„ALLE BACKBORD, LÄCHELN!“

■ Eine Pressefahrt mit dem VEB Kombinat „Weiße Flotte“ von Tempelhof zum Müggelsee

Kurz nach 11 Uhr gibt Käptn Bublitz den Befehl: „Leinen los und volle Kraft voraus.“ Die „MS Lichtenberg“ tuckert rückwärts, dreht sich behäbig mit dem Bug auf die Uferböschung zu und rammt einen Holzpfeiler. Bublitz und seine Dreimannbesatzung kurbeln am Steuerrad. Nach zwei Versuchen haben sie das Schiff in Kanalmitte. Mit fünf Knoten schaukelt der Ausflugsdampfer den Teltowkanal entlang in Richtung Spree. Dann geht's zum Müggelsee. „Gabis-Mini -Band“, eine Ostberliner Komb(o)ination aus schwarzen Netzstrümpfen und zwei Bierbäuchen, haucht rauchig „Muß I'denn, muß I'denn zum Städtele hinaus und Du mein Schatz...“

Daß die Probe- und Pressefahrt des VEB Kombinats „Weiße Flotte“ von Tempelhof über die südöstlichen Spreegewässer vom brüchigen Charme sozialistischen „Wäldnivos“ geprägt sein würde, sah man schon am pelzigen Einladungsschreiben, aus dem das Konterfei von Karl Marx herausblickte. Auch die von uns so geschätzten Drohungen, wie „für Ihr leibliches Wohl und eine kulturelle Umrahmung an Bord ist gesorgt“, ließen hoffen, die Zukunft kommunistischer Vergangenheit habe auf See noch nicht das rigorose „Schiffeversenken“ gespielt. Obwohl sich der Veranstalter, die „Weiße Flotte“, in der Wirkung sicher das genaue Gegenteil versprach, wurde die Fahrt zu einer Breitseite „freundschaftlicher Verbundenheit“ und „Planung mit Überraschungseffekt“, wie es ein Kombinatsschüler an Bord formulierte. Fest steht: Die kapitalistische Piraterie konnte die „MS Lichtenberg“ noch nicht entern. Rechtsfreier Raum Kombüse

Während Käptn Bublitz noch ungewohntes Gewässer sicher im Griff hat, beginnt unter Deck die Pressekonferenz. Herr Zabel, der „amtierende“ Betriebsdirektor des VEB Kombinat Berliner Verkehrsbetriebe, Sektion „Weiße Flotte“, und „Kollege Kühl“ von der Westberliner „Stern- und Kreisschiffahrt“, schieben die erste Batterie leergefegter Likörgläschen beiseite. Mit wässrigem Blick machen sie es kurz: “...begrüße Sie herzlich an Bord, auch im Namen der Mitropa Schiffsgaststätten... Müggelsee... Dämeritzsee... Seddinsee... Langer See... Marienlust eine kurze Pause... geht's zurück nach Tempelhof. Ab 12. Mai täglich“. Als einen ersten Höhepunkt der Probefahrt kündigt Zabel die Besichtigung von Honeckers einstiger Privatjacht an, „dem“ Fahrgastschiff der Regierung, das in Friedrichshagen vor Anker liegt. Auch wer den Wunsch habe, früher von Bord zu gehen, der könne das jederzeit tun: „Wir sind da sehr operativ und können schnell handeln.“

Zabels Worte tun ihre Wirkung: Also. Niemand verläßt das Schiff!! „Kollege Kühl“ von der „Stern und Kreis“ kämpft schon mit schwerem Seegang. Der Frühschoppen läßt ihm unter buschigen Brauen einen zusammengekniffenen, leicht stieren Frauenkillerblick a la Hans Albers entschlüpfen, der jeden Sexappeal eines Edeka-Filialleiters in den Schatten stellt. Gemischt mit der Erfahrung aus tausend nassen Betriebsausflügen schlingert ein markiges „gutes Wetter ist ein gutes Zeichen“ aus ihm heraus und Schluß. Kühl drängt es zurück in die Kombüse.

„Im Interesse der Sicherheit“ sind zwei Wasserschutzpolizisten an Bord gesprungen und bereiten sich sofort mit Likör auf den Dienst vor. Als Gabi „Moonlight Shaddow“ ins Mikro knutscht, atmen sie tief durch und bestellen die nächste Runde, um sich weiter abzuhärten. „Verhaftungen im ufernahen Bereich sind hier sowieso nicht durchzuführen“, gesteht mir der Dienstältere. Der Tag ist für sie gelaufen. Mastumlegen unter Brücken

Seit 1702 gibt es in Berlin und Umgebung Personenschiffahrt. Die Schuten in Form überdachter Gondeln wurden von Pferden gezogen. In einer Chronik von 1740 werden auch „Vergnügungsfahrten mit Musiken an Bord“ erwähnt: „Will eine Gesellschaft sich Pläsierfahrt zu Schiffe in den nächsten Gärten vor dem Stralauer Tor oder selbst nach Stralau oder Treptow bedienen, so kann er sich zu Ende der Grünstraßen am Wasser linker Hand bey dem Schiffer Adolph Meyer melden und mit guter Fahrt und mit billigem Preis mit und ohne Verdeckung bedient werden.„

1816 dampfte das erste Dampfschiff, die „Prinzessin Charlotte“ über die Spree. Das Schiff wurde im Postverkehr zwischen Berlin und Potsdam eingesetzt. Weitere Schiffe wurden gebaut, die im Linienverkehr nach Magdeburg und Hamburg eingesetzt wurden, wegen Unrentabilität aber den Betrieb bald einstellen mußten. 1864 bildete sich die „Aktiengesellschaft für die Dampfschiffahrt in Berlin und Cöpenick“, die mit den Schiffen „Johanna“, „Berlin“, „Spree“ und „Victorie“ ab Jannowitzbrücke für den Personenverkehr ablegten.

Die Kollegen von Presse, Funk und Bild sammeln die ersten Infos auf und unter Deck. Sie tun so, als interessiere sie das alles ganz schrecklich. Wer, wie und warum, seit wann, weshalb und mit wem. Die Nette vom SFB macht sogar O-Töne im Maschinenraum, die Morgenpost ist beleidigt, weil Zabel so mundfaul ist. „Der sagt doch nix“, meint sie. Der Bildfotograf läßt die Kamera surren. Käptn Bublitz muß mit Hand an der Mütze auf der Brücke posieren oder grimmig guckend am Steuerrad drehen, als kämen Eisberge auf ihn zu. Jetzt sagt er schon zum siebenundzwanzigsten Mal: „Ein Boot der Stadtteilklasse mit zwei flotten einhundertfünf PS -Maschinen und Z-Antrieb (Schraubensteuerung, d.V.) 39 Meter lang, fünf Meter und acht breit und einszwanzig Tiefgang.“ Aha, Aha, - dpa. Die Rias-Boys konzentrieren sich auf die Schönheiten der Natur und das Speisenangebot. Bei so wenig „äktschn“ ist die Reportage gestorben.

Am Heck haben sich die Verwaltungen zu ersten Bruderküssen zusammengerauft und gurgeln Bier zu Verdauungsschnäpsen. In die Ferienstimmung platzt ständig der einzige Arbeiter auf der „MS Lichtenberg“: Der Matrose der Binnenschiffahrt muß, fahren wir unter Brücken durch, den Fahnenmast umlegen und wieder aufrichten. Beim Niederlassen drückt ihn fast das gesamte Gewicht des Masts mit auf die Planken, muß er hochhieven, läuft er dunkelrot an. Jedesmal schlabbern uns die bettlakengroßen bunten Wimpel übers Gesicht, die der Länge nach überm Schiff baumeln. Das Schiff des Leibhaftigen

Mit der Entwicklung des Kapitalismus schritt auch die Entwicklung der Schiffahrt schneller voran. Zahlreiche Unternehmen und Reedereien entstanden. 1885 nahm die Reederei Friedrich Nobeling mit den Schiffen „Möwe“ und „Zehdenick“ den Verkehr zwischen Berlin-Charlottenburg und Liebenwalde-Zehdenick auf. Drei Jahre später gründete der Kaufmann Gustav Krokisius die „Spree-Havel -Dampfschiffahrtsge- sell-schaft Stern“ mit zehn Dampfern. Sie entwickelte sich zum größten Reederei-Unternehmen und kaufte ständig kleinere Firmen auf. Bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg befuhren 70 Dampfer und Motorboote von Krokisius die Berliner Gewässer.

Die „MS Lichtenberg“ biegt in die Spree ein. Berliner Industriegelände zieht vorbei, das merkwürdig still vor sich hindampft. Die Ladekräne lassen die Arme hängen. Vor den Silos liegen keine Schlepper. Der sandige Uferstreifen wirkt wie die Steppenlandschaft am Potsdamer Platz. Kulissenhaft sehen die Bauten nicht allein deshalb aus, weil die Leere ihrer scheibenlosen Fenster einer Geisterstadt gleicht, sondern auch, weil sich die Natur als klagloses Resume zwischen Beton, ruinöser Bausubstanz und Wasser behaupten will. Im Unterschied zum Westberliner Spreeabschnitt zwischen Charlottenburg und Spandau haben sich Idyllen in den Wildwuchs eingenistet. Nischen aus Treibholz und blättriger Farbe, Produkte sozialistischer Freizeit, ragen als kleine Vorplätze aus dem Wasser. Tadellose deutsche Gepflegtheit voll übermenschlicher Ordnung und Sauberkeit klemmt sich zwischen die rußigen Schornsteine und die Kanalisation, aus der Sondermüll herausschleimt. „Klein Venedig“ und „Rimini“, neben dem Steg zum „Allende -Bootsverleih“, heißen die Spuren touristischer Unerreichbarkeit, die jetzt lächerlich nahe sind. Die „MS Lichtenberg“ dampft in den Müggelsee und legt in Friedrichshagen an.

Dort schaukelt das schwimmende Wandlitz vor uns, Honeckers Schiff. Wir drängen hinauf, als gäbe es in der schwimmende Hülle die Inkarnation des Leibhaftigen zu sehen: „Alwin Köbis“ heißt das Schiff immer noch. Es ist nach einem Heizer der kaiserlichen Flotte benannt, der 1918 den Matrosenaufstand anzettelte und dafür erschossen wurde. Der Maat erzählt die Geschichte vom revolutionären Helden gern. Während er spricht, legt er die Hand an die Mütze. Auf Wunsch Sirenentuten

Gut, es ist ein schnittiges, schlankes Boot für fünfzig Personen mit sechs Mann Besatzung. 1974 gebaut, macht es zehn Knoten. Na und? Schiffsführer Sperling ist mächtig stolz auf den originalen Zustand der Einrichtung, deren geschmacklose Armseligkeit von jeder Dschunke am Wannsee überboten wird, über die sich niemand aufregt, selbst wenn sie aus Geldern politischer Zuhälterei „geschmiert“ wurde. Zwischen giftgrüner Bestuhlung und abwaschbaren Resopaltischchen hängen Schiffsbildchen von FBK-verdächtiger Qualität. Die „Salons“ gleichen dunklen und unwohnlichen Verließen. Jedes Mannschaftsquartier auf einem Luxusliner ist besser ausgestattet. Das geschrubbte Deck erinnert an eine feuchte Bowlingbahn. Dort am zweiten Tisch war Honeckers Lieblingsplatz! Man guckt ja gegen die Fahrtrichtung! Da hat der und der gesessen, dort ist Schmidt gehockt. Heute kann jeder das Schiff für Ausflugsfahrten mieten und sich wie ein falscher Fuffziger fühlen. Warum kann es nicht ein ganz normales Schiff werden? Masochismus ist das.

Nebenan proben ein paar Seebären Kapitalismus: Die Besatzung der „Kurt Heinz“, eines alten Dampfboots, das 1902 gebaut wurde, verteilt hektographierte Handzettel, auf denen für die „Schiffsfahrt zum Anfassen“ geworben wird. Für 150 DM pro Stunde darf jeder mit dem Kahn zum Nostalgie-Trip in See stechen, darf „selbst mal 'ne Kohle auflegen“ und den Kessel anheizen. Jetzt ist auch in der DDR die Arbeit zur Simulation geworden. Käptn Schulze hat Hand mit angelegt bei der Instandsetzung des alten Schleppers, ihn in frische Farben getaucht. Die urige Kajüte muß noch weiter ausgebaut werden. „Auch für das leibliche Wohl ist ausreichend gesorgt“, versichert Schulze in sozialistischer Manier. „Im Angebot ist ein Imbiß, wie 'bei Muttern‘ heiße Würstchen oder Suppen nach Wahl“. Auf Wunsch läßt Schulze die Sirene tuten.

Vor dem Ersten Weltkrieg wurden die südöstlichen Gewässer für die Personenschiffahrt erschlossen: 1890 der Lange See, Seddinsee, Falkensee. 1902 Löcknitzsee. 1904 Starkower Gewässer. 1905 Teltowkanal. 1914 Oder-Havel-Kanal. Man konnte in Berlin auf Tagestouren rund sechshundert Kilometer Wasserstraßen befahren. Die Stern-Gesellschaft ging 1923 mit der „Teltower-Kreis-Schiffahrt“ eine Interessengemeinschaft ein.

Die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg war auch bei der Fahrgastschiffahrt gekennzeichnet vom sich verschärfenden Kapitalismus, Konkursen und Konkurrenzkämpfen. Auf den Berlinern und märkischen Wasserstraßen fuhren damals 181 Reedereien, mit 320 Schiffen. 1932 machte die Weltwirtschaftskrise der „Stern“ ein Ende. 1933 fusionierte man sie mit der „Kreisschiffahrt“. Das Überraschungsfoto...

Mittlerweile hat ein gemischter Seemannschor die „MS Lichtenberg“ geentert und schmettert „binnenschiffahrtstypische Seemannslieder“. Von Bach bis Schubert sei alles dabei, versichert der Chorleiter und stimmt das „Lied der Berliner Binnenschiffer“ erneut an. „Auf der Elbe“, ein Song aus dem Magdeburger Raum, wird abrupt gekänzelt, weil Schulze mit der „Kurt Heinz“ tutet. Wir stechen in den Müggelsee. Die „Alwin Köbis“ und „Kurt Heinz“ geben eine Seemeile Begleitschutz, drehen dann ab.

Jetzt wird's gemütlich. An Deck wird gesoffen, daß es kracht. Unten spielt Gabi „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ oder Lieder wie „Bam, Bam, Bam“, und der weibliche Anteil Chor schwoft mit dem männlichen Anteil Verwaltung. Wir steuern durch „Neu-Helgoland“ die Müggelspree entlang. Eine verwunschene Gegend tut sich auf. Ein labyrinthischer Irrgarten aus Wasser und Wegen, Wildwuchs und kultivierten Alleen, verstellt mit absaufenden Holzkähnen läßt den Spreewald, der hier aus dem Wasser schießt, an Shakespeares Zauberwald erinnern. Holten vor dem Krieg im „bäuerlichen Venedig“, wie Theodor Fontane die Landschaft bezeichnete, die Berliner Fischer körbeweise Aale aus dem Wasser und trugen sie zum Markt, so wird die Nahtstelle zwischen Stadt und Land heute nur noch als Ausflugs- und Erholungsgebiet gebraucht. Rechts und links stehen Häuschen und Datschen. Auf einer Schiffsanlegestelle streckt die Oma schon die Beene ins Wasser.

Käptn Bublitz stürzt von der Brücke und brüllt: „Alles nach Backbord und lächeln.“ Wir springen zur rechten Schiffsseite. Einige, die ein Nickerchen überwältigte, schaffen es gerade noch zum Mittelgang. Das Schiff kriegt Schlagseite. Macht aber nichts, soll es sogar. Wie durch ein Wunder und zur gespielten Überraschung von Zabel, inklusive seiner noch „amtierenden“ sozialistischen Mannschaft, sieht man auf einem Wasserhochsitz einen Fotografen mit seiner Kamera hantieren. Bublitz verlangsamt das Tempo. Der Fotograf stellt Schärfe und Belichtungszeit ein und „klick klick“ schießt er zwei Bilder. Wir taumeln von der Reling zurück, das Schiff richtet sich wieder auf. ...und jeder kriegt eins

Im Gosener Kanal, einem langweiligem Durchstich zwischen Dämeritzsee und Seddinsee werden Eis, heiße Würstchen und Partyhäppchen zur Flüssigkeit gereicht. „Kollege Kühl“ bläst Wind von vorn ins Gesicht. Ein blinder Passagier entzieht Bier mit Whiskey-Kirsch. Stern- und Kreis-Unterchefs und die Ostwasserschutzpolizisten diskutieren mit schweren Zungen Verbotsschilder-Design. Aus dem Schiffsbauch dröhnt es undiszipliniert: „Es lacht die goldene Frühlingssonne, Schalmeien-Klänge ziehen“. Spitze Schreie unterbrechen die Lieder.

Der Zweite Weltkrieg setzte der gesamten Schiffahrt ein Ende, zerstörte Schiffe, Brücken und Schleusen. Bereits 1946 entstand die „Arbeitsgemeinschaft Binnenschiffahrt“, aus der 1949 die DSU (Deutsche Schiffahrts- und Umschlagszentrale) hervorging. Zur „Weißen Flotte“ gehörten in Berlin damals die sich im demokratischen Sektor befindlichen Schiffe der „Stern und Kreis“. Die Schiffe fuhren ab Jannowitz-Brücke zum Müggelsee. Sogenannte Hamsterfahrten aufs Land waren bei der Bevölkerung sehr beliebt. In der Zeit zwischen 1950 und 1954 liefen zahlreiche Rekonstruktionsmaßnahmen zum Umbau von Dampfern in Motorschiffe. 1955 hatte die Fahrgastschiffahrt vier Betriebsstellen mit rund 80 Schiffen.

Käptn Bublitz drosselt das Tempo auf zwei Knoten. Wir nähern uns einer Brücke. Von dem Steg wird ein Plastiksack in die Hände des Matrosen der Binnenschiffahrt geworfen. Keiner weiß, warum. Als dieser das Päckchen aufreißt und die noch nassen Fotos verteilt, auf denen einige kuhäugig in die Kamera grinsen, gehen uns die Augen auf. Die Sensation ist perfekt. Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. Das macht schlagartig nüchtern, Nachschub ist nötig. Auf dem Seddinsee kommt das Schiff ins Schlingern. Interviews sind nur noch unter größten Schwierigkeiten möglich. Wie glückliche Mädchen

gemacht werden

Die „MS-Lichtenberg“ macht in Marienlust am Langen See fest. Wir torkeln an Land. Herr Zabel warnt Zurückbleiber. Zur nächsten Busstation sind es mehr als zwanzig Fußminuten über die Müggelberge, die „Berliner Alpen“. Wir bleiben zusammen und besichtigen die „Gaststättenanlage“ Marienlust, die so schön ist, daß man nur hoffen kann, die Ausflugsprofis aus dem Westen trampeln nicht schon diesen Sommer alles nieder. Neben einer Terrasse stehen zwei kirchenschiffartige Hallen, die von halbrunden Tonnengewölben gedeckt sind. Seitlich fällt Licht in die Säle. Die beiden Räume atmen noch jenen DDR-Charme spießig verklemmter Bürgerlichkeit und euphorischen Fortschrittsoptimismus, der am Wannsee und in den Tegeler Wirtsstuben mit dem Gestank ranzigen Fetts, verrauchter Gardinen und pampigen Kellner daherkommt.

1958 wurden die ersten Nachkriegsbauten zu Wasser gelassen. 1963 wurden die ersten vier Luxusschiffe der „Dichterklasse“ gebaut. „Johannes R. Becher“, „Friedrich Wolf“, „Bertold Brecht“ und „Heinrich Mann“. Eine weitere Etappe fortschrittlicher Entwicklung in der Binnenschiffahrtsproduktion war die „Stadtbezirksklasse“ mit vier Booten. 1977 bis 1982 wurden die fünf Schiffe aus den Yachtwerften, die „Raubvogelklasse“, zu Wasser gelassen. Heraus ragte aus dem Serienprogramm das 1976 in Dienst gestellte Flaggschiff der Weißen Flotte, die „MS-Wilhelm Pieck“, welche rund 430 Passagieren in seinen sechs Salons einen hohen Komfort bieten kann. Für das Wohl und die Sicherheit der Fahrgäste an Bord sorgen das Mitropa -Schiffsgaststättenpersonal, Beschallungsanlagen mit Verstärkern, Schiffsführer und Maschinisten.

Wir stechen wieder in See, den Langen See talwärts, in Richtung Spree. Der Wald löst sich vom Ufer, die Stadt hat uns wieder. An Deck diskutieren die Fachleute von Presse, Funk und Bild die schlechten Arbeitsbedingungen in den Redaktionsstuben und spülen den Ärger und ihre Seekrankheit mit Hochprozentigem hinunter. In der Kajüte ist man schwitzig zusammengerutscht, Schampus bringt die zweite Luft. Als Gabi, „Ich mach‘ ein glückliches Mädchen aus Dir, die ganze Nacht“ anstimmt, legt einer vom VEB-Kombinat Weiße Flotte vorsichtig seinen Arm um die Hübsche aus der Westberliner Verkehrs- und Hafenverwaltung... „Kollege Kühl“ soll über Bord gegangen sein, witzelt einer.

rola

Ab 12.Mai täglich von 9 bis 18 Uhr und von 11 bis 20 Uhr, ab Stubenrauchbrücke in Tempelhof.