piwik no script img

„Die Skins wurden aggressiv gegen sich selbst“

■ Die Lehrerin des Horner Video-Projekts berichtet über die Folgen der Annäherung von Skinheads und „antifaschistischen Jugendlichen“

„Drei links, drei rechts - kein Strickmuster“ heißt ein Video-Film, in dem SchülerInnen der Horner Schule an der Ronzelenstraße Skin-Heads und „antifaschistische Jugendliche“ über ihre Freizeitcliquen, ihre Weltanschauungen und Perspektiven befragt haben. Anlaß war ein Skinhead-Überfall auf die Schule. Die Lehrerin Dagmar Gellert berichtet im taz-Interview von den Folgen dieses Video-Projekts.

Von dem Video-Film existieren 50 Kopien, die seit einem Jahr in der gesamten Bundesrepublik vorgeführt werden. Der WDR hat einen Ausschnitt gesendet. Radio Bremen zeigte dagegen noch kein Interesse. Auch die Bremer Landesbildstelle hat das Video nicht übernommen.

taz: Wie hat sich die Konfrontation zwischen Skinheads und „antifaschistischen Jugendlichen“ nach der Premiere des Video-Films entwickelt?

Dagmer Gellert: Die Konfrontation war eben keine mehr. Es war ein Aufeinanderzugehen, sie haben sich etwas verlegen angegrinst, jede Seite war sehr abwartend und abtastend, ob eine Provokation von der anderen Seite kommt - aber sie kam nicht. Dieser Film hat beide Gruppierungen milde gegeneinander gestimmt, und sie haben dann zusammen ihre Zigarette geraucht und dar

über geredet. Jetzt, wo sie sich kennengelernt haben, bestehe ja eigentlich kein Grund mehr, sich zusammenzuschlagen. Ihre unterschiedlichen Meinungen würden sie zwar nicht akzeptieren, aber respektieren.

Existiert die Skin-Gruppe trotzdem weiter?

Nein, die Skin-Gruppe ist auseinandergebrochen, was ja nicht nur positiv ist, wenn man bedenkt,

daß diese Gruppe der einzige Halt für diese Jugendlichen war. Daß sie teilweise Sachbeschädigung und Körperverletzung gemacht haben, will ich in keiner Weise rechtfertigen, aber alle Skins betonten ja, wie wohl sie sich in der Gruppe gefühlt haben.

Positiv an dem Auseinanderbrechen der Gruppe ist allerdings, daß Skins, die nicht voll zum Kern der Gruppe gehörten, sich gefragt

haben: Halt, was machen wir hier eigentlich, wo segeln wir eigentlich rein.

Das heißt, wenn sie den Spiegel vorgehalten bekommen, dann...

...kann ihnen etwas bewußt werden - wenn sie einen Impuls kriegen, den sie annehmen können, weil er ohne Bevormundung und ohne moralische Verurteilung passiert. Wir haben sie ja nicht aufgefordert, mit dem Scheiß auf

zuhören.

Etliche Jugendliche haben sich distanzieren können, waren auch in der Phase der Berufswahl und sind bei der Suche nach Arbeitsplätzen von Lehrern der Schule sehr unterstützt worden. Andere, die stärker den Kern der Gruppe ausmachten, haben aber noch immer keine Arbeit. Sie sind in ihrer ganzen Geschichte so zerstört worden, daß sie, obwohl sie arbeiten wollen, teilweise gar nicht mehr belastbar sind.

Aus den gemeingefährlichen Skins sind Sozialfälle geworden?

Bei diesen Jugendlichen handelt es sich - ohne den negativen Beigeschmack - um sozial total diskriminierte und deklassierte Menschen, die Situationen in ihrem Leben erlebt haben, die sie so aggressiv oder so verzweifelt oder so hoffnungslos oder auch so zerstört gemacht haben.

Gefällt Ihnen denn dieser Erfolg des Films - aus deklassierten Jugendliche, deren Aggressivität sich nach außen richtete, welche zu machen, die sich selbst zerstören?

Nein, das ist furchtbar für mich. Andererseits kann ich es mir erklären. Sie sind zerstört worden, dann haben sie zerstört. Und es ist völlig klar, daß diese Aggression, die nach außen ging, sich irgendwann auch nach innen richten mußte.

Es ist gut, daß mit dem Film eine

Harmonisierung erreicht wurde, daß die Leute sich kennengelernt haben und durch den persönlichen Bezug nicht mehr so ein abstraktes Haßobjekt sehen können. Andererseits weiß ich ganz genau, daß man durch einen solchen Film nicht das System aushebeln kann.

Ist es nicht trotzdem hoffnungslos, mit einem aufwendigen Projekt nicht mehr zu erreichen, als eine schlechte Situation durch eine andere schlechte Situation zu ersetzen?

Ich würde nicht so resignativ reagieren wollen. Denn allein die Tatsache einer Veränderung ist ermutigend. Und man kann von einem Film nicht erwarten, daß er die Verhältnisse aushebelt.

An den neuen schlechten Folgen kann ich nur erkennen, wie tief der Schmerz und die Verzweiflung der Skins sein müssen. Wenn man Projektarbeit macht, die nur ein Jahr dauert, und die man nicht fortsetzen kann, dann können sich daraus natürlich keine hervorragenden Verhältnisse ergeben.

Aber stimmt es nicht, daß man in diesem Bereich mit Anweisungen von oben sowieso nichts erreichen kann?

Ja, aber was von oben passieren muß, ist, daß die Einzelnen, die bereit sind, sich aktiv damit auseinanderzusetzen und etwas zu tun, optimal unterstützt werden.

Fragen: Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen