betr.: Protest gegen Antisemitismus in der Sowjetunion

Zum ersten Mal in der Geschichte der DDR protestierten jüdische Bürger aus Ost- und West-Berlin öffentlich gegen den zunehmenden Antisemitismus in der Sowjetunion. Aufgerufen zur Kundgebung Unter den Linden hatten die „B'nai B'rith Logen“ (Söhne des Bundes) Berlins, ein Dachverband von vier im Westteil der Stadt wohltätig arbeitenden jüdischen Logen. Unterstützt wurde die Demonstration von den beiden Jüdischen Gemeinden in Ost und West. Am Abend fanden Fürbittgottesdienste in den beiden Synagogen Ryke- und Pestalozzistraße statt. Anlaß der Gebetstunden, der Demonstration und eines auch von Westberliner Politikern unterzeichneten Protestschreibens an die sowjetische Regierung ist die Befürchtung, daß es in Rußland am Schabbat dieser Woche zu pogromähnlichen Ausschreitungen kommen wird. Die national-chauvinistische Pamjat-Bewegung hetzt schon seit Jahren gegen die sowjetischen Juden und findet mit ihrer „antizionistisch-freimaurerischen“ Ideologie immer mehr Zulauf. Täglich mehr sowjetische Juden stellen aus Furcht vor Verfolgungen Ausreiseanträge, alleine in Ost -Berlin sind in den vergangenen beiden Wochen über 200 Menschen angekommen. Im Unterschied zur BRD gewährt die DDR den Flüchtlingen anstandslos Asyl. Zur Kundgebung vor der Sowjetischen Botschaft versammelten sich ungefähr 250 Menschen. Sie trugen Transparente mit deutschen und russischen Aufschriften: „Nie wieder Judenpogrome in der Sowjetunion! Nie wieder Judenverfolgung in der Welt!“ Das mitgebrachte Megaphon fiel aus, der Redebeitrag der Raol Wallenberg Loge wurde über den Polizeilautsprecher übertragen.

aku/Foto: Erik Jan Ouwerkerk