Hebammen heben ihre Stimme

■ Gefährlicher Streß im Kreißsaal / Unterbezahlung / Heute Proteste gegen „Hebammen-Notstand“

Für viele junge Frauen heißt der Beruf ihrer Träume nicht Lokführerin, sondern - Hebamme. Auf je 15 Ausbildungsplätze kommen 900 hoffnungsvolle Bewerbungen. Die Frauen aber, die es geschafft haben, Hebamme in einem Kreißsaal zu werden, wollen es nicht lange bleiben. „Berufsflucht“ nennt dies der „Bund Deutscher Hebammen“, in dem die Frauen zu 96 Prozent organisiert sind. In den Schriften des Berufsverbandes tauchen noch zwei Begriffe immer häufiger auf: „Hebammennotstand“ und „Entbindungsnotstand“. Heute ist bundesweit „Protest“ mit Infoständen angesagt. Zu Arbeitskampfmitteln wollen die Frauen nicht greifen. Monika Haas vom Bremer Berufsverband: „Im Kreißsaal kannst Du schlecht sagen 'Morgen zwischen 14 und 15 Uhr streiken wir‘. Die Kinder können immer kommen.“

Die Frauen wollen den Protesttag nutzen, um mit falschen Vorstellungen von der Hebamme aufzuräumen: „Es kommt eine mit dem Fahrrad angefahren, hinten drauf ein großer Koffer. Die macht dann heißes Wasser und dann kommt das Kind.“ 95 % aller Geburten passieren heute im Krankenhaus. Arbeiten im Kreißsaal, das bedeutet oftmals: bis zu drei Gebärende gleichzeitig zu betreuen und technisch-medizinisch zu überwachen. Wobei so

wohl die Ansprüche der Schwangeren als auch der Hebammen an eine selbstbestimmtere Geburtshilfe gestiegen sind und gleichzeitig die Apparatemedizin einen viel größeren Raum einnimmt als vor dreißig Jahren. Die Arbeit einer angestellten Hebamme umfaßt u.a.: Die hochschwangeren Frauen körperlich zu untersuchen, sie mit dem Herztonschreiber zu kontrollieren, die Ultraschall-Untersuchung zu organisieren, den Frauen Blut abzunehmen. Dann: Die Frau bei Wehen zu stützen, ihr körperliche Nähe zu geben, sie zu massieren, ihr zu helfen, den richtigen Atemrythmus zu finden, zu gebären. Wobei zu berücksichtigen ist, daß eine

Geburt 13 Stunden und länger dauern kann. Was die Hebammen sich wünschen, Monika Haas: „Daß eine Hebamme nur eine Frau während der Geburt betreut und sich auch auf die Frau, auf das Paar individuell einlassen kann.“ Was tatsächlich passiert, wenn eine Hebamme gleichzeitig mehrere Kreißende begleiten muß, deutet Monika Haas nur vorsichtig an: „Es ist uns bekannt, daß es zu krisenhaften Situationen kommt. - Wir haben immer Verantwortung für zwei Leben.“

Der Hebammenverband fordert: Erstens: Die Richtzahlen für den Personalbedarf zu verändern, um Doppel-und Dreifachbelastung im Kreißsaal zu verhindern.

Zweitens wollen die angestellten Hebammen mehr Geld. Beim Arbeitskampf der Schwestern und Pfleger im vergangenen Jahr hatten die Hebammen nur „Besitzstandswahrung“ erreichen können, aber keine Gleichstellung mit OP-Schwestern. Im Forderungskatalog sind auch die Wünsche der freiberuflichen Hebammen enthalten. Sie verlangen doppelte Hebammengebühren. Denn für eine Hausgeburt (bis zu 13 Stunden) kriegen sie netto 120 Mark, für einen Wochenendbesuch (bis zu 2 Stunden) dürfen sie brutto gerade mal 22 Mark abrechnen. Da hat eine Lok-Führerin doch mehr in der Tasche.

Barbara Debus