piwik no script img

Schneller Abzug sowjetischer Truppen aus Polen

Der Fraktionsvorsitzende des Parlamentarischen Bürgerklubs im polnischen Sejm und Senat, Prof. Bronislaw Geremek, über das deutsch-polnische Verhältnis  ■ I N T E R V I E W

taz: Erst vor wenigen Tagen haben Sie im Sejm an die Adresse der Deutschen gerichtet um Vergebung gebeten für die Vertreibung der Deutschen aus Polen. Warum, was hat Sie dazu gebracht, und warum haben Sie das jetzt getan?

Bronislaw Geremek: Das kommt einfach aus einer moralischen Verpflichtung der Polen heraus, angesichts der deutsch -polnischen Versöhnung. Ich erachte diese Versöhnung als eine der Bedingungen für die Entstehung eines vereinten Europa und finde, die Chance dazu wird angesichts der deutschen Wiedervereinigung immer realer. Das war so ein einfaches und offensichtliches Gebot, nichts Neues übrigens. Es wundert mich, daß die deutsche öffentliche Meinung noch nicht zur Kenntnis genommen hat, daß diese Worte zuerst in der Botschaft der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe 1964 gefallen sind, daß sie in der Erklärung des polnischen Parlaments zum Jahrestag des Kriegsausbruchs enthalten sind und daß sie während der Debatte zur Außenpolitik aus dem Mund von Außenminister Skubiszewski gefallen sind. Daß ich das so formuliert habe, rührt nur aus einem moralischen Imperativ her. Wir stützen unsere Innen und Außenpolitik nun auf eben solche moralischen Grundsätze, das ist das Erbe von Solidarnosc. Aber wir lassen es nicht zu, daß uns jemand irgendwelche Bedingungen aufzwingt, zu denen die deutsch-polnischen Beziehungen geregelt werden sollen.

In diesem Zusammenhang ist das Schlagwort von der deutsch -polnischen Interessengemeinschaft aufgetaucht, das Außenminister Skubiszewski und inzwischen auch Bundespräsident von Weizsäcker gebraucht haben. Wie soll diese Interessengemeinschaft konkret aussehen, wo sehen Sie gemeinsame Interessen?

Die Deutschen als größte europäische Wirtschaftsmacht sollten an die Zukunft denken. Und in der wird Polen ein sehr wertvoller Absatzmarkt und Handelspartner sein. Für Polen ist zur Zeit eine Investitionstätigkeit Deutschlands eine der wirtschaftlichen Chancen. Ich kann mir keine wirtschaftliche Initiative der europäischen Länder ohne deutschen Anteil in Polen vorstellen. Ich finde, eine solche Interessengemeinschaft besteht auch in einem Bereich, der gerne mit großen Worten zugedeckt wird - im Umweltschutz. Dieses Dreieck Polen, Tschechoslowakei, DDR ist eine Art Todesdreieck für die Umwelt. Das betrifft Polen genauso wie Deutschland - hier gibt es gemeinsame Interessen. Wie auch in Fragen des Transports und der Kommunikation und - in der Kultur.

Wenn wir die Anzahl der Übersetzungen polnischer Literatur ins Deutsche und deutscher ins Polnische betrachten, so gehören wir zu den Völkern Europas, die mit den intensivsten Austausch untereinander pflegen.

In seiner Rede vor dem Sejm hat Außenminister Skubiszewski erklärt, der Rückzug der sowjetischen Truppen aus Polen sei nur eine Frage der Zeit.

Ich sehe das auch so. Polen kann nicht davon abgehen zu fordern, daß keinerlei fremde Truppen in Polen stationiert sein dürfen.

Das heißt, die Debatte darüber, ob die sowjetischen Truppen die polnische Westgrenze schützen sollen, ist damit beendet?

So ist es. Entweder wird man die Westgrenze gar nicht schützen müssen, oder Polen wird das selbst tun. Ich wünsche mir, daß ein Rückzug der sowjetischen Truppen aus Polen schnell stattfindet.

Bis in die jüngste Zeit hinein gab es einen Streitpunkt zwischen Polen und der DDR über den Grenzverlauf in der Oderbucht bei Stettin. Einige Stettiner Abgeordnete des Bürgerklubs fordern, dies erneut auf die Tagesordnung zu setzen - kann dies bei der Konferenz der „vier plus zwei“ behandelt werden?

Ich kenne den Inhalt des vorgeschlagenen deutsch-polnischen Grenzvertrags noch nicht, ich weiß nicht, ob der Vertrag die nördliche Seegrenze einschließt. Ich hoffe, daß es in dieser Frage keine Zweideutigkeiten mehr geben wird, weder mit der DDR noch mit einem vereinigten Deutschland.

Stellt der derzeitige Zustand Polen denn zufrieden?

Zur Zeit erregt der rechtliche Zustand Zweifel, der faktische Zustand schafft keine Probleme.

Die Weltpresse hat sich sehr breit über den französischen und westdeutschen Vorschlag zum Thema Litauen ausgelassen. Aber soviel ich weiß, vermittelt auch Polen zwischen Litauen und der UdSSR.

Den Standpunkt, wie er aus dem offenen Brief von Präsident Mitterand und Kanzler Kohl hervorgeht, verstehe ich nicht ganz, uns fehlen noch einige Elemente, um diese Haltung verstehen zu können. Mir scheint, Polen hat seine Haltung deutlich gemacht: Unterstützung für Unabhängigkeitsbestrebungen Litauens und das Bestreben, daß diese Frage mithilfe eines politischen Dialogs gelöst wird. Alles, was Polen dazu beitragen kann, versucht Polen zu tun und wird es weiter tun.

Die Frage nach dem künftigen polnischen Präsidenten ist zwar eine innenpolitische, aber nicht ohne außenpolitische Dimension. Gerade auf dem Solidarnosc-Kongreß vor wenigen Tagen wurde gefordert, Lech Walesa solle dieses Amt übernehmen, um so die politischen Reformen zu beschleunigen. Würde Ihrer Ansicht nach eine Präsidentschaftskandidatur Walesas die Reformen beschleunigen? Ist eine solche Beschleunigung denn notwendig?

Eine Beschleunigung der Reformen ist notwendig, und wir bemühen uns, sie sowohl im Parlament als auch in der Regierung zu beschleunigen. Aber es ist auch außerordentlich wichtig, daß diese Reformen in einem Kontext der Stabilität stattfinden. Und ein Teil dieser Stabilität ist das Amt des Präsidenten - so wie es jetzt ausgeübt wird. Solange die derzeitige Machtstruktur, den Präsidenten eingeschlossen, demokratische Reformen nicht blockiert, solange ist sie im Interesse des Landes. Man darf nicht vergessen, daß gerade die Wirtschaftsreform außerordentlich riskant ist und als solche ganz besonders nach Stabilität verlangt.

Interview: Klaus Bachmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen