In Kreuzberg blieb alles ruhig

Polizei hielt sich zurück: „Das Konzept der Deeskalation ist aufgegangen“ / Nur vereinzelte Rangeleien am Rande  ■  Aus Berlin Kordula Doerfler

„Lieber raus auf die Straße als heim ins Reich“ - unter diesem Motto demonstrierten zum „Revolutionären 1. Mai“ gestern nachmittag bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um 25 Grad etwa 12.000 Menschen durch den West -Berliner Stadtteil Kreuzberg. Die Demonstration, die gegen 16 Uhr am Kottbusser Tor zuende ging, verlief im Großen und Ganzen absolut friedlich.

In den Seitenstraßen der Route war schon seit den Mittagsstunden eine massive Polizeipräsenz zu beobachten, insgesamt verhielt sich die Polizei jedoch sehr zurückhaltend. Einige Blöcke mit Vermummten aus der Autonomen Szene wurden zwar von Polizeiketten begleitet, zu schwerwiegenden Zwischenfällen kam es aber nicht. Zwar flogen aus dem Autonomenblock am Anfang der Demo einige Steine und angeblich sollen zwei Polizisten leicht verletzt worden sein, weitere Vorkommnisse waren aber bis Redaktionsschluß nicht bekannt. Die Polizei teilte nach der Abschlußkundgebung mit, ihr Konzept der Deeskalation sei insgesamt aufgegangen.

Auch aus Ost-Berlin waren etwa 500 Demonstrationsteilnehmer gekommen, die teilweise trotz Vermummung die Grenze passieren konnten, ohne weiter kontrolliert zu werden. Im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg hatten bei einer Kundgebung ebenfalls zum 1. Mai Vermummte eine Flagge des Deutschen Reichs verbrannt.

Gegen 16 Uhr löste sich nach einer Kundgebung die Demonstration auf, die meisten Teilnhemer zogen weiter zu einem Stadtteilfest auf dem neuangelegten Görlitzer Park, das trotz eines offiziellen Verbotes seitens des Bezirks etwa zur gleichen Zeit begann. Auch dort war die Stimmung bis Redaktionsschluß ausgesprochen gut, der ganze Kiez platzte schier aus den Nähten von Menschen.

In unmittelbarer Umgebung des Parks hielt sich die Polizei weiter zurück, die im Vorfeld angekündigt hatte, das Fest solange zu tolerieren, als keine Straftaten verübt würden. Innerhalb des Parks spielten bei Redaktionsschluß verschiedene Rockbands aus Ost- und West-Berlin. Das Fest sollte nach Auskunft der Veranstalter gegen 20 Uhr zu Ende gehen.

Ob das Fest friedlich verlaufen würde, war gestern nicht abzusehen. Im Vorfeld hatte es in der Stadt erregte Debatten darüber gegeben, ob diese traditionelle Kreuzberger 1.-Mai -Veranstaltung in diesem Jahr überhaupt genehmigt werden sollte, nachdem es in den letzten Jahren nach dem offiziellen Ende des Festes immer gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben hatte. Nach der letztjährigen 1. Mai-Randale war die Stimmung in Kreuzberg umgekippt, und die linksalternative Szene im Kiez wehrte sich dagegen, zum Abenteuerspielplatz zu werden, bei dem in schöner Regelmäßigkeit die Infrastruktur zerstört wird.

Obwohl das Fest vom Bezirk verboten worden war in der Hoffnung, daß dann auch die anschließende Randale ausbleiben werde, hatten Teile des autonomen Spektrums das Fest doch veranstaltet. In Berlin hatte man ängstlich auf den 1. Mai gestarrt, nachdem es am 20. April nach Ausschreitungen von Rechtsradikalen in Ost-Berlin zu nächtlicher Randale von vorwiegend ausländischen Jugendlichen gekommen war.