Steilküste, billiger Fusel und Bombenkrater

■ Mit der Fähre MS Helgoland einen Urlaubstag lang auf hoher See / Sonnenuntergang und Fischbrötchen

Acht Stunden auf hoher See, ein Inselspaziergang und zollfreier Einkauf! Wer es liebt, seinen Blick über's endlose Meer schweifen zu lassen, Wind um die Nase und Blaskapelle im Ohr, der sollte ruhig mal tief in die Taschengeldkasse greifen und sich mit einer sonntäglichen Fährfahrt nach Helgoland etwas Gutes tun.

Der Bremer Seebäderdienst bietet in dieser Saison zum ersten Mal acht Fahrten von Vegesack aus an. Am vergangenen Sonntag zur Premiere empfing eine fünfzehnköpfige Blaskapelle die rund 200 Vegesacker Gäste mit „Heut geht's an Bord“. Auf der ersten Etappe bis nach Bremerhaven ist es empfehlenswert, an der Reling

zu stehen. Vom Wasser aus sieht Altbekanntes anders aus, beispielsweise die Vulkanwerft mit ihren riesigen Kränen und der gigantische Farger U-Boot-Bunker. Danach ist Zeit für ein deftiges Frühstück im Cafe. Die Brötchen sind knusprig, der Belag reichlich, und der Kaffee weckt die Lebensgeister. Kostenpunkt: 10,90 Mark. Der neue Bremerhavener Gastronomie -Pächter Hans-Georg Petschnik will „ganz neue Wege gehen“: Die Speisen sollen durch reichhaltiges, regionales Angebot, Frische und Qualität glänzen. Pommes und Curry-Wurst sind out, gehobener Standard in, so Petschnik über sein Konzept.

Zwischenstation in Bremerhaven-Columbus-Kaje um 9.30 Uhr. Die Kapelle trötet, daß die Instrumente tropfen. Rund 500 Passagiere steigen hier zu. Aber keine Angst, das Schiff schluckt sie alle, denn es bietet Platz für 1.800 Fahrgäste. Um 10 Uhr geht es durch die Wesermündung raus auf's offene Meer. Die Passagiere torkeln über Deck - auch ohne Frühschoppen kommt der Gleichgewichtssinn ins Rudern.

Weil keine großen Pötte in den Helgoländer Hafen passen, werden die Passagiere mit kleinen Booten, jeweils 50 in einem, sicher an Land gebracht und stolpern von dort direkt in die zollfreien Geschäfte. Dort kosten

Steinhäger und Ouzo 9,95 Mark, Zigaretten 2,50 Mark das Päckchen und Butter den halben Preis.

Der dreistündige Aufenthalt reicht für einen Rundgang. Ein kurzer Anstieg führt auf das Insel-Plateau. Am Wegesrand in den Rasen eingelassen ein Schild: Sprengloch von einer 5.000 Kilo-Bombe. Die Engländer wollten nach dem Zweiten Weltkrieg die Insel, die sie einst gegen deutsche Kolonialgebiete eingetauscht hatten, „zu Versuchszwecken“ zerstören. Es gelang ihnen nur halb. Als Zeugnis blieb die sanfte Hügellandschaft, die sich bei näherem Hinsehen als „Loch an Loch“ entpuppt. Von militärischer Vergangenheit und Gegenwart zeugen Bunkerreste, Mauerreste im Felsen, ein Schild „Militärisches Sperrgebiet“ und eine große Radaranlage.

In den Felsspalten der roten Steilküste nisten Tausende von Möven und Trottellummen, die aussehen wie kleine Pinguine. Tausende von Menschen walzen den neuangelegten Weg entlang, rufen „ah“ und „oh“ und zücken die Kameras. Damit sie nicht

schaffen, was den Engländern versagt blieb, liegt der neue Weg ein Stück weiter von der Bröckelzone entfernt.

Auf der Rückfahrt sind die Liegestühle an Deck belegt. Die Sonne versinkt in den Weserwiesen und färbt das Wasser in Kitschfarben. Ein Leipziger zur Leipzigerin: „Naja, jetzt haben wir das auch mal gesehen.“

Ein knuspriges Fischbrötchen und ein Korn verkürzen die Zeit bis zum Abendbrot. Wer kein Frischluftfanatiker ist, den lockt derweil die Speisekarte im sonnendurchfluteten Bord-Restaurant. Nachteulen nehmen lieber an der „Disco„-Bar platz ud schlürfen Cola-Wiskey bei gedämpftem Disco-Sound. Obwohl nirgends grölende Butterfahrt-Stimmung herrschte wer diese Reise plant, sollte nicht allergisch gegen kleinbürgerliches Vergnügen sein.

Beate Ram

Die nächste Fahrt von Vegesack aus ist am 13. Mai. Kostenpunkt: 56 Mark. Ermäßigungen für Familien, DDR -BürgerInnen, Gruppen und andere.