Die Ruhe vor dem 6. Mai

Der Kommunalkampf im heißen Süden verläuft unterkühlt / Die Anheizer aus dem Westen bleiben aus / Die Themen Wohnungsnot und Arbeitsplätze verhelfen zum Parteienkonsens  ■  Aus Thüringen Brigitte Fehrle

Es geht um Garagen. Die einen wollen, daß welche gebaut werden, damit ihr Trabi nicht vom Dreck des Kraftwerks berieselt wird. Die anderen sind dagegen, daß noch mehr Grünfläche zugebaut wird, fordern Spielfläche für die Kinder. Kommunalwahlkampf in Neuwinzerla - einer Mammut -Plattensiedlung am Ortsrand von Jena in Thüringen.

Nach den lautstarken Allgemeinplätzen der westdeutschen Politiker in der Zeit vor den Volkskammerwahlen sind die Themen der zukünftigen kommunalen Volksvertreter erfrischend konkret. Bei der Wahlveranstaltung des Wahlkreises 8 im überfüllten Kulturhaus Ringwiese geht es um das Kraftwerk, das seit Jahren die Luft verdreckt, bloß weil der Schornstein zu niedrig gebaut wurde. Längst könnte es mit Steinkohle betrieben werden, doch die Transportkapazitäten fehlten, deshalb feuert man immer noch mit der schlechten Braunkohle. Die Altstadt soll saniert, nicht noch mehr abgerissen werden.

7.500 Familien suchen in dem 100.000 Einwohner zählenden Jena eine Wohnung. Das wild wuchernde Neubaubegiet soll gestoppt und endlich mit Geschäften, Arztpraxen und Spielplätzen versorgt werden. „Bei uns fehlen Müllkübel, wer sorgt dafür, daß welche aufgestellt werden“, fragt ein Bürger von Neuwinzerla seine Kandidaten. „Wie kommt es, daß Jugendliche vom Ortspolizisten zum Motorradfahren ins Naturschutzgebiet geschickt werden?“, will eine erboste Frau, wissen. Das Kleinteiligste vermischt sich mit den Aufgaben für einen 10-Jahresplan.

Die zukünftigen kommunalen Volksvertreter verzichten auf die taktischen Profilierungen. Der CDU-OB-Kandidat stellt sich öffentlich hinter einen Vorschlag des Vertreters des Neuen Forum, der die Mieten erstmal nicht freigeben will. Alle Parteien versichern, im neu besetzten Parlament in Sachfragen zusammenarbeiten zu wollen. Das alte Bündnis aus Oppositionszeiten zwischen der SPD und den Bürgerbewegungen ist im „Bündnis für Jena“ wiedererwacht. Grüne Liste, Neues Forum und Sozialdemokraten haben sich für den Kommunalwahlkampf zusammengeschlossen. Und selbst der Kandidat der DSU, der Partei, die im Volkskammerwahlkampf mit Angriffen speziell auf die SPD nicht gespart hat, will kooperieren: „Wir sind doch alle Jenaer“.

Die künstlichen Feindschaften aus der Zeit des Volkskammerwahlkampfes ruhen. Und die riesigen kommunalpolitischen Probleme bilden für die fast allesamt unerfahrenen zukünftigen Politiker eine - die westliche Parteienideologie übergreifende - Klammer. Wohnungsnot, Arbeitsplätze, Umweltschutz, die Wahlkampfthemen gleichen sich, und auch - in ihrer Allgemeinheit - die Lösungsvorschläge. Anders als bei den Volkskammerwahlen reagieren die Politiker mit Bescheidenheit. Ob die Bürger von Jena-Winzerla nach dem Abend im Kulturhaus Ringwiese wissen, wen sie wählen sollen bleibt unklar. Allerdings wissen die allermeisten, wen sie nicht wählen werden: PDS.

Denn neben den kommunalen Problemen beschäftigen die Winzerlaer die „U-Boote“. Drei konnte man entlarven, als alle Kandidaten die inquisitorische Frage nach der zweiten Parteizugehörigkeit beantworteten. Zwei Kandidaten der FDJ und die Kandidatin der Deutschen Frauen-Union mußten zugeben, daß sie auch Mitglied der PDS sind.

Kurz vor der Kommunalwahl sind die Bürger der DDR mit ihren Problemen unter sich. Die großen Wahllkampfstäbe der West -Parteien fehlen, genauso wie die Auftritte der Kohls, Genschers und Brandts. Und so ist man zum Alltagstrott zurückgekehrt. Müde vom Kämpfen zum 18.März geht man die Kommunalwahl ruhig an. Am letzten Samstag klebten in ganz Jena gerade mal ein Dutzend SPD-Plakate.

Dabei hätte gerade die SPD einiges wett zu machen. „Am 18.März haben die Leute die schnelle DM gewählt, jetzt wählen sie die soziale Absicherung.“ Michael Schewe, Geschäftsführer der SPD in Eisenberg, 30 Kilometer östlich von Jena an der Autobahn gelegen, ist sich sicher, daß seine Partei die Schlappe am 6.Mai ausgleichen kann. 22 Mitglieder hat die Partei in der 13.000 Einwohner zählenden Kreisstadt. Einer davon ist Betriebsrat beim VEB-Möbelwerke Kombinat, dem Hauptarbeitgeber der Stadt. Darauf ist Schewe besonders stolz: „Der Betrieb war bisher total PDS.“ Probleme mit der Arbeitslosigkeit wird das Möbelwerk nicht kriegen. Erst vor 14 Tagen wurden die neuen Lieferverträge für Schrankwände mit den Sowjets unterschrieben.

Nach dem Einbruch bei den Volkskammerwahlen wo die Partei in den südlichen Bezirken meist nur um die 15 Prozent Wählerstimmen erreichen konnte, bietet die Kommunalwahl ideale Themen, wo die Kandidaten „Kompetenz“ (Schewe) zeigen können. Er rechnet fest mit einem besseren Wahlergebnis. In Eisenberg stehen die Chanchen dafür nicht schlecht. Denn die kommunalen Kandidaten der CDU sind dieselben, die schon seit Jahren im Rat der Stadt sitzen. Der Kreisvorsitzende Jeug hat seinen Posten schon seit mehr als 15 Jahren. Jetzt kandidiert er wieder und mit ihm seine ganze Familie. Insgesamt 6 Kandidaten stellt die Familie Jeug einschließlich Schwiegersöhnen auf. „Da werden auch die Eisenberger mißtrauisch.“

Die kleine SPD-Gruppe in Eisenberg präsentiert sich selbstbewußt. Daß der Vorstand in Berlin der Regierungskoalition mit der DSU zugestimmt hat, nehmen sie immer noch übel. Jetzt sind sie froh, daß sie sich um die Beschlüsse der Berliner nicht mehr so viel zu kümmern brauchen. „Wir sagen denen, was uns nicht paßt“, meint Geschäftsführer Schewe, „mehr können wir nicht tun“. Die SPDler in Eisenberg stellen sich landesweit aufs politische Überwintern ein. Wie ihre Kollegen in Jena: „Eines Tages wird links gebraucht - und dann sind wir da.“