Neue Zeit, neues Spiel

■ Bremer Theater: Pressekonferenz zur Spielzeit 90/91

Alles blickt nach vorn, voller Zuversicht. Auch die Leute vom MOKS-Theater. Sie haben, für irgendwann in der nächsten Spielzeit, Aussicht auf einen eigenen, festen Spielraum. Vorher werden sie in einem Bus spielen: „Der Junge im Bus“. Unbeschwert auch das Tanztheater. Kresnik plant ein neues Stück, Woyzeck würde er gerne machen.

Problemlos die Oper, man will den Erfolg der vergangenen Spielzeit fortsetzen, mit Verdi, Strauss, Smetana, aber auch mit einer Ausgrabung, der Oper „Die Vögel“, nach Aristophanes von Walter Braunfels komponiert, und mit zwei Uraufführungen, einem „Kabazert“, das ist eine Mischung aus Kabarett und Konzert über unseren liebsten Fetisch: „Oh Automobile!“, und einer Auftragsarbeit fürs Bremer Theater, „Das Traumfresserchen“ von Wilfried Hiller (Musik) und Michael Ende (Text). Dann aber das Sprechtheater. Neidisch konstatierte Chefdramaturg Dietrich

von Oertzen, nicht von einer so fraglosen Zuversicht ausgehen zu können, er befinde sich da auf glitschigem Boden. Schmierighat er nicht gesagt.

Die versammelten Journalisten waren eher handzahm, wollten nur wissen, was es denn nun mit der Claque in Fricsays Premiere auf sich habe. Fricsay: „Gäbe es eine Claque, ich würde mich schämen.“ Und Dietrich von Oertzen? Die herbe Kritik, man sei ja geradezu verprügelt worden, prüfe man sorgfältig. Die schlechte Arbeit der letzten Spielzeit sei kein Grund, das, was man machen wollte, nicht weiter zu versuchen: mit dem Theater nahe ans Publikum heranzugehen und dennoch das Niveau zu halten. Man wolle mit diesem Ensemble und weiterhin mit jungen Regisseuren arbeiten, und was die Stücke angeht: „Wir trauen uns weiter vor.“ Wohin? Wie kann man die Stücke bündeln? Männer - Macht - Frauen. Clavigo von Goethe zum Beispiel. Als der

Mann die Position hat, in der er die Geliebte heiraten könnte, verläßt er sie, sie könnte dem weiteren Aufstieg entgegenstehen. „In der Länge, Carlos, man wird der Weiber gar bald satt.“

Da trifft er sich mit Horvaths Variante vom Don Juan, aber Horvath wollte die Chose „ganz vom Standpunkt der Frau aus sehen“, die Zeit der Inflation in den 20er Jahren, als der Mann aus dem Krieg zurückkommt und sehen muß, daß die Frauen auch ohne ihn ganz gut zurechtkommen. Aber nicht nur in seiner Abwesenheit wollen die Frauen teilhaben an der Macht, davon handelt ein Stück aus den 80er Jahren, Caryl Churchills „Top Girls“, ein Stück über Frauen, die es geschafft haben, mit welchem Gewinn, mit welchem Verlust? Aber dann noch eine Parabel auf unsere Zeit, die sich wohl nicht so einfach dem Geschlechterkampf subsumieren läßt: Felix Mitterers neuer „Jedermann“, der ein Waffenschieber ist. Christine Spies