Zangengeburt unterm Kirchendach

■ Dem Zugriff der Stasi entzogen, reiften in den DDR-Gotteshäusern seit den späten 70ern die Keime eigenständiger Ökologie-Gruppen/Mühselige doch zähe Gehversuche einer totgeschwiegenen Bewegung - die ...

Nur unter dem Schutz der evangelischen Kirche konnte sich in der stalinistisch verkrusteten DDR-Gesellschaft eine systemkritische Umweltbewegung zunächst entwickeln. Wer außerhalb der Kirchen die Politik der SED infrage stellte, wurde vom allgegenwärtigen Staatsicherheitsdienst verfolgt. Wer die Angst überwand und dennoch öffentlich verpestete Luft und vergiftete Flüsse beim Namen nannte, wurde ausgebürgert, unter Hausarrest gestellt oder, wie Rudolf Bahro, zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Bahro hatte in seinem Buch Die Alternative Ende der 70er Jahre eine wissenschaftliche Kritik des realexistierenden DDR-Sozialismus vorgelegt, indem er erstmals auch auf die umweltzerstörerische Wirkung dieses Systems hinwies.

Doch weder die Abschottung nach außen durch die Mauer noch Stasi-Repressionen und Pressezensur nach innen konnten das Entstehen der Umweltbewegung verhindern. Als den evangelischen Kirchen nach einem Gespräch mit Honecker am 6. März 1978 etwas mehr Freiraum gegeben wurde, konnten sich die ersten Umweltgruppen organisieren. Dies geschah nicht zufällig in den ökologischen Krisengebieten: In dem von Dreckschleudern, Chemiewerken und den Mondlandschaften des Braunkohletagebaus umgebenen Leipzig oder im Smogtal Dresdens, durch das die röchelnde Elbe fließt.

Zunächst begann die Arbeit der „Ökogruppen“ mit Baumpflanzaktionen und Diskussionsabenden zu Fragen von Fortschritt, Wissenschaft und Technik. Dabei wurde von Anfang an der Nord-Süd-Konflikt mit einbezogen. Den meisten war es ein Bedürfnis, sich von dem bis heute vorherrschenden Ost-West-Vergleich zu lösen und damit auch vom Wohlstandsvergleich zwischen DDR und BRD. Öko-Wochenenden im Jugendheim Hirschluch (Mark Brandenburg) sahen sich bewußt als Gegenpol zur SED-Linie, welche die politische Macht durch eine „immer bessere Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Volkes“ festigen wollte.

Das „Kirchliche Forschungsheim Wittenberg“, in den 20er Jahren als Forschungsstätte für Glaube und Naturwissenschaft gegründet, entwickelte sich Anfang der 80er Jahre durch seine Mitarbeiter Gensichen und Pfeiffer zum ersten Zentrum der Umweltbewegung in der DDR. Zwar wurde 1980 die „Gesellschaft für Natur und Umwelt“ gegründet, aber sie stand von Anfang an unter staatlicher Kontrolle und hatte mehr eine Alibifunktion denn kritisches Mitspracherecht. Reimar Gilsenbach, einer der wenigen engagierten Umweltschützer und Mitgründer dieser staatstreuen Vereinigung: „Die enge Bindung an Staat und Partei ließ nur Konformismus zu, kaum öffentliche Kritik, nicht den Schatten von Opposition.“

Auch die erste Umweltzeitschrift gaben kirchliche Umweltschützer heraus. Die 'Briefe‘ mit dem Untertitel Zur Orientierung im Konflikt Erde-Mensch konnten im Forschungsheim Wittenberg hergestellt werden. Sie wurden, wie alle weiteren Publikationen von Umweltgruppen, in dieser Zeit auf Ormik-Vervielfältigungsgeräten in einer Auflage von einigen Hundert „abgepauscht“, also abgezogen. Der Aufdruck „Nur zum innerkirchlichen Gebrauch“ verhinderte in der Regel eine Beschlagnahme durch die Stasi einschließlich „Ordnungsstrafen“. Das grenzte allerdings den Leserkreis erheblich ein, denn die Schriften konnten nur innerhalb der Kirche verteilt werden.

„Mobil ohne Auto“

macht für Bäume mobil

Die vom Forschungsheim Wittenberg ausgehende Aktion „Mobil ohne Auto“ für ein Wochenende ohne des Deutschen liebstes Kind gehörte zu den ersten Aktivitäten, die auch außerhalb der Kirche Aufsehen erregte. Zum Weltumwelttag wurden von einigen Umweltgruppen Radtouren und Baumpflanzaktionen organisiert. 1982 entwickelte sich daraus die erste DDR -weite Radsternfahrt, zu der einige hundert RadlerInnen nach Potsdam-Herrmannswerder kamen. Auf dieser zum Teil der Kirche gehörenden Halbinsel entstand in Kürze ein großes Zeltlager, konnten in einer Ausstellung ätzend-stinkende Wasserproben aus der Saale bei Halle betrachtet werden, wurden Mülltonnen bunt eingefärbt, spielten Folkbands am Lagerfeuer.

Bereits im nächsten Jahr kamen über 700 per Fahrrad zu diesem Treffen. Dies schien den Sicherheitskräften zu weit zu gehen: 1984 durfte die RadfahrerInnen nicht mehr zu ihrer Sternfahrt aufbrechen. Mehr noch: Einreiseverbote für Grüne aus dem Westen sollten ein weiteres Anwachsen der Ökobewegung verhindern. Doch auch in diesen schwierigen Zeiten kam von der Kirche, abgesehen von einigen linientreuen CDU-Pfarrern, weiter Unterstützung und Ermutigung. Auf der bedeutendsten Tagung des DDR -Kirchenbundes wurden die Umweltgruppen aufgerufen, „ihre Arbeit unverdrossen fortzuführen“. 1985 hatte das grüne Virus graswurzelartig schon das ganze Land infiziert: Regelmäßig erschienen Umweltpublikationen wie die 'Streiflichter‘ der AG Umweltschutz in Leipzig, wurden Umweltseminare wie das Winterseminar von Schwerin veranstaltet, Pfarrgärten und Friedhöfe ökologisch umgestaltet. Kleine Aktionen mit großer Ausstrahlung. Auf der bereits seit 1982 alljährlich im Sommer tagenden Berliner Friedenswerkstatt nahmen die Stände der Umweltgruppen einen bedeutenden Teil in Anspruch.

Im Wittenberger Forschungsheim trafen sich abermals Delegierte, diesmal von 26 Ökogruppen, um über Solidarität, Ernährung, Lebensstil und Umweltliteratur zu diskutieren. Hier entstand auch der erste DDR-Ökokalender und die Initiative „Ökofonds“, mit der zuerst die Einrichtung einer „Grünen Scheune“ im Landgut Gronenfelde in Frankfurt/Oder unterstützt wurde. Aus der ehemaligen Scheune entstand ein Wohnheim für Behinderte, mit eigener Töpferwerkstatt und einer verglasten Südfront, die Sonnenenergie speichert.

Muffiger Keller als

Oppositionszentrum

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hatte in der DDR nicht nur verstrahlte Milch und Salatköpfe und eine erneute Erschütterung des Fortschrittsglaubens zur Folge, sie eröffnete auch den oft belächelten Ökogruppen neue Möglichkeiten. Nachdem Tausende dem Aufruf „Tschernobyl wirkt überall“ unterzeichnet hatten, richteten Angehörige der Ökogruppen die erste Umweltbibliothek in den Kellerräumen der Ostberliner Zionsgemeinde ein. Eröffnet wurde die Bibliothek mit der Ausstellung Vom Müll zurück und einem Vortrag über alternative Energieerzeugung am 2. September 1986. Im Mitteilungsblatt 'Die Umweltbibliothek‘ heißt es: „In die Umweltbibliothek kann jede(r) kommen. Solche, die auf der Durchreise sind und ein paar Informationen brauchen. Leute, die zu keinem Kreis gehören oder gehören wollen. Leute, die einfach nur quatschen und Tee trinken wollen. Aber auch Insider, die ein bestimmtes Buch brauchen.“ In ein paar Monaten mauserte sich das schwer lesbare achtseitige Ormik-Produkt 'Die Umweltblätter‘ zur Publikation mit einer bisher nicht erreichten Auflage von über 1.000 Exemplaren und damit bedeutendsten monatlich erscheinenden Samisdat( Selbstverlag)-Publikation der DDR. Landesweit verteilt wurde das Blatt nicht nur von der Post, bei der besonders in der ersten Zeit viele Exemplare „verlorengingen“, sondern auch durch Kuriere, für die im Zionskeller Spezialfächer eingerichtet waren.

Ein Novum: Die 'Umweltblätter‘ weichen inhaltlich von den eher sanften Themen der anderen Ökoblätter ab und verbreiten, neben Informationen und Stellungnahmen, kritisch aufbereitete Umweltnachrichten auch zur allgemeinen politischen Situation um Lande.

Mit etwas Courage und der Unterstützung von Pfarrer Simon, dem Schutzpatron der „Ökos“ im Zionskeller setzten die Umweltaktiven die Einrichtung eines Cafes bei der argwöhnischen Abteilung Kirchenfragen des Magistrats durch. In der „Umweltgalerie“, in die das Cafe nach Auseinandersetzungen mit den Staatsorganen schließlich umbenannt werden mußte, weil die Kirchengemeinde keine Gewerbeerlaubnis für ein Cafe bekam, stellten „ungeliebte“ KünstlerInnen aus.

Kurz nach dem ersten Geburtstag der Umweltbibliothek, der zusammen mit Freunden aus dem In- und Ausland im September 1987 gefeiert wurde, bestand für einige MitarbeiterInnen erstmals die Möglichkeit, auf einem Seminar des osteuropäischen Greenway-Netzwerkes in Polen über die politische und ökologische Sitation Osteuropas zu diskutieren. Dort sprachen die DDR-Umweltgruppen ihre künftige Mitarbeit im Netzwerk „Greenway“ ab. Für einige blieb es allerdings vorerst bei Verabredungen und Briefkontakten, denn die seit 1985 flächendeckend überwachende Staatssicherheit verhängte Reiseverbote für besonders engagierte MitarbeiterInnen der Umweltgruppen.

Der '87er Stasi-Überfall

auf die Umweltbibliothek

Im Frühherbst 1987 verstärkten sich die staatlichen Repressionen gegenüber der Umweltbibliothek. Einige Mitarbeiter bekamen Vorladungen zur „Klärung eines Sachverhaltes“ und wurden über die Umweltbibliothek ausgehorcht. Andere wurden einschüchternd offen oder verdeckt von der Stasi überwacht.

Am 18. November 1987 erschienen Mitarbeiter des Magistrats und der Kriminalpolizei in der Zionsgemeinde und erklären in einer scharfen Auseinandersetzung, daß die 'Umweltblätter‘ den Rahmen der innerkirchlichen Information sprenge und ihr Inhalt zahlreiche Gesetze verletze. Pfarrer Simon verteidigt die 'Umweltblätter‘ und weist darauf hin, daß den Rahmen für kirchliche Information immer noch die Kirche selbst bestimmt. Einen Tag später wird der Leiter des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR ins Staatssekretariat für Kirchenfragen zitiert. Ihm wird erklärt: Pfarrer Simon arbeite mit Subjekten zusammen, die die kirchlichen Räume für gesetzwidrige Handlungen mißbrauchten. Jetzt sei der Punkt erreicht, an dem die Staatsorgane nicht länger zusehen könnten. Die Kirche solle die Abziehgeräte einziehen.

Fünf Tage später schlägt die Stasi zu. In der Nacht vom 24. zum 25. November dringen gegen Mitternacht etwa zwanzig Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in die Umweltbibliothek ein, in der gerade die neueste Ausgabe der 'Umweltblätter‘ in Druck geht. Zwei Befehle hallen durch den Keller: „Hände hoch! Maschinen aus!“ Die MitarbeiterInnen werden an die Wand gestellt und abgetastet. Pfarrer Simon und seine Frau holt das Stasi-Kommando aus dem Bett, das Ehepaar muß sich vor den Augen der Beamten anziehen. Simon wird mitgeteilt, daß eine Anzeige von Unbekannt nach Paragraph 218, Absatz 1, vorläge (Vereinigung zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele). Die Räume der Umweltbibliothek werden durchsucht und etliche Unterlagen sowie Vervielfältigungsgeräte beschlagnahmt. Eine halbe Stunde nach Mitternacht: Abtransport von sieben MitarbeiterInnen der Umweltbibliothek in einzelnen Pkw, unter ihnen ein 14jähriger Junge. Der nächtliche Überfall verbreitet sich in der Stadt. Eine Protestkundgebung und Mahnwache auf dem Zionskirchplatz wird organisiert.

Am Nachmittag des nächsten Tages treffen sich VertreterInnen aus verschiedenen Berliner Friedens- und Umweltgruppen und bereiten die in der Nacht beschlossene Protestkundgebung vor. Gegen 16.30 Uhr werden gegen Wolfgang Rüddenklau und Bert Schlegel, zwei der Festgenommenen, Haftbefehle erlassen und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, der 14jährige Timm auf freien Fuß gesetzt.

Bis zum Abend versammeln sich etwa 200 Leute in der Kirche, die von Sicherheitskräften umstellt ist. In der Kirche kommt es zu einer kontroversen Diskussion mit Generalsuperintendant Krusche, der in einem Interview aufgrund ungenügender Informationen einseitig die Aussage des Staatsanwaltes verbreitet, es wären hinter dem Rücken der Kirche Schriften mit staatsfeindlichem Charakter hergestellt worden. Später wird eine öffentliche Erklärung von verschiedenen Basisgruppen und von Gemeindemitgliedern der Zionsgemeinde verlesen. Darin findet sich die Forderung nach „sofortiger Freilassung der Festgenommenen“ und die „Einstellung jeglicher Repression gegen politisch Engagierte“. An den folgenden Tagen stellen sich trotz massiver Stasi-Schikanen Mahnwachen in die Kirchentüre und lassen ihre Kerzen brennen. Jeden Abend finden in der Zionskirche und bald in verschiedenen Städten des Landes Protestveranstaltungen statt. Die Ereignisse werden von den Medien in aller Welt verbreitet.

Die Proteste im In- und Ausland haben Erfolg: Am 28. November sind auch Rüddenklau und Schlegel frei. Die Schlacht um Zion ist gewonnen, der allmächtig erscheinende Sicherheitsapparat muß seine erste Niederlage hinnehmen. Die beiden Entlassenen werden von den TeilnehmerInnen des Berliner Ökologieseminars gefeiert, bevor diese sich über Sinn und Unsinn eines Netzwerkes von Umweltgruppen in die Haare geraten.

Die „arche“ - umstrittenes Netzwerk - entsteht

Da die Mehrheit des III. Berliner Ökologieseminars nicht viel von einem Netzwerk der Umweltgruppen hält, wird die Gründung im Januar 1988 in der Wohnung von Carlo Jordan in Berlin durchgeführt. Etwa 35 VertreterInnen von Umweltgruppen aus dem ganzen Land wollen den Informationsaustausch untereinander verbessern, sich bei Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht gegenseitig helfen und sich gemeinsam gegen die Umweltzerstörung wehren. Die Nachricht von der Netzwerkgründung stößt bei vielen Gruppen auf Interesse. Kritiker sprechen von „Ökozentralismus“ oder befürchten, die Stasi warte nur darauf, das Netzwerk zu zerschlagen. Der Friedens- und Umweltkreis der Zionsgemeinde droht an dem Problem zu zerbrechen.

Bevor es soweit kommen soll, nutzt die SED die jährliche Gedenkdemonstration für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 17. Januar zur massenweisen Verhaftung und Ausbürgerung von Andersdenkenden. Diesmal will sie die gesamte Berliner Oppositionsbewegung, die aus den Zionsereignissen gestärkt hervorgegangen ist, beseitigen. Aber viele Oppositionelle nehmen nicht an der Demonstration teil, zu der sich vor allem Ausreisewillige treffen. Durch Protestaktionen im In und Ausland können auch diesmal langjährige Freiheitsstrafen verhindert werden. Zugleich gehen die Staatsorgane aber gegen Mitglieder der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ vor und zwingen sie, wegen „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ ins westdeutsche Exil zu gehen.

Das Frühjahr 1988 bringt die endgültige Spaltung des Friedens- und Umweltkreises der Zionsgemeinde. Die Netzwerkmitarbeiter werden aus der Umweltbibliothek ausgeschlossen. Sie gründen daraufhin eine eigene Umweltzeitschrift, die 'Arche Nova‘ und treffen sich regelmäßig in der Andreas-Markus-Gemeinde an der Berliner Mauer.

Landesweit gliedert sich das Netzwerk in Regionen von Mecklenburg bis Thüringen. Allerdings gelingt es unter den schwierigen Bedingungen nur in Brandenburg und Sachsen/Anhalt eine erfolgreiche Netzwerkarbeit aufzubauen, vor allem gemeinsame Seminare, Exkursionen und die Herausgabe von 'Arche Nova‘ und den 'arche-Infos‘.

In der Sommerreisezeit des Jahres 1988 rächt sich die SED für die Niederlage im Winter. Viele Oppositionelle werden in Bad Schandau und Frankfurt/Oder aus dem Zug geholt. Tiefenkontrollen und stundenlange Verhöre schließen sich an. Im September schaffen es dann allerdings doch noch einige Umweltaktionisten am Greenway-Seminar in den slowakischen Bergen teilzunehmen. Dann bringt der Herbst spannende Neuigkeiten: Die Uraufführung des „arche„-Videos Bitteres aus Bitterfeld in der Ostberliner Umweltbibliothek beendet die Feindschaft zwischen „arche“ und Umweltbibliothek. Ein Film über das ökologische Katastrophengebiet ist bislang einmalig in der Arbeit der DDR-Umweltbewegung.

Schon klopft das Jahr 1989 schüchtern an die Tür. Ein gutes Jahr, in dem die Oppositionsgruppen auch und gerade aus der Umweltbewegung zum Treibsatz des großen Umbruchs wurden.