Wenig Chancen für die Fristenlösung

Irene Staff ist Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht an der Frankfurter Uni / Anschluß nach Artikel 23 heißt: Das gesamte BRD-Recht wird auch für die DDR bindend  ■ I N T E R V I E W

taz: Der Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maiziere hat kürzlich gesagt: Ein Beitritt der DDR zum Grundgesetz nach Artikel 23 muß nicht unbedingt eine völlige Vereinheitlichung der beiden deutschen Rechtsysteme bedeuten. Gemeint hat er u.a. damit, daß die DDR den Paragraph 218 nicht übernehmen will. Ist das rechtlich überhaupt möglich?

Irene Staff: Wenn der Anschluß der DDR nach Artikel 23 erfolgt, dann werden die jetzigen Bestimmungen des Grundgesetzes auch für die DDR bindend.

Der Paragraph 218 steht aber nicht im Grundgesetz.

Das Strafrecht gehört nach Artikel 74 des Grundgesetzes zum Bereich der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung. Das heißt, der Bund kann in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig werden, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 72 GG gegeben sind. Das heißt, einfacher ausgedrückt, wenn es der Rechtseinheit dient, kann der Bereich des Strafrechts bundesgesetzlich normiert werden. In der BRD ist das der Fall. Insofern bleibt überhaupt kein Raum mehr für eine landesgesetzliche Regelung. Es ist doch auch undenkbar, daß in einem Bundesland, ob das Sachsen oder Schleswig-Holstein, Hessen oder Thüringen ist, ein besonderes Strafrecht existiert. Dann würden ja alle, die eine Straftat begehen wollen, es dort tun, wo es die mildesten Bestimmungen gibt. Auf den Paragraphen 218 bezogen hieße das, daß der Abtreibungstourismus noch größere Ausmaße annimmt als bisher.

Herr de Maiziere macht also falsche Versprechungen, an der rechtspolitischen Realität vorbei?

Wenn Herr de Maiziere sagt, daß mit dem Beitritt der DDR nach Artikel 23 GG ein geteiltes Rechtssystem existieren kann, ist das falsch. Vielleicht meint er aber, daß nach einer Wiedervereinigung ein gesamtdeutsches Parlament über eine Veränderung des Paragraphen 218 entscheiden könnte. Rechtlich ist das denkbar. Nach der derzeitigen politischen Lage in der Bundesrepublik - die in der DDR kann ich nicht beurteilen - spricht aber alles dagegen, daß das Parlament sich für eine allgemeine Fristenlösung entscheidet. Denn die Tendenz geht ja stark in Richtung weiterer Restriktionen des Abtreibungsparagraphen.

Zum Beispiel die Normenkontrollklage der bayerischen Landesregierung.

Wie das Bundesverfassungsgericht auf die Normenkontrollklage der Bayern reagiert, wollen wir mal dahingestellt lassen. Wenn Herr de Maiziere aber wider Erwarten doch eine politische Mehrheit für die Fristenlösung bekäme, so wäre keineswegs ausgeschlossen, daß das Bundesverfassungsgericht wiederum angerufen würde wie damals in den 70er Jahren. Eine Prognose, wie dann Karlsruhe entscheidet, ist derzeit schwerlich zu stellen.

Interview: Ulrike Helwerth