Die Polizei ist in Siegerlaune

■ Gemischte Gefühle unter Politikern und Organisationen nach dem 1.Mai Richtig zufrieden ist nur die Polizei / Erneut Verbot des Festes kritisiert

West-Berlin. Der Polizeipräsident sonnte sich in Selbstzufriedenheit. Die im Vorfeld geplante Einsatzstrategie der weitestgehenden Deeskalation sei durchgehalten worden, so Polizeipräsident Georg Schertz, die deutliche Polizeipräsenz habe bewirkt, daß die Krawalle auf einen engen Raum konzentriert werden konnten. Fast 140 festgenommene und 200 verletzte DemonstrantInnen, 230 verletzte Polizeibeamte - diese Zahlen nannte Schertz gestern als offizielle Bilanz der Nacht vom 1. auf den 2. Mai. In der ganzen Stadt sind nach Angaben von Schertz 3.795 Beamte im Einsatz gewesen, 2.000 davon in Kreuzberg. Meldungen, nach denen ein Möbelgeschäft und ein Restaurant ausgebrannt sein sollen, wies Schertz als falsch zurück. Insgesamt seien nur geringe Sachschäden entstanden, beschädigt worden seien vor allem Fahrzeuge im unmittelbaren Bereich des Geschehens.

Nachdenkliche Töne schlug der oberste Dienstherr von Schertz, Innensenator Pätzold an: Es sei zwar gelungen, das Gewaltritual zum Teil zu brechen und die Ausschreitungen einzudämmen, er habe aber den Eindruck, daß die potentiellen TäterInnen radikaler geworden seien. Besorgniserregend sei der hohe Anteil von ausländischen Jugendlichen an den Krawallen: „Es kann nicht sein, daß solche Probleme von der Polizei gelöst werden“. Man müsse „mit denkbaren Mitteln politische Lösungen“ finden, so Pätzold. Als Beispiel nannte er die Ausländerpolitik, konkreter wollte er aber nicht werden.

Unterschiedlich fielen die Stimmen aus dem Kiez einen Tag danach aus: Der Kreuzberger Bezirksbürgermeister König (SPD) machte seiner Erleichterung Luft, daß sich die Randale nicht weiter ausgeweitet habe. Seit dem letzten 1. Mai habe unter den linken Gruppen in Kreuzberg eine differenzierte Diskussion um die Gewaltfrage eingesetzt mit dem Tenor: Wir haben die Schnauze voll. Dies habe sich bis zum diesjährigen Fest erhalten und gebe ihm die Hoffnung, daß Kreuzberg nicht mehr der Abfalleimer der Stadt sei. Den hohen Anteil von ImmigrantInnen bezeichnete der Kreuzberger SPD-Vorsitzende Strieder als nicht verwunderlich, da viele Jugendliche spürten, daß sie im deutschen Einigungsprozeß zu kurz kämen.

Rainer Sauter vom Verein SO36 freute sich darüber, daß Fest und Demo friedlich verlaufen seien. Die Randale sei nicht nur der starken Polizeipräsenz zu verdanken, sondern auch genügend Leuten im Stadtteil, die kein Interesse an Eskalation mehr hätten. Dirk Schneider von der Vorstandsgruppe der AL Kreuzberg war der Meinung, die Leute hätten politische Stärke gezeigt, indem das Fest gegen das Verbot durchgesetzt worden sei. Die Randale habe mit dem Fest nichts zu tun gehabt. Anders eine Parteigenossin von der Kreuzberger AL-Fraktion: Die nachfolgende Randale habe bestätigt, so Elfriede Steffen, daß das Fest wieder als Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen benutzt worden sei. Fraktion und GA der AL zogen in einer gemeinsamen Erklärung eine Bilanz „mit gemischten Gefühlen“. Das Verbot des Festes habe sich als falsch erwiesen, da sich die Veranstalter durchaus in der Lage gesehen hätten, es sorgfältig durchzuführen. Die Polizei habe sich bemüht, nach der Vorgabe der Deeskalation zu handeln, wenn dies auch nicht immer gelungen sei. „Die zahlreiche Beteiligung ausländischer Kinder und Jugendlicher sollte niemanden überraschen“, heißt es weiter, damit schlage im Wortsinne die jahrelange Ausländerfeindlichkeit zurück.

kd