnten, mußten sie sich jetzt zwischen Inkatha und COSATU entscheiden.

Doch UWUSA war wenig erfolgreich. COSATU und UDF gewannen ständig an Mitgliedern und Einfluß. 1987 leitete Inkatha deshalb eine Kampagne der Zwangsrekrutierung von Mitgliedern ein, die endgültig zum offenen Krieg führte. Seitdem sind große Teile von Natal, vor allem in der Region um die Stadt Pietermaritzburg, zwischen kämpfenden Inkatha- und UDF -Gruppen aufgeteilt. Wiederholte Friedensbemühungen scheiterten. Versuche der UDF, die sogenannten „Kriegsherren“ von Inkatha, die Truppenführer in umkämpften Gebieten, vor Gericht zu bringen, blieben erfolglos, weil Polizei und Staatsanwaltschaft sich weigerten, einzugreifen.

Einen neuen Höhepunkt erreichten die Kämpfe nach der Freilassung von Nelson Mandela Mitte Februar. Die Unterstützung für den ANC war überall zu spüren, und 120.000 Menschen versammelten sich in Durban, um Mandela sprechen zu hören. Nach UDF-Angriffen auf Busse, die Ende März von einer Inkatha-Versammlung zurückkehrten, ging Inkatha zum Großangriff über und schickte etwa 12.000 Zulukämpfer nach Pietermaritzburg. An einem Wochenende wurden 80 Menschen umgebracht, 200 Häuser abgebrannt, 13.000 Menschen flüchteten. Insgesamt kamen im März 230 Menschen um.

Trotz dieser Vorgänge bekennt sich Buthelezi noch immer zum Frieden. Doch seine verbalen Angriffe gegen UDF und COSATU sind deutlich genug: „Weiß Gott - wenn ich dazu aufrufen würde, daß da klar Schiff gemacht wird, dann gäbe es eine furchtbare Demonstration roher Gewalt und der ganze Dreck würde aus dem Gebiet um Pietermaritzburg weggefegt“, sagte Buthelezi Mitte April, fügte jedoch hinzu, ein solcher Schritt sei nicht angebracht.

Die Regierung hat vor allem durch den Einsatz zusätzlicher Polizisten und Soldaten versucht, der Situation Herr zu werden. ANC-Sympathisanten trauen den Sicherheitskräften nicht. Daß dieses Mißtrauen gerechtfertigt ist, belegen die Aussagen des ehemaligen Mitglieds der Sicherheitskräfte und jetzigen Regierungsberaters Craig Williamson, der Anfang April erklärte: „So grausam die Gewalt auch sein mag, die Tatsache, daß fast alle Gebiete um Pietermaritzburg, in denen UDF und COSATU Rückhalt hatten, von Inkatha-Truppen erobert worden sind, ist ein schwerer politischer Rückschlag für den ANC.“

Zweifelhaft erscheint die Rolle der Regierung auch durch die Erklärungen von Inkatha und der regierenden Nationalen Partei (NP), daß sie in Zukunft gerne eine politische Allianz bilden würden. „Wenn die NP als Regierungspartei eine Allianz mit Inkatha bilden würde, würde das die Objektivität der Regierung bei der Lösung des Konfliktes in Frage stellen“, gab ein NP-Sprecher letzte Woche zu. Dennoch betonte er, daß die politische Zusammenarbeit zwischen Inkatha und der NP schon begonnen habe.

Bei den Verhandlungen über die Zukunft Südafrikas könnte der Ausgang des Krieges in Natal eine entscheidende Rolle spielen. Sowohl die Regierung als auch der ANC haben ein Interesse an der Beendigung der Kämpfe. Der ANC fordert die Möglichkeit, sich wie alle anderen politischen Gruppierungen frei betätigen zu können. Aus der Sicht der NP ist Inkatha andererseits fast die einzige Gruppierung gemäßigter Schwarzer, die für eine Allianz gegen den ANC in Frage kommt. Solange die Kämpfe andauern, ist weder eine freie politische Betätigung des ANC noch eine Allianz zwischen Inkatha und NP möglich.

Doch die Friedensaussichten sind schlecht. ANC -Jugendgruppen haben vor kurzem gefordert, daß im Ausland ausgebildete ANC-Kämpfer nach Natal geschickt werden, um gegen Inkatha zu kämpfen. Auch innerhalb des Sicherheitsapparates gibt es noch immer Leute wie Williamson, die hoffen, den ANC vollkommen aus Natal verdrängen zu können. Und in Natal hat sich der Konflikt so verselbständigt, daß weder Inkatha noch ANC ihre Anhänger ohne weiteres zur Aufgabe der Kämpfe bewegen können.