Kirche, Sex und Elefanten

■ Uta Ranke-Heinemann: „Eunuchen für das Himmelreich . Katholische Kirche und Sexualität“

Anthony Burgess

Vor einigen Jahren verurteilte die Abteilung 144 des Hamburger Amtsgericht in einem öffentlichen Prozeß den Chefredakteur einer satirischen Zeitschrift wegen irgendeiner milden Form von Gotteslästerung zu einer Geldstrafe. In der Urteilsbegründung des Gerichts wurde Jesus Christus „als Erlöser bezeichnet, dessen Leben frei von jeglicher Sünde und Lust ist“.

Das war im Jahre 1981. Obwohl schon längst die offene, permissive Gesellschaft etabliert war, sollten also Lust und Vergnügen auch weiterhin als etwas Böses gelten. Wir wissen sehr wohl, an welche Art von Lust die Hamburger Richter dabei dachten. Jesus Christus wurde schon zu Lebzeiten von seinen Feinden als Fresser und Säufer bezichtigt (Matthäus 11,19), aber man hat ihn nie der Unzucht bezichtigt. Schon damals war Sex die einzige Lust, die als Sünde betrachtet wurde, und nicht nur Christi Wirken, sondern auch seine Herkunft wurden seither sorgfältig von jedem Gedanken an eine tatsächliche geschlechtliche Vereinigung gereinigt.

Die Kirche, die seit zwei Jahrtausenden offiziell eine Haltung einnimmt, die man nur als zölibatären Machismus bezeichnen kann, ist von offenem Haß gegen Frauen geprägt. Jesus Christus dachte da völlig anders. Wir dürfen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß er seine Mission auf Erden als Witwer begann. Seine zärtliche, einfühlsame Haltung gegenüber Ehebrecherinnen und Prostituierten war für die Kirche immer schon eine Quelle der Peinlichkeit. Weniger liebevoll und zartfühlend war er allerdings seiner Mutter gegenüber - ausgerechnet der einzigen Frau, die die ungetrübte Befürwortung der Kirche genießt.

Frau Professorin Ranke-Heinemann, eine überaus gelehrte Theologin, wurde von der Katholischen Kirche im Jahre 1987 mit einem Lehrverbot belegt, weil sie es gewagt hatte, Zweifel an der göttlichen Zeugung und der jungfräulichen Geburt Jesu Christi zu äußern. Heute lehrt sie Religionsgeschichte an der Universität Essen, wo sie die Freiheit genießt, die Mehrheit der Kirchenväter und sämtliche Päpste wegen ihres offenkundigen Sexismus herunterputzen zu können. Ihr BuchEunuchen für das Himmelreich ist ein wirklich beeindruckendes Werk, eine gnadenlose Attacke, die sich auf ein ungewöhnlich umfangreiches Wissen stützt. Die einzig mögliche Reaktion der Kirche auf dieses Buch scheint mir eine Bulle zu sein, in der offiziell erklärt wird, daß Frauen keine Seele besitzen. Damit würde dann auch der Weg frei für eine ökumenische Vereinigung mit dem Islam.

Die von Professorin Ranke-Heinemann vorgelegte Darstellung der Einstellung der Kirche zur Sexualität ist überaus fair. Die Vorstellung, daß die Sexualität, ähnlich wie Orwells „Pflicht gegenüber der Partei“, eine bedauerliche Notwendigkeit für die Erhaltung der menschlichen Art sei und sündigerweise von Adam und Eva - oder wahrscheinlich von Eva allein - erfunden wurde, ist weit älter als das Christentum selbst. Professorin Ranke-Heinemann entlastet die Juden von dem Vorwurf, sie würden die Sexualität verabscheuen und hassen, und verweist mit Recht darauf, daß schon die alten Römer angesichts der Sexualität von einem verbreiteten zölibatären Schauder geschüttelt wurden. Eine der frühesten Begründungen für die Verfolgung der Christen war ihre angebliche Zügellosigkeit. Schließlich war es doch selbstverständlich, daß der sexuelle Akt ausschließlich der menschlichen Fortpflanzung dient, aber diese verdammten Christen hatten tatsächlich auch noch Spaß an der Sache.

Plinius der Ältere lobte in seiner Naturgeschichte (VIII,5) den Elefanten als ein geeignetes Vorbild für die Lüsternen, weil er sich nur einmal alle zwei Jahre paart und anschließend ein ausgiebiges Bad nimmt. Der Genfer Bischof Franz von Sales erweiterte später die Dauer dieser vorbildlichen Enthaltsamkeit auf drei Jahre und fügte hinzu: „Er wechselt nie das Weibchen.“ Der christliche Kult um diesen keuschen Dickhäuter findet offenbar auch heute noch seine Fortsetzung, wie der anhaltende Verkaufserfolg der Geschichten von Anna Katharina Emmerick über das Leben Jesu, aufgeschrieben von Clemens von Brentano zeigt. Dieses erbauliche Büchlein ist voll von fiktiven Gesprächen Christi, in denen dieses edle Tier, das Jesus selbst nie mit eigenen Augen gesehen hat, als Inbegriff einer moralischen Lebensweise gelobt wird.

Aber lassen wir die Elefanten einmal aus dem Spiel. Es gibt noch ein weiteres wildes Tier, das von den islamischen Philosophen erstmals dingfest gemacht wird und schließlich vom heiligen Thomas von Aquin - den Professorin Ranke -Heinemann als verblendetes Kirchenlicht betrachtet eingefangen und auf die Menschheit losgelassen wurde. Gemeint ist Aristoteles, der ein für allemal feststellte, daß Sex nur dazu da sei, um Kinder zu zeugen. Außerdem lehrte er, daß die Frau nur ein unvollkommener und unvollständiger Mensch sei, eine Art Fruchtmaschine, die Kinder hervorbringt, ein passives Behältnis für das männliche Sperma, wobei ausschließlich letzteres für die ganze Arbeit der Fortpflanzung zuständig ist. Die Existenz der weiblichen Eizelle wurde, wie wir hier erfahren, offenbar erst 1827 entdeckt.

Thomas von Aquin ging noch über die Auffassung von Aristoteles hinaus. Das, was er „die erste Absicht der Natur“ nannte, zielte für ihn ganz auf die Vollkommenheit, auf die der Mann gewissermaßen das Monopol hatte. Die Frau dagegen entsprach nur „der sekundären Absicht der Natur, wie Fäulnis, Mißbildung und Altersschwäche„; sie war für ihn zwar von der Natur zur Zeugung bestimmt, aber auch nichts weiter - eine „Mißgeburt“, wie Professorin Ranke-Heinemann es formuliert, „ein Produkt der Umweltverschmutzung“.

Als junger Mensch wurde ich immer wieder von der Fleischeslust gequält, war aber gleichzeitig überzeugt, daß Sex sündhaft sei. So war ich erleichtert und überglücklich, als ich schließlich eine Broschüre der Katholischen Gesellschaft für Wahrheit in die Hände bekam, in der es hieß, sexuelle Lust sei eine gute und heilige Sache, weil sie ein Nebenprodukt des Wunsches war, das Reich Gottes mit möglichst vielen Seelen zu bevölkern. Als mir dann allerdings die volle Tragweite dieser Aussage bewußt wurde, sank meine Stimmung sofort wieder auf den Nullpunkt. Dennoch, die Gleichsetzung von Sex und Lust war immerhin etwas. Die Zeugung neuer Seelen war natürlich eine andere Sache, aber darüber konnte man sich später Gedanken machen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich, daß die kirchlichen Autoritäten in der Vergangenheit weit mehr Gewicht auf Jungfräulichkeit als auf Fruchtbarkeit legten. Thomas von Aquin jedenfalls folgte dem Heiligen Hieronymus, wenn er vorrechnete, daß jungfräuliche Menschen hundert Prozent himmlischen Lohn erhalten, die verwitweten sechzig Prozent und die verheirateten dreißig Prozent. Es ist besser, zu heiraten, als in der Hölle zu braten, das ist klar, aber das beste ist, keines von beidem. Hier scheint eine direkte Verbindung mit der Sekte der Gnostiker von Qumran, den sogenannten Essenern, zu bestehen, die glaubten, das Ende der Welt sei nicht weit und also hätte es keinen Zweck, weiterhin neue Menschen in die Welt zu setzen.

Profesor Ranke-Heinemann hat immer wieder ihren Unmut darüber formuliert, daß es für die Kirche offensichtlich ein größeres Problem ist, menschliche Seelen vor dieser Welt zu bewahren, als sie zu unterstützen, wenn sie erst einmal auf dieser Welt sind. Sobald jedoch irgendwo ein Krieg ausbricht, bezieht die „Profanierung der Ehe“ durch die Weigerung, Kinder zu zeugen, eine ernste pastorale Abreibung. Die Kirche bringt es immer irgendwie fertig, sich auf die Seite der Unmenschlichkeit zu stellen - nicht so sehr durch bösen Willen, sondern vielmehr durch doktrinäre Strenge. Im Jahre 1933 begrüßten deutsche Bischöfe Hitler, weil sie glaubten, „daß durch den neuen Staat das Christentum gefördert, die Sittlichkeit gehoben und der Kampf gegen Bolschewismus und Gottlosigkeit mit Energie und Erfolg geführt werde“. Der Führer war ein keuscher Mann, der weder an Abtreibung noch an Selbstbefriedigung oder Empfängnisverhütung glaubte.

Man sieht also, besonders wenn man keine Mutter von Kindern und Inhaberin eines Lehrstuhls für Religionsgeschichte ist, welche Probleme die Kirche mit der menschlichen Sexualität hat. Sobald der menschliche Samen spritzt, sollte er Aristoteles gehorchen und Kinder zeugen. Wenn man zuläßt, daß er auch ohne die Absicht spritzt, dann verstößt man damit gegen das biologische Gestz. Deshalb also keine Selbstbefriedigung, kein Analverkehr, kein Oralverkehr und keine Kondome.

Was ist jedoch mit dem ehelichen Sex, wenn der Ehemann, um eine charmante amerikanische Formulierung zu zitieren, leere Patronen verschießt oder das Ziel unfruchtbar ist? Wie sieht es aus nach dem Eintritt der Menopause? Wenn der Koitus interruptus zulässig ist, wenn ein anderer den Raum betritt oder wenn jemand einem den Dolch in den Nacken setzt (die Haltung der ertappten Venus ist die einzige, die die Katholische Kirche wirklich gutheißt), ist es dann eine Sünde, den Verkehr zu unterbrechen, weil man eine neurotische Angst vor Einbrechern hat? Und auch die lesbische Liebe kann doch wohl nicht verdammt werden, denn schließlich wird hier kein menschlicher Same vergeudet? Es gibt so viele verschiedene Gesichtspunkte zum Thema Sex, daß es durchaus verständlich ist, wenn die Kirche zum Zölibat rät, zur ehelichen Keuschheit - ganz einfach alles, was dazu beitragen kann, die Aufnahmegeräte des menschlichen Samens abzustumpfen.

Ist Kastration eine gute Sache? Der Spezialist für schmutzige Witze, Mr.Legman, glaubt, daß jeder neu gewählte Papst sich auf eine Chaise percee setzen muß, damit seine genitale Normalität bestätigt werden kann. Das erscheint durchaus vernünftig, wenn auch ein wenig bizarr. Der entscheidende Punkt beim Zölibat ist, daß man die notwendigen Instrumente besitzt, sich aber durch ihren Nichtgebrauch göttliche Gnade verdient.

Auch wenn Professorin Ranke-Heinemann sich nach eigenem Bekunden mit dem Thema Kirche und Sexualität beschäftigt, so geht es ihr doch eigentlich in erster Linie um den Sexismus der Kirche. Sie bereitet ihre These von der Frauenfeindlichkeit der Kirche auf über dreihundertfünfzig eng beschriebenen Buchseiten aus und kommt abschließend zu der Einschätzung, daß das katholische Christentum „in seinen eigenen Reihen gemäß seinem Sexualpessimismus die Homosexualität entsexualisiert und sie dann als frauenverachtende Männergesellschaft weiter kultiviert. Bei sympathischeren Kirchenmännern kann man nicht von Frauenverachtung, sondern besser von Frauenignorierung reden.“

Der verstorbene Papst Johannes XXIII., dessen Kanonisierung in weiser Voraussicht hinausgezögert wird, schrieb in seinen Tagebüchern über die Tage der Kontemplation in Bergamo: „Von den Frauen aber, von ihrer Gestalt oder dem, was sie betraf, fiel nie ein Wort. Als ob es keine Frauen in der Welt gäbe.“ Jesus Christus wäre angesichts dieser exklusiven, reinen Männergesellschaft sicherlich erstaunt gewesen, aber wer hätte je behauptet, daß er auch nur das geringste mit dem Christentum zu tun gehabt hat? Aus dem 'Observer‘ vom 8.April

übersetzt von Hans Harbor

Uta Ranke-Heinemann: „Eunuchen für das Himmelreich . Katholische Kirche und Sexualität“, Hoffmann und Campe, 39,80 DM.