RAF-Prozeß ohne Tatgeschehen

■ Thomas Kilpper soll mit dem Konstrukt „Mitgliedschaft in der RAF“ verurteilt werden

Düsseldorf (taz) - Im Prozeß gegen den wegen Mitgliedschaft in der RAF angeklagten Thomas Kilpper vor dem Staatsschutzsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes, haben gestern die drei Verteidiger des Angeklagten in ihren Plädoyers das Gericht aufgefordert, Thomas Kilpper nicht nach Paragraph 129a zu verurteilen, da er weder Mitglied noch Unterstützer der RAF gewesen sei. Vor einer Woche hatte die Bundesanwaltschaft eine Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten gegen den seit 20 Monaten in U-Haft einsitzenden Kilpper gefordert. Die Bundesanwälte sehen in Kilpper ein „führendes Mitglied“ einer „kämpfenden Einheit“, zu der auch die in Stammheim verurteilten ehemaligen Düsseldorfer Kiefernstraßenbewohner Eric Prauss und Andrea Sievering gehört haben sollen.

Eine konkrete Tat werfen die Ankläger Kilpper nicht vor. Dementsprechend gab es in dem Verfahren auch kein Tatgeschehen und keine Tatzeugen. In der Beweisaufnahme ging es lediglich darum, ob sich aus den bei Kilpper gefundenen Papieren und Briefen eine mitgliedschaftliche oder unterstützende Handlung für eine „kämpfende Einheit“, die die Bundesanwaltschaft der RAF zurechnet, ableiten lasse. Für die Verteidigung hat die Beweisaufnahme dafür keinerlei Hinweise ergeben. Thomas Kilpper, so viel steht fest, ist vom BKA vor seiner Verhaftung am 8.9. 1988 monatelang observiert worden. Man erhoffte über diesen Weg einen direkten Zugang zur Roten Armee Fraktion.

Tatsächlich brachte die Observation von Kilpper, dem in der Anklageschrift ein „unmittelbarer Kontakt“ zur RAF vorgeworfen wird, weder Hinweise auf solche Kontakte noch auf irgendwelche konkrete Taten. Die Bundesanwaltschaft wertet dies nicht als Entlastung des Angeklagten, sondern als zusätzlichen Beleg für dessen konspirative Fähigkeiten. Ein dilettantisch gefälschter Juniorpaß der Deutschen Bundesbahn mit Kilppers Foto und ein zum Teil verschlüsselter Briefwechsel mit Leuten aus der militanten Politszene dient den Anklägern als Beleg für die konspirative Tätigkeit. Eine Argumentation, die nach Auffassung der Verteidigung die Tatsachen auf den Kopf stellt. Verteidiger Jürgen Wessing: „Thomas Kilpper ist links. Thomas Kilpper ist sogar sehr weit links. Er begreift sich als Teil des Widerstandes. Er gibt sich nicht damit zufrieden, daß seine offen gezeigte Ablehnung unserer derzeitigen staatlichen Ordnung zur Folge hat, daß man ihn beobachtet, daß man sein Telefon abhört, daß man sein Privatleben in Dateien festhält. Er entwickelt Gegenstrategien, wie man dieser Bedrohung entgehen kann.“ Aus diesem Verhalten sei die Anklage entstanden. Dabei habe Kilpper nichts anderes getan, „als seine Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Meinungsfreiheit dazu benutzen, seine persönlichen politischen Vorstellungen zu propagieren“. Daß er spätestens seit einer Hausdurchsuchung im Jahr 1986 „in der Sorge vor staatlicher Repression“ gelebt habe und „dieser auszuweichen versuchte“, sei aber „weder als Mitgliedschaft noch als Unterstützung strafbar“.

J.S.