Mai-Demo in Istanbul zerschlagen

Massenfestnahmen und Schüsse / Arbeitgeber fordern Legalisierung  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Jeder Ansatz einer 1.-Mai-Kundgebung wurde in Istanbul gestern blutig zerschlagen. Knüppel und Schutzwaffen waren Handwerkszeug der Polizisten, von Wasserwerfern, Panzersperrwagen und Militärhubschraubern wurden sie unterstützt. Mindestens zwei DemonstrantInnen, eine 22jährige Frau und ein 28jähriger Mann, wurden durch Polizeikugeln verletzt. Die Gesamtzahl der Verletzten ist bislang unbekannt.

Bis zum späten Nachmittag wurden nach Angaben oppositioneller Gruppen rund 4.000 Menschen festgenommen. Zum Gefangenentransport setzte die Polizei sogar Linienbusse ein. Auf den Polizeiwachen herrscht ebenso Hochbetrieb wie in den Krankenhäusern.

Der türkische Staat trägt den Sieg davon. Zwar kam es in nahezu allen Betrieben Istanbuls zu Protestaktionen, die Arbeit wurde verlangsamt, vielfach fiel die Produktion aus. Aber die Kundgebung auf dem Taksemplatz, zu der mehrere Gewerkschaften aufgerufen hatte, kam nicht zustande.

Auf dem traditionellen Kundgebungsort der Arbeiterbewegung vor dem Militärputsch 1980 wurde nicht demonstriert. 18.000 Polizisten, 6.000 bewaffnete Wächter von Sonderkommandos des Militärs und scharf ausgerichtete Schäferhunde - eigens für die verbotene Mai-Kundgebung aus der Bundesrepublik importiert - hatten den Platz weiträumig belagert. Zum Kundgebungsort gelangte man erst nach einem Dutzend Leibesvisitationen und Ausweiskontrollen.

Fern von den zentralen Plätzen sammelten sich immer wieder Menschen. In Kazlicesme, im Zentrum der Lederindustrie, wurden 150 Lederarbeiter festgenommen.

Die Beschäftigten von Incile, die einen gemeinsamen Zug mit den Coca-Cola-Arbeitern bilden wollten, wurden von der Polizei eingekesselt. Mit Steinen wehrten sich die Arbeiter: 200 Festnahmen.

Nahe des historischen Hotels „Pera-Palast“ feuerte die Polizei mit Maschinenpistolen in die Luft, um Ansammlungen auseinanderzutreiben. Zwei Linienbusse wurden von der Polizei gestürmt, die Insassen wurden vor das Polizeipräsidium geleitet.

Vergangenes Jahr hatte die Regierung Schießbefehl auf unbewaffnete Demonstranten erteilt, dieses Mal schürte sie bereits im Vorfeld Spannungen.

„In einer Situation, die Waffen erfordert, werden wir die Waffen einsetzen“, hatte der türkische Polizeipräsident Necati Belican am Tag vor den geplanten Demonstrationen erklärt. Auch der Polizeichef von Istanbul, Hamdi Ardali, drohte: „Wir schießen.“

Mai-Kundgebungen sind in der Türkei verboten, seitdem am 1. Mai 1977 unbekannte Täter in die Menge geschossen und dabei 34 Menschen getötet hatten.

Selbst die Spitzen der Arbeitgeberverbände plädieren dagegen für eine Legalisierung. Der Arbeitergeberverband TISK verschickte einen Rundbrief an die Mitglieder, in dem Liberalität gefordert wurde.