Schmutzige Schlacht um den deutschen Brillenmarkt

Staatsanwalt ermittelt, Detektive im Einsatz, Pamphlete gefälscht / Branchenführer Fielmann nutzt Brillenkrise zum Expansionssprung / Existenznöte wegen Gesundheitsreform  ■  Aus Hamburg Florian Marten

Als sich aus dem großen Haufen zerschredderten Altpapiers plötzlich Papierstreifen an Papierstreifen fügte, brachen die Detektive der Hannoveraner Detektei Detek in Freudenschreie aus: Da war er doch, der Entwurf zu einem anonymen Pamphlet, in welchem ein angeblicher Fielmann -Mitarbeiter über Mißstände bei Fielmann auspackt. Seither glaubt Brillen-Branchenführer Günter Fielmann (201 Filialen, 352 Mio. Mark Jahresumsatz), seinen Konkurrenten Franz-Josef Krane (30 Filialen, 30 Mio. Mark Jahresumsatz) der Verleumdung überführt zu haben. Der soll hinter der Schmähbrief-Aktion stehen.

Wochenlang hatten die Detektive im Auftrag Fielmanns Krane überwacht und bespitzelt. Der Kauf des Altpapierlasters mit Papiermüll aus dem westfälischen Rheda-Wiedenbrück (Version Fielmann) oder der Diebstahl von Altpapier von Kranes Grundstück (Version Krane) hatte sich gelohnt. In mühsamer Puzzlearbeit brachten die Hannoveraner Detektive einen Entwurf des Anti-Fielmann-Pamphlets zum Vorschein, das um die Jahreswende Banken, Journalisten, Optikern und Krankenkassen zuging. Angereichert mit einem graphologischen Gutachten, welches die Autorenschaft Kranes beweisen soll, ließ Fielmann sein Material der Hamburger Staatsanwaltschaft zukommen. Die durchsuchte Ende März Villa und Geschäftsräume Kranes in Rheda-Wiedenbrück (Ostwestfalen) und ermittelt jetzt gegen Krane wegen Verleumdung.

Und nicht nur das: Krane hatte die Bespitzelung mitbekommen, sprach gar von „Watergate-Methoden“ und „rechtswidriger Kreativität“ Fielmanns. Bizarrer Höhepunkt des Räuber-und-Gendarm-Spiels war dann ein Vorfall, der die Frage unbeantwortet ließ, wer wen erwischt hat. Krane wurde eines Tages dabei „ertappt“, wie er höchstpersönlich in einen VW-Transporter einsteigen wollte, den - tatsächlich Fielmanns Detektive zur Observation benutzt hatten. In einem Interview des Norddeutschen Rundfunks verplapperte sich Krane, auf das Pamphlet angesprochen: „Das meiste, was ich da geschrieben habe, ich meine, was mir da angehängt werden soll, das war doch sowieso bekannt.“ In dem zweiseitigen Brief wird Fielmann vorgeworfen, Mitarbeiter zu feuern, den Verkauf teurerer Brillen als gewünscht anzuordnen und obendrein in finanzieller Bedrängnis zu schweben. In der Tat lief das Geschäftsjahr 1989 für Fielmann etwas anders als geplant.

Eigentlich wollte der expansionstüchtige Optiker wie einst bei der Gesundheitsreform 1982 die vorübergehende Notlage der Optiker-Branche (Gesamtmarkt: 7.500 Geschäfte, Jahresumsatz vier Mrd. Mark) zum großen Sprung nach vorn nutzen. Anfang 1989 prophezeite er der Branche einen Umsatzrückgang von über 20 Prozent, während er selbst um zehn Prozent auf 370 Millionen Mark zulegen wollte (von 340 Mio. 1988). Herausgekommen sind nur 352 Millionen Mark. Auch klappte die Steigerung nur durch kräftigen Ladenzukauf. In seinen alten Läden sank der Umsatz um 15 Prozent. Fielmann vernichtete Arbeitsplätze. Auch wies er seine VerkäuferInnen nachdrücklich darauf hin, daß es nicht immer ein Kassengestell zum Nulltarif sein muß, was die KundIn aus dem Lande mitnimmt. Doch es half alles nichts: Fielmann verzeichnete einen nur noch bescheidenen Bilanzgewinn.

Allerdings litt die gesamte Branche insgesamt dramatisch unter Norbert Blüms Krankheitskostenreform. Die Umsätze sanken um bis zu 50 Prozent.

Viele OptikerInnen stehen kurz vor der Pleite. Fielmann hatte das bereits Ende 1987 süffisant prophezeit: „1988 ist das Jahr, in dem die Branche noch einmal gut verdienen kann. Dann kommt der Rückschlag. Daher betrachte ich das nächste Jahr als Warmlaufrunde zum Formel-I-Rennen der Optiker. Fielmann wird dann mit Sicherheit in der 1. Startreihe stehen.“ Fielmann stand: Sein Marktanteil explodierte 12,2 Prozent (der Brillen) auf 18,7 Prozent im Jahre 1989, womit er seinem Ziel von 25 Prozent sogar weit rascher als geplant näher kam. Die 18,7 Prozent aller gekauften Augengläser bestreitet Fielmann in nur 2,7 Prozent der westdeutschen Brillenläden. Sie bringen ihm immerhin 10,3 Prozent des Umsatzes der Branche. Kein Wunder, daß die ihn inzwischen haßt: „Berufsverbot und Abgabe seiner Geschäfte an seriöse Optiker - das wäre die richtige Anwort an Günter Fielmann“ das gesunde Optikerempfinden (hier: 'Neues Optiker-Journal‘) gerät in Wallung, wenn die Rede auf Branchenführer Fielmann kommt.

Mit aggressivem, professionellem Marketing und einem schier unstillbaren Expansionsdrang mischt der Newcomer Fielmann seit einigen Jahren eine bis dahin beschauliche, ständisch -honoratiorenhafte Branche mächtig auf. („Sie wollten mich fertigmachen. Und deshalb bin ich immer stärker geworden.“) Wie bislang nur der Kaufhauskonzern Quelle („Apollo-Optik“) nutzte Fielmann die Profit-Reserven, der ständestaatlich geschützten Branche mit ihrem betulichen Arbeitsstil und den abenteuerlichen Gewinnspannen pro Brille (siehe Kasten).

Der Zusammenbruch des Brillenmarktes 1989 zwang nun aber auch Fielmann zu mehr Beschaulichkeit bei der Expansion. Die schöne Umsatzrendite von sagenhaften zehn Prozent ist vorerst Geld von gestern. Das alte Rezept funktioniert ebenfalls vorerst - nicht mehr: Bank leiht Geld, Fielmann kauft Laden, möbelt ihn auf, Umsätze explodieren und nach gut einem Jahr sind Kaufpreis, Umbau und Bankzinsen verdient. Fielmann will jetzt ein wenig langsamer wachsen, seine Personalkosten strenger im Griff halten und auf höhere Durchschnittsumsätze je Brille schauen.

Allerdings: Der unglaublich gewachsene Marktanteil bietet allerbeste Chancen, die Pool-Position noch auszubauen. Und Fielmann träumt weiter davon, daß Brille eines nicht allzu fernen Tages Fielmann buchstabiert wird.