In der Gemeinde Wandlitz kehrt keine Ruhe ein

Touristen ziehen in Karawanen durch das Dorf, Souvenirjäger schrauben die Ortsschilder ab, und ein Fremder, der sich zum Bürgermeister wählen lassen wollte, erschreckt die Einwohner mit neuen Siedlungsplänen nach amerikanischem Vorbild  ■  Von Claudia Haas

Wandlitz - das klingt nach Verrat und Korruption, nach goldenen Wasserhähnen und Kirschen im Winter, nach der verdorbenen Moral der Herrschenden.

Sehr zum Ärger der 3.500 Wandlitzer, die das Dorf am gleichnamigen See im Norden von Berlin bewohnen. Ihr Ortsname wurde - dank der geographischen Ungenauigkeit der Medien - zum Synonym für die Dekadenz der Mächtigen. Das Wandlitz, nach dem die Touristen suchen, liegt ein paar Kilometer vom Dorf entfernt, gehört zu der Stadt Bernau und umfaßt anderthalb Quadratkilometer umzäunten Wald. Nach dem Auszug der alten Herren bevölkern dort nun Rehabilitationspatienten die Waldsiedlung. Das schmiedeeiserne Tor bleibt aber für Touristen geschlossen, der Pförtner nimmt geduldig die Beschimpfungen der Besucher entgegen.

Während sich die Kurgäste des Sanatoriums „Waldfrieden“ in Honeckers Swimmingpool und auf Schabowskis Terrasse tummeln, ist dem Dorf am nahen Wandlitzsee keine Ruhe gegönnt. Die bevorstehenden Kommunalwahlen sorgen seit Wochen für neue Aufregung. Der Grund: ein ominöser Fremder, der bunte Prospekte mitbrachte, nach denen er ein neues Wandlitz schaffen will und der den verdutzten Wandlitzern anbot, sich von ihnen zum Bürgermeister wählen zu lassen. Benno G. de los Santos, Consultant, Division Germany, steht auf der Karte des Herrn, sein Paß weist ihn als Bundesdeutschen aus.

Was er mit Wandlitz vorhat, eröffnete er den BürgerInnen bei einer Wahlveranstaltung, zu der die CDU-Ortsgruppe in die Schulaula geladen hatte: Am Ortsrand soll eine Siedlung nach amerikanischem Vorbild entstehen, dazu eine Fertigteil -Fabrik der US-Firma „Ryland Building Systems“ mit 800 Arbeitsplätzen und einem Finanzvolumen von etwa 500 Millionen DM.

Die Nachforschungen der SPD-Ortsgruppe ergaben, daß Herr de los Santos bei den Banken, die er anführte, ein Unbekannter ist, und weder im Handels- noch im Maklerregister fand sich ein Eintrag des Unternehmensberaters. Nichtsdestotrotz will er die vereinte Nation mit Fertighäusern made in Wandlitz beglücken.

Den Wandlitzern verspricht er bezahlbare Eigenheime von 150.000 DM aufwärts, Umgehungsstraße und Abwasserleitungen, ein Shopping-Center, Fitneßstudio und eine Bowlingbahn, für die Dorfjugend sind Rollschuh- und Motocross-Bahn vorgesehen.

Für den amtierenden Bürgermeister Reinhard Hämmerling, der mit dem dubiosen Unternehmensberater und seinen amerikanischen Geschäftspartnern bereits das gewünschte Gelände besichtigt hat, ist das Problem ausgestanden: die CDU hat für die Kommunalwahlen nur Kandidaten aus den eigenen Reihen aufgestellt.

Doch das heißt nichts, die Fraktionen im neuen Rat der Gemeinde können auch Kandidaten von außerhalb benennen. Für Martina Behnke, die die Liste der CDU anführt, ist der Herr mit dem südländischen Charme nach wie vor der Richtige für die Zukunft des Dorfes. Er selbst sieht sich mittlerweile als „eine Art Pieroth für Wandlitz“, der seine Geschäfte weiterführen und den neuen Bürgermeister beraten will - vor allem bei der Vergabe und Nutzung von Grundstücken.

Über sein Vorleben hüllt sich Benno de los Santos in Schweigen. Der „Selfmademan und Autodidakt“, wie er sich selbst nennt, war auf dem Weg nach Kanada, als die Mauer fiel und ihm klar wurde, die brauchen mich hier. Die CDU -Ortsgruppe nahm ihn auf, nachdem er bei den anderen Parteien und Gruppierungen mit seinen Plänen abgeblitzt war.

Es scheint ihnen nicht bekannt zu sein, daß der selbstlose Unternehmensberater schon ganz eigennützig beim Rat der Gemeinde vorgesprochen hatte, um ein ehemaliges Stasi -Gründstück samt Ferienhäusern an einem der „Drei heiligen Pfühle“ zwischen Wandlitz- und Liepnitzsee zu pachten.

Die Wandlitzer Bürger sind mißtrauischer gegenüber dem Fremden, dessen alter Ami-Schlitten immer häufiger im Dorf zu sehen ist. Sie möchten nicht in einer amerikanischen Mustersiedlung, sondern in ihren eigenen Häusern weiterwohnen. Etwa 90 Prozent der Grundstücke in Wandlitz sind ehemaliger West-Besitz, und eine der ersten Aufgaben des neuen Gemeinderates wird es sein, die Besitzverhältnisse im Dorf zu klären.

Für die SPD in Wandlitz, die bei der Volkskammerwahl PDS und CDU knapp hinter sich ließ, liegt die Zukunft des Dorfes im Fremdenverkehr. Vom Tourismus überrollt wird Wandlitz bereits jetzt, zu den Polit-Touristen kommen die Erholungssuchenden aus Berlin und hinterlassen ihre Spuren am Seeufer. Wenn nicht bald eine entsprechende Infrastruktur entsteht, droht - mit den Worten eines Wandlitzer Bürgers „nach der Polit-Verschmutzung nun der Umwelt-Kollaps“.

Wolfgang Linner, der Sprecher des SPD-Ortsverbandes, will die Tradition des letzten frei gewählten Bürgermeisters fortsetzen, der Wandlitz in den 20er Jahren zu einem blühenden Naherholungsort ausbaute: Karl Jühnemann war bis 1928 SPD-Bürgermeister in Wandlitz, aus seiner Zeit stammen das Strandbad, der Bahnhof Wandlitz-See und das Straßenpflaster im alten Ortskern.

Unterstützung auf dem gewohnten Feld der Kommunalpolitik erhofft sich die SPD nicht von zwielichtigen Unternehmern, sondern beim Bezirksamt Wedding, das eine Patenschaft für den Kreis Bernau übernommen hat. Ein pensionierter Verwaltungsrat soll den neuen Gemeindevertretern kommunalpolitische Nachhilfestunden geben.

Bei einer Wahlveranstaltung des Veteranenclubs zeigte sich, daß Wandlitz eben doch ein ganz normales Dorf ist. Einer der „Dorfältesten“ fragt mit zittriger Stimme: „Müssen wir uns einen Fremden zum Bürgermeister nehmen? Gibt's keine Wandlitzer, die das können?“