Der Oberst und sein Honigkuchenpferd

■ Eishockey-WM: Mit einem souveränen 5:0 gegen die CSFR holte sich die Sowjetunion ihren 22. Titel

Bern (dpa/taz) - Glasnost heißt Frohsinn - wenn man den sowjetischen Eishockeyspielern glauben darf. Kaum war die Schlußsirene nach dem pflichtschuldigen 5:0 gegen die CSFR erklungen, die UdSSR damit zum 22mal Eishockey-Weltmeister geworden, spielten sich ungewohnte Szenen auf dem Eis ab. Die sowjetischen Eiscracks, die früher Goldmedaillen stets mit nahezu unbewegten Gesichtszügen quittierten, hüpften wie Knallfrösche in der Berner Allmendhalle herum und warfen ausgelassen ihre Schläger ins Publikum. Der gestrenge Coach Viktor Tichonow strahlte, als habe er einen Lachsack verschluckt, zog sich sogar seinen Mantel aus, von dem bis dahin alle gedacht hatten, daß er an ihm festgewachsen sei, und knutschte alle Mitglieder der sowjetischen Delegation, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.

Sogar der sonst so finstere Verteidiger Wjatscheslaw Fetisow grinste wie ein Honigkuchenpferd, während sein kugeliger und rauflustiger Mannschaftskamerad Tatarinow seinen zahnlückenhaften Charme sprühen ließ. Fetisow, der nach den ersten Vorrundenspielen in der Schweiz eingetroffen war, nachdem seine New Jersey Devils aus dem Stanley Cup ausgeschieden waren, war maßgeblich an der phänomenalen Steigerung der UdSSR in der Finalrunde beteiligt.

Als Viktor Tichonow den Abtrünnigen aus den USA nach Bern rief, hatte er einen gewaltigen Satz über seinen Schatten machen müssen, denn gerade mit seinem ehemaligen Kapitän gab es in der Vergangenheit große Schwierigkeiten. Fetisow hatte schon zu einer Zeit mit dem Wechsel in die amerikanische Profiliga NHL geliebäugelt, als solches in der Sowjetunion noch als äußerst frivol galt. 1988 verbannte Tichonow den weltbesten Verteidiger sogar in die Werksmannschaft der Moskauer Bleistiftfabrik „Sacco und Vanzetti“, nachdem dieser volltrunken auf einem Parkplatz randaliert und eine Schlägerei mit Polizisten angezettelt hatte. „Ich bin der berühmte Fetisow“, rief er den Beamten damals zu, „für mich will die NHL eine Million bezahlen. Und was seid Ihr wert.“

Alles vergessen und vergeben, schon bei der WM 1989 durfte Fetisow wieder mitspielen, und jetzt in der Schweiz lief er auch dem berühmten Paul Coffey aus Pittsburgh den Rang als bester Verteidiger des Turniers ab, obwohl den ersten Platz in der Statistik der „Defensivaktivitäten“ kein anderer als der bundesdeutsche Kapitän Udo Kießling einnahm. Was wohl im wesentlichen daran liegt, daß die Deutschen in der Schweiz eine permanente Abwehrschlacht aufführten.

Über den mit umgekrempelter Mannschaft errungenen WM-Titel war Viktor Tichonow so glücklich, daß er zum erstenmal sogar höchstpersönlich zur Pressekonferenz erschien. „Auch mit einem komplett neuen Team haben wir bewiesen, daß wir die Topnation im Eishockey sind“, freute sich der Oberst der Roten Armee, ließ dabei allerdings etwas außer acht, daß das Gros der besten kanadischen Spieler keineswegs in der Schweiz weilte, sondern jenseits des großen Wassers um den Stanley Cup stritt. Und die Männer vom „Team Canada“ um Coffey, Yzerman und Tocchet, die zu Beginn der WM recht beeindruckend wirbelten, sollen während der Finalrunde dem Eis in ihrem Feuerwasser erheblich mehr Aufmerksamkeit gewidmet haben als dem in der Allmendhalle.

Das soll die Leistung der sowjetischen Mannschaft aber nur wenig schmälern. 6:0 Punkte in der Runde der besten vier, teilweise phantastische Spielzüge, wunderbare Tore ließen alle Zweifel, ob die UdSSR die Abwanderung ihres Superblocks mit Fetisow, Kasatonow, Larionow, Krutow und Makarow verkraften würde, verstummen. Wie sagt doch Oberst Tichonow: „So ist es im Sport: Die Antwort auf alle Fragen gibt das Resultat.“

Ein Trostpflaster spuckte die Schlußstatistik für die haarscharf dem Absieg entronnene bundesdeutsche Mannschaft aus. Neben Kießling belegte ein weiterer Deutscher einen ersten Platz: Georg Holzmann wurde Strafbankkönig.

Matti

Abschlußtabelle: 1. UdSSR 6:0 Punkte, 2. Schweden 3:3, 3. CSFR 3:3, 4. Kanada 0:6