Sündenbilanz der „Giftküche“ in Nersingen

■ In einem internen Schreiben wirft die Kripo der Recycling-Firma Schüller in Nersingen (Landkreis Neu-Ulm) zahlreiche schwere Umweltdelikte vor / Ungenehmigter Chemikalientransport von „Gefahrgutkontrolltrupp“ gestoppt / Landratsamt hält weiter still

Nersingen/Neu-Ulm (taz) - Die Indizienkette gegen die schwerer Umweltdelikte verdächtige Recycling-Klitsche Schüller GmbH im schwäbischen Nersingen schließt sich Schritt für Schritt. In einem internen Dossier informierte der Neu-Ulmer Kripo-Chef bereits Mitte April zahlreiche Behörden, darunter das zuständige Landratsamt, das bayerische Innen- und Umweltministerium sowie die Regierung von Schwaben, über das Sündenregister der Nersinger Firma. Gegen sie wird bereits seit November vergangenen Jahres ermittelt.

In der langen Auflistung von Rechtsverstößen berichtet der Kripo-Chef in seiner „Erkenntnismitteilung“ über manipulierte Betriebshandbücher, den Betrieb einer nichtgenehmigten Filtrationsanlage, hohe Schadstoffgrenzwert -Überschreitungen und unkontrollierte Einleitungen von Schadstoffen in die Gemeindekanalisation. Außerdem wird dem Unternehmen die Freisetzung toxischer und krebserzeugender Stoffe zur Last gelegt.

Rund 1.000 in- und ausländische Firmen und Behörden lassen seit Jahren ihre Fotoabfälle und Chemikalien bei dem Unternehmen entsorgen. Bisher gründete sich der Verdacht der bedenkenlosen Geschäftemacherei auf Kosten der Beschäftigten, der Anwohner und der Umwelt vor allem auf Aussagen ehemaliger Mitarbeiter und eines anonymen Briefschreibers. So sollen gefüllte Chemikalientanks nachts bei Regen aus fahrenden Lkws einfach auf die Autobahn entsorgt worden sein. Dioxinhaltige Öle habe man ins Erdreich abgelassen.

Die Kripo will sich zu dem Schreiben, das der taz vorliegt, nicht äußern. Der Memminger Oberstaatsanwalt Fürle bestätigte jedoch den Inhalt des Briefes, in dem es auch um einen Vorfall aus jüngster Zeit geht: Unter dem Datum des 6. März berichtet der „Gefahrgutkontrolltrupp“ der Freiburger Polizeidirektion von einem gestoppten Chemikalientransporter der Firma Schüller, der Ende Januar 10.000 Liter Festchemikalien zu einem Freiburger Betrieb zur Entsorgung transportieren wollte. Die Transportgenehmigung, die zudem nur für das Bundesland Bayern und nicht für Baden -Württemberg galt, war bereits abgelaufen.

Doch obwohl der Firma mitgeteilt wurde, daß deshalb gegen sie ein weiteres Verfahren eingeleitet worden sei, beruhigte sie in einem Schreiben vom 3. April ihre Kunden. Bei allen Vorwürfen handele es sich nur um eine „beispiellose Rufmordkampagne des örtlichen Bürgermeisters“. In Wahrheit habe man sich immer streng an die gesetzlichen Vorschriften gehalten und werde dies auch in Zukunft tun. Kein Wort davon, daß der Fahrer des verbotenen Chemikalientransporters der Freiburger Polizei verraten hatte, normalerweise müßte seine Ladung bei Schüller entsorgt werden. Weil man jedoch Auflagen des Landratsamts nicht habe erfüllen können, transportiere man die Chemikalien eben nach Freiburg. Die zuständigen Behörden gehen trotz allem weiter von der Zuverlässigkeit der Firma Schüller aus.

Die BürgerInnen von Nersingen haben lange geschwiegen. Inzwischen verlangen sie bei Demonstrationen vor Ort die sofortige Schließung der „Giftküche“. Landratsamt und Staatsanwaltschaft schalteten statt dessen erst mal eigene Gutachter ein. Die Sachverständigen des Landratsamtes jedenfalls finden alles halb so schlimm wie die Gutachter der Gemeinde Nersingen.

Klaus Wittmann