Der Weitwanderweg GTA

■ Über zehn Jahre Erfahrung mit einem Sanfter-Tourismus-Projekt in den italienischen Alpen resümiert Werner Bätzing

Der Weitwanderweg GTA

Über zehn Jahre Erfahrung mit einem Sanfter-Tourismus -Projekt in den italienischen Alpen resümiert

WERNER BÄTZING

ie italienischen Westalpen (Ligurien, Piemont, Aosta-Tal) sind eine strukturschwache Hochgebirgsregion, die in den letzten hundert Jahren mehr als die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren hat. Die touristische Erschließung beschränkt sich hier auf wenige, aber meist große Spekulationsskizentren, von denen die Einheimischen gar nichts haben. Und angesichts des geringen Engagements des italienischen Staates für eine Berggebietsförderung und dem immer größeren Wirtschaftsdruck auf die alpine Landwirtschaft (Italien importiert Milch zu Tiefpreisen aus Bayern, damit können die italienischen Bergbauern nicht konkurrieren) bietet auch dieser Bereich immer weniger Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten.

In dieser schwierigen Situation entstand Ende der 70er Jahre die Idee eines alpinen Weitwanderweges, der als dezentrale und selbstgestaltete Tourismusstruktur einen angepaßten Tourismus in diesen Alpentälern fördern und damit zusätzliche Verdienstmöglichkeiten vor Ort schaffen sollte. Vorbild war dabei der französische Weitwanderweg „Grande Traversee des Alpes/GTA“ vom Genfer See durch die französischen Hochalpen zum Mittelmeer, der Anfang der 70er Jahre entstanden war und inzwischen häufig begangen wurde. Nach ihm wurde das italienische Projekt „Grande Traversata delle Alpi/GTA“ benannt, und seine Konzeption wurde übernommen und der italienischen Realität angepaßt. Dabei wurde auf folgende Dinge besonders geachtet:

-Ein alpiner Weitwanderweg ohne alpinistische Schwierigkeiten, also keine Beschränkung auf eine besonders „sportliche“ Zielgruppe, das heißt ein Angebot an eine sehr breite soziale und Altersgruppe

-Beginn und Ende jeder Tagesetappe liegen bewußt in einem Bergbauerndorf, und die Übernachtungsmöglichkeiten werden von Einheimischen betreut und geführt, denn nur so kann die lokale Bevölkerung direkt von diesem Weg profitieren

-Einfache Gestaltung der Übernachtungsmöglichkeiten (Art Massenlager oder Jugendherberge), weil nur so die Einheimischen die Finanzmittel dafür aufbringen können, ohne von Fremdkapital abhängig zu werden; zugleich bedeutet dies ein touristisches Angebot auch für einkommensschwächere Zielgruppen

-Kein Bau von hochgelegenen Schutzhütten als Wanderstützpunkte (nach dem Vorbild der Alpenvereinshütten) aus ökonomischen Gründen (Fremdkapital erforderlich, kein Bezug zur lokalen dörflichen Ökonomie) sowie aus ökologischen Gründen (Abfall- und Abwasserprobleme, Energie und Verkehrsprobleme usw.)

-Keine Neuanlage von Wegen, sondern Herrichtung der allmählich verfallenden traditionellen Wege (Bauernwege, Saumwege, alte Militärstraßen)

-Einbeziehung der neugeschaffenen Naturparks und Naturschutzgebiete in die Wegführung, ebenso die wichtiger kultureller „Sehenswürdigkeiten“ der lokalen Bergbauernkultur und Umgehung der touristisch erschlossenen Gebiete

-Dezentrale Betreuung und Gestaltung der einzelnen Wegabschnitte durch die betroffenen Gemeinden sowie Unterstützung durch öffentliche Organisation (comunita montana, Provinz, Region)

uf diese Weise wurde ein Konzept entwickelt, das allen Anforderungen eines sogenannten „sanften“, daß heißt „sozial - und umweltverträglichen Tourismus“ entspricht.

Im Jahr 1977 wurde die Associazione GTA als Initiativ- und Dachorganisation mit Sitz in Turin gegründet. Der Anfang war sehr mühsam und zäh: Die ersten Etappen wurden 1979 eingerichtet, 1982 erschien der erste italienische Führer, und erst 1985 war der Weg praktisch in seiner gesamten Länge (Walliser Alpen bis Ligurische Alpen) begehbar. Dabei waren zwei zentrale Probleme zu bewältigen:

1. In den Alpentälern mußten zahlreiche Personen zur Betreuung der GTA-Unterkünfte gewonnen werden (eine lokale Pension oder albergo, sofern vorhanden, oder Umnutzung einer leerstehenden Schule). Im Rahmen der starken Abwanderung hatten aber die aktivsten Persönlichkeiten längst die Alpen verlassen. Ein Klima der kulturellen „Erstarrung erschwerte die Arbeit - nicht überall konnten engagierte Personen gefunden werden.

2. In den Alpen zu wandern (und nicht bloß kleine Spaziergänge vom PKW-Picknickplatz aus zu unternehmen), war damals in Italien ziemlich unüblich, so daß die Associazione GTA erst sehr mühsam diese Form der Freizeitbetätigung propagieren mußte. Die Nachfrage von italienischer Seite war lange Zeit sehr bescheiden.

Hinzu kamen spezifisch „italienische“ Schwierigkeiten, das heißt undurchschaubare bürokratische Strukturen und Prozeduren, durch die immer wieder bereits zugesagte Geldmittel ausfielen oder verschoben wurden: Wege wurden so zu spät neu markiert oder dringende Gebäudeinstandsetzungen unterblieben (so zum Beispiel das Rifugio Alpe del Lago, das 1985 verwüstet wurde und bisher nicht wieder instand gesetzt werden konnte).

Die Verhaltensweise der italienischen Wanderer brachte ein besonderes Problem mit sich: Sie besuchten jedes Jahr nur die jeweils gerade neu eröffneten Wegstrecken - die in den alpinen Zeitschriften immer relativ ausführlich dargetellt wurden - und vergaßen diejenigen vom letzten Jahr völlig. Das brachte die Associazione GTA zu Beginn der 80er Jahre dazu, jedes Jahr möglichst viele neue Etappen einzurichten, weil man nur auf diese Weise italienische Wanderer anzog und Medien-Publizität erreichte. Die GTA-Infrastruktur wurde dadurch innerhalb von drei, vier Jahren übermäßig aufgebläht - die knappen öffentlichen Finanzmittel reichten immer weniger aus, und man fand nicht genügend engagierte Personen vor Ort für die neuen Etappen, was zu Lasten der Weg- und Unterkunftsqualität ging. Im Jahr 1985 korrigierte man dann diese Politik und beschloß, keine weiteren Etappen mehr einzurichten, eine Reihe von Problem-Etappen zu schließen und alle Mittel auf einen durchgehenden Weg zu konzentrieren, anstatt gleichzeitig noch Rund- und Parallelwege anzubieten. Seitdem hat die Qualität der Wege und der Wegmarkierungen und der Unterkünfte (bis auf 2-3 „schwarze Schafe“) ein zufriedenstellendes, teilweise sogar vorbildliches Niveau erreicht.

ewertet man diese zehn Jahre GTA, dann muß es als ein großer Erfolg bezeichnet werden, in etwa sechs Jahren diese Infrastruktur auf dezentrale Weise und auf der Grundlage lokalen Engagements errichtet zu haben. Denn in der gleichen Zeit sind verschiedene landwirtschaftliche Genossenschaftsprojekt kläglich gescheitert! Allerdings war die Überwindung der langen und sehr kritischen Anfangszeit nur dadurch möglich, daß die GTA durch zahlreiche französische und deutsche Wanderer begangen wurde - ohne diese „Unterstützung“ wäre vielleicht auch dieses Projekt gescheitert.

Die gegenwärtigen Probleme liegen vor allem darin, daß die offiziellen Institutionen (einschließlich der Tourismusverbände auf allen Ebenen) die mit der GTA verbundenen Chancen nicht erkennen und diese Form des Tourismus entweder gar nicht (Provinzen Novara und Vercelli im Norden, daher dort derzeit noch einige Probleme mit Wegmarkierungen und Unterkünften) oder nur mit geringen Beiträgen (Provinzen Turin und Cuneo im Süden) unterstützen. Dies ist mit eine Ursache dafür, daß die wirtschaftlichen Auswirkungen der GTA noch bescheiden sind - durch sie ist bisher noch kein einziger Vollzeit-Arbeitsplatz geschaffen worden. Die Übernachtungszahlen liegen derzeit im Durchschnitt bei etwa 500 Übernachtungen/Unterkunft/Jahr, was etwa 5 Personen/Unterkunft/Nacht in der Wanderzeit entspricht. Mit Überfüllung ist noch auf Jahre hinaus nicht zu rechnen.

Trotz dieser geringen ökonomischen Bedeutung stellt die GTA aber heute bereits eine neue Realität in dieser Alpenregion dar: Die Menschen beginnen zu merken, daß die Alternative nicht mehr touristische Spekulationsobjekte oder Abwanderung heißt, sondern daß sich allmählich eine konkrete Alternative abzeichnet. Und dies ist bereits als Erfolg anzusehen.

Da in Italien inzwischen das Beispiel der GTA Schule gemacht hat und verschiedene ähnlich konzipierte Weitwanderwege entstanden sind, plant man jetzt einen Wanderweg durch ganz Italien, genannt „Sentiero d'Italia“ oder einfach „sentierone“. Zu diesem Zweck gilt es, die „Lücke“ zwischen dem GTA-Ende im Anzasca-Tal/Walliser Alpen und den lombardischen Alpen zu schließen. Daher bereitet die Associazione GTA die Verlängerung der GTA im Norden vor (in Form eines großen Kreises durch das Ossola-Tal hin zum Lago Maggiore), die zugleich einen Anschluß an das schweizerische Wegenetz im Wallis und Tessin ermöglichen würde. Allerdings dürfte mit dieser Erweiterung nicht vor 1991 zu rechnen sein.

Informationen über die GTA sowie über die italienischen Weitwanderwege sind erhältlich bei: Initiative der Weit- und Fernwanderer/IWF, Oederstr. 23, 2900 Oldenburg. Der deutschsprachige GTA-Führer Bd. 2 ist im Verlag „Der Weitwanderer“ (Adresse wie IWF) erschienen und kostet DM 24,90.