Trauer um „Pizarro und ganz Kolumbien“

Der ermordete Ex-Guerilla-Chef und linke Präsidentschaftskandidat Pizarro wurde beerdigt / 30.000 beim Begräbnis in Bogota / Auch die Politiker reagieren ratlos auf Attentate / M-19 will nicht zurück in den Untergrund  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Es regnet. Immer muß es in Kolumbien regnen, wenn ein ermordeter Spitzenpolitiker zu Grabe getragen wird. Carlos Pizarro Liongomez, ehemaliger Guerillakommandant und Präsidentschaftskandidat der M-19, wurde vergangenen Donnerstag auf einem Inlandsflug erschossen. Freitag lag sein Leichnam aufgebahrt im kolumbianischen Kongreß. Über 30.000 Menschen begleiteten am Samstag seinen Sarg durch die graue Innenstadt Bogotas bis zum Zentralfriedhof. Zum Schluß eine letzte Fanfare. Es ist unmöglich, nicht daran zu denken, wie 1987 Jaime Pardo Leal, 1989 Luis Carlos Galan und im vergangenen März Bernardo Jaramillo beerdigt wurden alle waren sie Präsidentschaftskandidaten. Die Geschichte wiederholt sich in Kolumbien.

Doch es gibt Schattierungen. Die Anhänger der M-19, die erst vor einem Monat die im Guerillakampf erprobten Waffen niederlegten, wollten eine ruhige Trauerfeier. Im Plenarsaal des Kongresses war es tatsächlich still: verpönt die gewohnten, wütenden Sprechchöre. Auch kam es nur zu wenigen, nach Ermordungen linker Politiker sonst üblichen schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. „In den Bergen haben wir Maschinengewehre übergeben“, sagt Ivan, ein Führer der M-19, „Wozu? Um jetzt auf den Straßen Steine zu schmeißen?“. Aus seiner Frage spricht eine Verzweiflung, die allen Mitgliedern der M-19 ins Gesicht geschrieben steht. Zu Lebzeiten versuchte Pizarro, die Gefahr eines schmutzigen Krieges gegen seine Bewegung abzuwenden. Er verhandelte mit dem Kokainbaron Gonzalo Rodriguez Gacha, der Polizei und dem Militär. Alle versicherten ihm ihren Friedenswillen. Und trotzdem ordnete jemand, wahrscheinlich die äußerste Rechte, seine Ermordung an. Einer anderen Vermutung zufolge, wurde der 38jährige ein Opfer der Drogenmafia. Der kolumbianische Rauschgiftboß Pablo Escobar hat jedoch ausdrücklich die Anschuldigungen der Polizei bestritten, er habe Pizarro ermorden lassen.

„Nicht um Carlos Pizarro trauern wir, sondern um ganz Kolumbien“ - wie alle Äußerungen der links-nationalistischen Bewegung klingt die Losung der M-19 aufgebauscht. Tatsächlich ist überall in der Hauptstadt Bogota, in allen sozialen Schichten, unter den Menschen ein wachsendes Entsetzen über die mörderische Gewalt zu spüren. Leute, die noch nie einen Gedanken an sozialen Wandel verschwendet haben, weinen. Als der Trauerzug langsam durch die Betonschluchten der Innenstadt vordringt, steht die gesamte Belegschaft eines vierstöckigen Kaufhauses in den Schaufenstern und winkt mit weißen Taschentüchern. Der Sarg und die übriggebliebenen Kommandanten der M-19, indes, werden von einer Schar von Leibwächtern umringt. Dutzende von Maschinenpistolen ragen in die Luft. Bei dem Gottesdienst in der Kathedrale fragt ein ehemaliger Generalstaatsanwalt seinen Begleiter: „Was, zum Teufel, wird aus diesem Land werden?“

Freitagabend sprach Präsident Virgilio Barco im Fernsehen. Er begann mit harten Worten gegen den Drogenterrorismus und die „von der extremen Rechten angestifteten Killerbanden“. Die Mörder Pizarros seien nicht nur Feinde der M-19, sondern auch Feinde des Friedens und der Demokratie. Hätte er es bei diesen Sätzen belassen. Danach aber wies er auf die Maßnahmen der Regierung hin: eine Elite-Einheit der Polizei gegen die Drogenmafia würde verdoppelt, die Sicherheitsgarantien für die Spitzenpolitiker überprüft. Angesichts des selbstmörderischen Killers, so Barco, sollten die Kandidaten aber fortan ihren Wahlkampf hauptsächlich im Fernsehen und im Radio führen. Er hinterließ den Eindruck eines hilflosen, von allen Seiten belagerten Präsidenten. Entschlossenheit wollte Barco zeigen, doch es hörte sich an wie Hohn: „Ich bin sicher, wir werden weiterhin fortschreiten auf dem Weg des Friedens, der Toleranz und des Respektes für das Leben und die menschliche Würde.“

Antonio Navarro Wolf, schon seit Jahren der politische Kopf der M-19, wird Carlos Pizarro als Präsidentschaftskandidaten ablösen. Der Mann aber, der aller Wahrscheinlichkeit nach die Wahlen im Mai gewinnen wird, heißt Cesar Gaviria Trujillo und ist Nachwuchspolitiker der liberalen Partei. Auch er sprach am Freitag abend zur Nation: „Der Kampf gegen die Paramilitäre muß genau wie der Kampf gegen die Drogenmafia, in gleicher Hierarchie und mit gleicher Intensität, Teil der Regierungspolitk sein.“ Seiner Ansicht nach sei es in erster Linie notwendig, das Justizwesen zu stärken.

Der reaktionär-konservative Präsidentschaftskandidat Alvaro Gomez Hurtado schlägt ein Triumvirat bekannter Persönlichkeiten vor, die dem Präsidenten zur Hand gehen sollen. Die Linke will eine breite Koalition der fortschrittlichen Kräfte. Alle, Linke und Rechte, denken an eine Verfassungsreform - obwohl Skeptiker darauf hinweisen, daß das Land keine nominellen sondern reelle Reformen braucht. Die Politiker scheinen genauso perplex wie die Bürger.