Stabilisierung der schwulen Identität

■ Erstes nationales Treffen schwuler Radiomacher / Diskussionen über eigenes Selbstverständnis / Abgrenzung zur öffentlich-rechtlichen Randgruppenberichterstattung / Für aufwendigere Themen fehlen oft Mitarbeiter und Geld

Schwule Medien - egal ob Bücher, Filme, Zeitschriften, Theaterstücke oder Radiosendungen - wirken identitätsstiftend, liefern Bilder von Schwulen. Der Unterschied zwischen Bildern, die Schwule selber produzieren und denen, die Heteros von ihnen reproduzieren, ist entscheidend und weist die Notwendigkeit eines von Schwulen für Schwule gemachten Journalismus auf, der die öffentliche Präsenz und die Berichterstattung garantiert.

Zum ersten Mal trafen sich deshalb am letzten Wochenende Schwulenradiomacher und Autoren schwuler Beiträge bei öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten im Waldschlößchen bei Göttingen, um über ihre unterschiedlichen Konzeptionen und Arbeitsbedingungen zu reden sowie über Möglichkeiten der Kooperation, die den Defiziten der Programmgestaltung entgegenwirken könnten. Vom Schwulenradio leben kann keiner der Redakteusen, die als Meterologen, Schlafwagenschaffner, Buchhändler oder auf andere Weise ihr Geld verdienen; die wenigsten sind von Beruf Journalist, Rundfunkredakteur oder Tontechniker.

Seit 1985 entstanden bundesweit vier Schwulenradiomagazine: bei den werbungs- und gesellschafterfinanzierten Sendern Radio 100 in Berlin und Radio Z in Nürnberg die Magazine Eldoradio und Fliederfunk; Pink Channel sendet in Hamburg im Offenen Kanal und die Schwule Welle Freiburg ist beim mitgliederfinanzierten freien Radio Dreyeckland eingebunden. In Bremen hat sich eine Gruppe von Schwulen und Lesben zusammengefunden, deren Beiträge in einer Magazinsendung bei Radio Bremen gesendet werden. Ebenfalls dabei waren Mitarbeiter des demnächst in Frankfurt auf Sendung gehenden Positivenfunks Radio Regenbogen, die von der Aids-Hilfe, der evangelischen Kirche und aus dem Möllemann-Topf für kreative Medienarbeit finanziert werden. Beiträge schwulen Inhalts werden auch zunehmend vom WDR, dem BR, dem SFB und ganz besonders selten auch beim SWF gesendet.

Wie unterschiedlich der Blickwinkel allerdings sein kann, wird beim Vergleich zwischen schwulen Beiträgen im öffentlich-rechtlichen Programm und in den Schwulenradioprojekten deutlich: Schwule Themen werden bisher im öffentlichen-rechtlichen Sendern für ein heterosexuelles Publikum zugeschnitten, ausgewiesene Sendungen für Schwule gibt es nicht. Auch bei Radio Bremen, wo die schwullesbische Radiogruppe über feste Sendeplätze verfügt, wird diese Rücksichtnahme „auf den Geschmack des Hörers“ praktiziert. Und dieser Hörer will im Zweifelsfall nichts hören, was ihn in seiner Lebensweise in Frage stellen würde. Aus Rücksicht aufs heterosexuelle Publikum wird für Schwule Selbstverständliches immer wieder erklärt und nicht selten der möglicherweise schwulenfeindliche Hörer zum Maßstab erhoben. Die seien noch nicht so weit und müßten „dort abgeholt werden, wo sie sind“. Im Gegensatz dazu steht die Herangehensweise der Schwulenradiomacher, die bei der Bearbeitung schwuler Themen vor allem Schwule erreichen wollen und von ihren eigenen Fragen ausgehend differenzierter berichten können.

Egal, ob in öffentlich-rechtlichen Sendern über Schwule, Frauen, Obdachlose, Fixer, Arbeitslose oder andere berichtet wird - immer wird eine Gruppe künstlich definiert, selbst als problematisch dargestellt und für ein ebenso künstlich definiertes Publikum zur Schau gestellt: nämlich eines, das nichts von all dem zu sein scheint.

Aber auch bei der Bearbeitung schwuler Themen in schwulen Radioprojekten gibt es zum Teil strukturell bedingte, aber auch unnötige Defizite. Seit Jahren werden Standardthemen immer wieder aufgegriffen und von Anfang an neu bearbeitet, ohne daß auf bereits vorhandenes Material zurückgegriffen wird und ohne daß Vorhandenes weiterentwickelt und -diskutiert wird. So wird durch ewiges Wiederkäuen an sich Richtiges falsch. Andererseits gibt es eine Reihe von Themen, die in der Schwulenbewegung bisher nicht diskutiert wurden und die auch nicht entdeckt und verarbeitet werden. Zu den strukturell bedingten Defiziten gehören recherchen und/oder diskussionsaufwendige Themen, die wegen Personal und Finanzmangels nicht bearbeitet werden. So reduzieren sich die Schwulenradios zumeist darauf, Aktuelles wahrzunehmen und für Magazinsendungen mit einem immer noch zu hohen Musikanteil zuzuschneiden. Relativ konzeptlos werden Interviews mit den Leuten gemacht, die gerade zufällig in der Stadt sind und bereitwillig erzählen. Investigativer Journalismus findet im schwulen Journalismus überhaupt nicht statt.

Allein für die Hörer machen Schwule ihr Radio jedoch nicht; für sie ist das Radiomachen mindestens ebenso wichtig für die Stabilisierung der eigenen Identität. Die Redaktionsarbeit machen sie fast überall ehrenamtlich, finanzieren nicht selten Technik und Recherchen selber. Ob Schwulenradio „an sich politisch ist“ oder „an sich unpolitisch, weil jeder Hörer nur das hört, was er hören will“, bleibt als Frage stehen. Wie alle Medien schaffen sich auch die schwulen Medien eine eigene Wirklichkeit, vielleicht auch eine bewußte Gegenwirklichkeit. Während bei den kommerziellen Sendern der freie Zugang für alle zum Mikro von vornherein durch die feste Redaktion versperrt ist, ist er beim freien Radio zumindest konzeptionell gewollt, wenn die Gruppe zeitweise auch so fest zusammengewachsen ist, daß sie ebenfalls schwer zugänglich ist. Während sich die einen als neutrale Beobachter verstehen, haben die anderen nichts dagegen, das Mikrophon zum Megaphon zu machen und begreifen sich als Teil der Schwulenbewegung. Innerhalb der Sender, in die ihr Programm eingebunden ist, verfügen die Schwulen zumeist über einen autonomen Status. Wenige arbeiten auch bei anderen Sendungen mit.

Ideen, das Programm inhaltlich und formal zu verbessern, gab es viele an diesem Wochenende. Austausch von Beiträgen, gegenseitige Gastsendungen und Personalaustausch, überregionale Redaktionstreffen und Themenwerkstätten für die Bearbeitung aufwendiger Themen, eine institutionalisierte Aus- und Weiterbildung für feste und freie schwule Radiomacher, sowohl im technischen wie auch im inhaltlichen und formalen Bereich, wurden diskutiert. Fraglich bleibt jedoch, inwiefern Wochenendtreffen konkret etwas an den Bedingungen „zu Hause“ ändern können, wo Personalknappheit und Finanzmangel vorläufig noch den Alltag bestimmen. Manch eine schwule Redaktion, wie die Fliederfunker beispielsweise, sind dadurch in ihrer ganzen Existenz bedroht.

Jean Jacques Soukup

ELDORADIO bei Radio 100, Berlin, So 16 bis 18 Uhr und Mi 18.05 bis 19 Uhr, UKW 103,4

FLIEDERFUNK bei Radio Z, Nürnberg, Do 23 bis 24 Uhr, UKW 95,8

RADIOGRUPPE BREMEN bei RB 4, Fr von 16 bis 19 Uhr im Magazin „News-Box“, UKW 101,2

PINK CHANNEL im Offenen Kanal, Hamburg, zirka alle 6 Wochen, UKW 95,0

SCHWULE WELLE bei Radio Dreyeckland, Freiburg, Do 19.30 bis 21 Uhr, UKW 102,3