Der erste Warnstreik - mit Sonne und Suppe

■ Kampfziel 35-Stunden-Woche noch umstritten / 700 Bremer MetallerInnen waren dabei / Hemelinger „Tarif-Frühlingsfest“

In den Lloyd Dynamo-Werken (AEG) am Hastedter Osterdeich arbeiten 940 Menschen. Sie stellen her: Elektromaschinen für Kraftwerke, für Eisenbahnen, für Torpedos. Der größte Teil der Produktion geht in den Export. Das Unternehmen boomt wie selten zuvor.

Trotz tariflich vereinbarter Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden ist bei „LDW“, wie die Lloyd-Dynamo-Werke intern heißen, für viele die 48-Stunden-Woche angesagt. Zwei jüngere Staplerfahrer erzählen aus ihrer Abteilung: An zwei Samstagen im Monat arbeiten sie immer. Dazu kommt eine Überstunde an jedem der fünf Werktage. Macht 48-Stunden in der Woche. Auf dem Konto sind dann insgesamt 2.200-2.300 Mark netto im Monat. „Das braucht man auch, um über die Runden zu kommen“, sagt der eine: „Ich hab‘ Frau und Kind. Für Miete bezahle ich 906 Mark. Dazu kommt noch Strom.“ Der andere, Vater von zwei Kindern, bestätigt: „Uns bleibt nichts anderes übrig. Eigentlich brauchen wir den Samstag zum Geldverdienen.“ Ohne Überstunden würden sie als „Nicht -Facharbeiter“ nur 1.600 bis 1.900 Mark nach Hause bringen.

Gestern trat die Belegschaft von „Lloyd Dynamo“ in Warnstreik; zum ersten Mal seit 1974. Die die Aktion hatte unter den Vertrauensleuten zunächst auf „Messer's Schneide“ gestanden, gibt es doch für einen Warnstreik-Tag kein Geld aus der Streikkasse. Gestern waren die ArbeiterInnen von „LDW“ aber ein wenig stolz auf sich, war „LDW“ doch in der Tarifrunde '90 von allen Bremer Metallbetrieben als erster in Warnstreik getreten.

Seit Januar hatten die Beschäftigten bei „LDW“ nach und nach die Mehrarbeit aufgegeben: Erst die Sonntagsarbeit, die mit 100prozentigen Zuschlägen belohnt wird, dann das Arbeiten am Samstag. Seit dem 28. April ist der Betrieb „sauber“, so ein Betriebsrat, die MetallerInnen verzichten auf jede Überstunde.

Gestern zogen 500 „LDW„-Arbeiter und Arbeiterinnen mit Leierkasten und rot-gelben IG-Metall-Fahnen vom Werkstor diszipliert Richtung Hemelingen. Auf dem Hemelinger Marktplatz war vom neuen Betriebsrat alles für ein „Tarif -Frühlingsfest“ vorbereitet: Holzbänke und Tische standen einladend in der Sonne, die IG-Metall spendierte Bier, Cola und Mineralwasser,

Frikadellen und Erbsensuppe. Auch an die „Oldiecassetten“ mit „Lola“ und „I'm a believer“ war gedacht - und an einen Toilettenwagen. Befreundete BetriebsrätInnen überbrachten solidarische Grüße von Krupp Atlas Elektronik, von Klöckner und von Mercedes-Benz. Wobei der Daimler-Kollege betonte: „Wir werden zur richtigen Zeit auch unseren Beitrag leisten.“ Die kampfstarke Daimler-Belegschaft hatte für Unsicherheit gesorgt, weil sie sich bisher mit Warnstreiks zurückgehalten hatte.

Das „Tarif-Frühlingsfest“ in Hemelingen war erfolgreich. Zwar hatten ca. 100 KollegInnen den sonnenbeschienen Warnstreik benutzt, um nach Hause auf ihre Parzelle zu fahren, die Mehrheit aber blieb zur Erbsensuppe und länger auf dem Hemelinger Marktplatz und debattierte. Warnstreikende Metall-KollegInnen von „Huss-Karussellbau“ und „Wilkens Silberwaren“ stießen dazu. „Das wichtigste sind die 8,5 Prozent“, da sind sich die beiden Stapelfahrer über ihre Tarifforderungen einig: „Wir brauchen soviel Lohn, daß wir keine Überstunden mehr machen müssen.“ Die 35-Stunden -Woche kommt für sie deshalb nur

„mit vollem Lohnausgleich“ in Frage. Angst haben sie vor der „Leistungsverdichtung“. Einer erklärt: „In 35-Stunden müssen wir dann genau das gleiche arbeiten wie jetzt in 37,5“. Die IG-Metall will dem vorbauen und diesmal Neueinstellungen durch eine Klausel im Tarifvertrag erzwingen. „Ich scheiß‘ auf die 35-Stunden-Woche“, sagt ein Arbeiter aus der Fertigungsrevision den

Betriebsräten. „Ich bin für das Machbare. Bei 35 Stunden kriegen wir keine 8 Prozent.“ - „Wir haben das letzte Mal einen sehr maßvollen Tarifabschluß gemacht, das rächt sich jetzt“, gesteht einer der IG-Metall-Betriebsräte ein. Bei „Lloyd Dynamo“ kommt die Debatte in Gang. Über vier Stunden nahmen sich die MetallerInnen dazu gestern Zeit.

Barbara Debus