8.36 schläft der DDR-Film noch

■ Gespräch mit Filmemacher Ali Eichelbach und Inge Glinsmann zur DDR-Szene

taz.: Gibt es eigentlich eine freie Filmszene in der DDR

Ali Eichelbach: Es gibt eine Filmklubszene. Ganz interessant ist, daß diese Szene bisher einen kleinen politischen Freiraum hatte, mit vielen Akademikern, weil das an die Unis angegliedert war. Bei den Leuten haben wir auch gewohnt, einmal bei 'nem Psychiater, dann einmal bei einem Zahnarzt. Im Moment sind die Filmklubvertreter gerade dabei, einen kleinen nationalen Verband zu gründen, um nicht ganz zu verschwinden im allgemeinen Durcheinander. Nach der großen Euphorie kommt jetzt eine pessimistische Stimmung auf, Ängste, weil sie sich bisher ja nie soviel

existentielle Sorgen machen mußten. War ja irgendwie alles so'n bissel vorgezeichnet.

Inge Glinsmann: Die Leute, die vorher sehr engagiert waren und auch die Veränderung wollten, die fassen sich jetzt an den Kopf und sagen: Na, für die Pappnasen, die jetzt „Wir sind ein Volk“ schreien, was soll man da noch auf die Straße gehen. Wir haben immer viel mit den Leuten diskutiert. Und eine Geschichte war besonders schön: Eine Frau erzählte, da war Kohl in Erfurt, und sie hat sich furchtbar über den geärgert. Erzählt das also ihren Bekannten, daß sie ihm am liebsten Tomaten an den Kopf geworfen hätte. Und da haben die ihr ge

sagt: Also nee, Tomaten sind doch viel zu teuer. Viele haben auch erzählt, die kennen ihre alten Freunde überhaupt nicht wieder, die wählen plötzlich die CDU.

Und im filmischen Bereich?

Ali Eichelbach: Also die waren sehr interessiert an uns, weil wir ja auch No-oder Low-Budget und alles selber machen, ohne offizielle Förderungen. Wir drehen ja auch mit ostdeutschem Material, weil es billiger ist. Es gibt dort einige vergleichbare Filmemacher, aber die haben im absoluten Untergrund gewirkt, unter total schlechten Bedingungen. Du kannst dort ja nur Super 8 machen, und selbst dabei mußtest du Angst haben, daß, wenn's ins Ko

pierwerk kommt und nach Opposition aussah, dir jemand auf die Finger klopfte.

Gibt es denn Interesse, jetzt mehr Filme zu machen?

Ali: Ja sicher. Zum Beispiel in Potsdam, wo ja auch in Babelsberg diese DEFA-Filmschule ist. Da waren welche aus dem Dokumentarfilmbereich, die ja auch gute Sachen gemacht haben. Eine Frau hat uns da eine schöne Geschichte erzählt, von einem Bericht über so'n Schäfer, den sie gemacht hat. Im Riesengebirge oder was gibts denn da, Erzgebirge. Der alte Mann hat so über seine Arbeit erzählt, unter anderem, daß er jeden Morgen um 8 Uhr 36 aufsteht. Da hat sie Ärger gekriegt deswegen, obwohl sie gar nicht wußte, warum. Bis sie rausgefunden hat, daß der DDR-Sender seine Nachrichten immer zur vollen Stunde sendet, und diese Uhrzeit bedeutete also, daß dieser Mann RIAS hörte, weil die auch zur halben Stunde Nachrichten bringen. Bislang war es auch nur möglich, Filme zu bringen, die von dem DDR-Verleih Progress abgesegnet waren. Das Tragische ist, daß diese Leute immer noch auf ihren Positionen sitzen. Und auch jetzt gibt es ja keine große Auswahl von Filmen.

Inge: Da war auch einer vonner Stasi, der bei so einer Bezirksfilmdirektion Leiter ist. Und das Traurige ist: Da haben die Mitarbeiter vor einem Monat ein Mißtrauensvotum machen wollen, und da haben von circa 20 Leuten bloß zwei dafür gestimmt, daß der abgesetzt wird. Entweder hatten die andern Angst oder sie wollten Bequemlichkeit.

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