Aktenstaubtrilogie

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(Bismarck, Dreiteiliges ARD/BR-Fernsehspiel von Helmut Pigge und Tom Toelle) „Kruzitürken!“ schreit Preußens König Wilhelm, „da muß ein für allemal Remedur geschaffen werden!“ Wir befinden uns nämlich per Fernsehspiel in Bismarcks Zeiten. Da sprach man so. Man trug damals auch Epauletten auf der Schulter und Koteletten im Gesicht, wandelte politisierend im Grünen auf und ab, Freitreppen hinauf, hinunter, dann wieder hinein ins Parlament oder zu Königs in den Empfangssalon, um über das Schicksal Preußens, Österreichs, Bayerns, über den Militärdienst, Kriegsführung zum Zweck der deutschen Einigung und über Finanzen staubtrockene Sätze zu verlieren. Männer, die noch einmal fürs Fernsehen deutsche Geschichte machen: so sterbenslangweilig, wie es früher im Geschichtsunterricht gewesen ist, wo man vor der Last des Abfragewissens ins Strichmännchenzeichnen flüchtete.

Daß Bismarck von Uwe Ochsenknecht gespielt wird - als Alter, der seine Biografie diktiert, und als Mittvierziger in Rückblenden auf seine politische Karriere - das ist in dieser Aktenstaubtrilogie das einzige Lebenszeichen: Der Ärmste ist zwar als alter Bismarck von der Maskenbildnerei vollständig zugekleistert worden, muß hüsteln und angestrengt schleppend sprechen, aber er schafft es, aus dieser Chargenriege als Schauspieler herauszuragen, ein bißchen Persönlichkeit in das historische Archiv zu bringen. Den anderen knistern Papierdialoge im Gebiß - den Militärs, dem König, dem Prinzen und dem Bankier, dem Biografen, der Königin Augusta. „Sollen Macht und Willkür über Deutschland entscheiden, oder das Recht?“ wirft sich irgendeiner in die Brust, und Bismarck fegt wütend die Sektgläser durch den Raum. Zahllose Depeschen werden überbracht, bis es dann endlich die „Emser Depesche“ ist, und Bismarck formuliert sie um, während die Militärs von Roon und Moltke auf ihren Kreidekreisen im Studio stehen, bis sie - im Ausfallschritt

-antreten dürfen zum Dialog. Und als es dann schließlich, nach wortreichem Antichambrieren, zum Krieg gegen Frankreich kommt („Sie ziehen das 2. Armeekorps an der Ostflanke auf“), knattern im Hintergrund Geschützdonnerkonserven, und im Vordergrund hüpfen zehn Pickelhauben mit ihren Gewehren durchs Bild.

Was ist bloß in diese Autoren hineingefahren, die doch nicht zum ersten Mal in ihrem Leben ein Fernsehspiel zu machen hatten? Muß denn, wenn man sich „einer historischen Figur annähern“ will - wie Redakteur Henric L. Wuermeling das nennt -, auch gleich die Vermittlung vom vorigen Jahrhundert sein? Diese hölzerne Statisterei, dieser abstrakte Historisierungsdunst bewegt sich im Niemandsland zwischen Fernsehen und Geschichte. Wer über Bismarck und seine Politik nicht mehr wußte als das, was man schon im Geschichtsunterricht vergessen hat, ist nach diesem Fernsehspiel nicht klüger. Und wem die Ereignistabellen ohnehin geläufig sind, der wird auf einen bebilderten Aktenordner verzichten können.

Sybille Simon-Zülch