Das Mittelmeer und der Teelöffel

■ Sanfter Tourismus - der neue Geldbringer für Italien? Werner Raith fragt nach.

Das Mittelmeer und

der Teelöffel

Sanfter Tourismus - der neue Geldbringer für Italien?

WERNER RAITH fragt nach.

in Gespenst geht um im Land, wo die Zitronen blüh'n - es ist das Gespenst des „sanften Tourismus“. Gehört haben alle schon davon, gesehen hat es noch keiner - doch seit feststeht, daß es sich dabei nicht um eine verkappte Form des gefürchteten Rucksacktourismus handelt, stehen zumindest alle, die noch etwas zuverdienen wollen, ganz und gar auf der Seite des Phantasmas. Der Fremdenverkehrsdirektor der Provinz Latina erwartet sich davon, daß „endlich der unverkraftbare August-Boom zugunsten einer ganz, ganz langen Vor- und Nachsaison abgebaut wird“. Sein Kollege aus Rimini begrüßt die neue Mode, weil „damit endlich das Interesse unserer Kunden weg vom Meer und hin zum herrlichen Hinterland gelenkt werden könnte“ (die Algenplage läßt grüßen). Auf Ischia sieht Taxiunternehmer Renato besseren Zeiten entgegen, wenn „die Fremden ihre Autos zu Hause lassen - wir fahren sie viel besser und ortskundiger herum“. Und in Trient hofft Seilbahnbetreiber Mayr nach vier Katastrophenwintern, daß „die Leute künftig auch ohne Schnee den Berg rauffahren, einfach weil sie Höhenluft schnuppern und ein zünftiges Skiwasser trinken wollen“.

egriffsverwirrung, wohin man blickt; und das ist kein Wunder. Seit nahezu vier Jahrzehnten hat sich die Fremdenverkehrsindustrie so überaus erfinderisch beim Bewältigen von Krisen gezeigt, daß selbst auf den ersten Blick restriktive Entwicklungen alsbald nur noch als besonders schlauer Trick zum Heranholen neuer Zahlemann -Scharen gedeutet werden. War es in den 50er und 60er Jahren die Exklusivität des Urlaubs in Rimini, Riccione, Cattolica oder am feinen Lago di Garda, so wendete das Gewerbe die Ökonomie ab Mitte der Sechziger - es grumpelte ja im Sozialen - ins „Demokratische“: Nun sollte jeder sein Rimini haben, zu Billigstpreisen und alles inklusive. Nobelhotels wurden in Miniappartements, gemütliche Familienpensionen in Reihen-Schlafkabinen verwandelt, der Wein nicht mehr vom Produzenten, sondern großenteils vom Wasserhahn gezapft. Die 70er Jahre brachten dann die große Amerikanisierung: Jetzt genügten Meer, Fels, Sonne und gutes Essen nicht mehr, nun begann die „Intensivierung der Ferien“ - Tennis, Reiten, Golf gleich nebenan wurden zur Selbstverständlichkeit, der Swimmingpool im Souterrain und die Wasserrutsche vorm Haus oder der Aquapark etwas weiter draußen folgten, Disneyland und die Mega-Disco breiteten sich aus. Faustregel: nur ja keinen Augenblick dem Nichtstun, der Erholung, dem Nachdenken überlassen, der Fremdling kann nicht nur, er muß all das tun, was er daheim aus Zeitmangel nicht schafft: „Zur Verarbeitung hat er doch Zeit, wenn er zuhause wieder seinen Büroschlaf hält“, so ein Animateure-Ausbilder des Clubs Mediterranee 1978 bei einer Tagung in Abano.

o kommt das neue Wort „sanft“ den meisten Promotoren gerade recht. Man kann es, wenn schon nicht genau definiert, in jedem Fall als Strohhalm verkaufen, um die durch Öko -Desaster und Freßmüdigkeit, Meerüberdruß und Angst vor Hautkrebs nach Sonnengrillen gebeutelte Vergnügungs- und Herbergsindustrien wieder mit Hoffnung zu füllen. Fest steht jedenfalls: „Finanzielle Einbußen darf das Neue, das Softe auf keinen Fall bringen“, so eine Analyse im Magazin 'Kursaal‘ - wobei man durchaus bereit ist, für mehr Geld auch weniger zu arbeiten und wenigen Touristen mehr abzuzapfen. Fest steht auch, daß „niemand daran denkt, aus dem Ferienbetreuungsdienst in eine andere Tätigkeit abzuschwenken, etwa wieder Bauer im Hinterland von Rimini zu werden, wo einst der Großvater gewerkelt hat und die Ländereien heute brach liegen“, dies jedenfalls die Erkenntnis des Grünen Ariano Mantuano aus Rimini. Und fest steht, daß „auch die ausländischen Touristikunternehmen, die ihre Horden alljährlich zum Bräunen, Gleiten, Aperitifen und Bumsen verteilen, nicht die mindeste Lust haben, irgendwelche Ökologien durchzusetzen oder gewachsene Landschafts- und Gesellschaftsgefüge intakt zu lassen“, wie Loretta Papperini aus Cesenatico erkannt hat: „Die setzen derzeit lediglich ihre Marketing-Experten auf die neue Mode an, um herauszufinden, ob sich das mittel- und langfristig ein neuer Boom erzeugen läßt.“ Loretta, Mitbegründerin von „SOS Adria“, kennt sich aus: Ihr Großvater ist einst von seinem Posten als Präsident des Hotelierverbandes zurückgetreten, weil sich alles in den Massentourismus stürzte. „Er hat nicht nur das ökologische, sondern auch das ökonomische Desaster vorausgesehen: doch damals wie heute hat der neue Begriff zuerst allesamt fasziniert.“

bgesehen von der schnellen Instrumentalisierung scheint der Begriff „sanfter Tourismus“ aber auch sonst eher ein totgeborenes Kind, jedenfalls was seine Realisierung gemäß den hehren Vorgaben betrifft: „Umweltverträglich und sozialverantwortlich“, das sei „Soft-Tourismus“, schreibt Ludmilla Tüting in Der neue Tourismus. Rücksicht auf Land und Leute und setzt seufzend hinzu, daß es „viele Jahre gedauert hat, bis man den 'sanften Tourismus‘ kurz und gleichwohl verständlich definieren konnte“. Doch was heißt hier „unmweltverträglich und sozialverantwortlich“? Welcher Tourist stört nicht notwendig die Umwelt, bricht nicht ins Sozialgefüge einer Gemeinschaft ein? Ludmilla Tüting zitiert Beispiele von Ländern, die in einzelne Gebiete eben nur fünfhundert oder sechshundert Gäste pro Jahr hineinlassen, oder Erholungsareale, die bewußt auf Tennisplatz und Swimmingpool verzichten, dafür aber Lehrpfade und Trekking bieten; sie folgen damit Unesco-Empfehlungen und neuen Vorschlägen auch aus bundesdeutschen Expertenzirkeln, etwa dem Starnberger „Studienkreis für Tourismus“ oder dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Doch ist das dann „Tourismus“ - oder eher eine modernisierte Form des alten Gesellenwanderns? „In manchen Gebieten“, hat WWF -Landesvorsitzender Fulco Pratesi festgestellt, „stört schon ein einziger Fremdling ganze Gemeinschaften; in anderen Bezirken, vor allem in Großstädten, benehmen sich auch die dortigen Einwohner nicht anders als Touristen, und da muß man das Problem sowieso von einer ganz anderen Warte angehen.“ Nationalökonomen weisen darüber hinaus auch darauf hin, daß all das, was in den Vorschlägen der internationalen Kommissionen und Forschungsinstitute unter „sanft“ subsumiert ist, nicht einmal ein Zehntel der derzeit in fremdenverkehrsbelasteten Ländern im Tourismussektor Beschäftigten ernähren könnte. In Italien sind derzeit mehr als 18 der 45 Millionen Arbeitstätige mittelbar oder unmittelbar von diesem Sektor abhängig; das Bruttosozialprodukt wird zu einem Fünftel davon bestritten, der nichtindustrielle Bereich gar zu 60 Prozent.

„Tatsächlich ist der Soft-Tourismus, so schön sich das alles anhört, vorwiegend etwas für Regionen, die noch keinen Tourismus haben“, sagt der Staatssekretär im „Ministerium für Südfragen“, Giuseppe Galasso: „Bei uns sind die Dimensionen des Fremdenverkehrsgewerbes so immens, daß die ökonomische Frage so ziemlich alles erdrückt.“ Galasso, der seit 1984 mit einem inzwischen weltweit bewunderten Gesetz die Tourismusspekulation zu bändigen suchte und die gesamte italienische Küste - mehr als 7.000 Kilometer - dreihundert Meter ins Land hinein von jeder weiteren Bebauung ausschloß, sieht denn auch „nur in einer behutsamen Umgruppierung, Umlenkung und Neustrukturierung des Fremdenzu- und abflusses“ eine wirkliche Chance: „Wir haben hier Gegenden, speziell in Unteritalien, die wirklich nur mit einem verstärkten Fremdenverkehr überhaupt noch eine Zukunftschance haben, weil sie weder Bodenschätze noch verkehrstechnische Attraktivität für Firmenansiedlungen bieten. Ihnen einen zumindest mit der Natur verträglichen Tourismus zu verschaffen, streng quantitativ begrenzt und sorgsam von jeglicher Spekulation geschützt, und gleichzeitig auch den Administratoren der heute überlaufenen Zentren einen wenigstens teilweisen Abbau ihrer Überkapazitäten schmackhaft zu machen - das wäre schon was.“

Viel Hoffnung hat Galasso allerdings nicht: „Der Druck vom Ausland her ist zu groß, die längst nicht mehr realisierbare, aber unausrottbare Vorstellung der Leute in den Tourismuszentren, in drei Monaten Arbeit soviel zu verdienen wie sonst durch zwölf Monate Buckeln auf dem Feld, wirkt eher in entgegengesetzte Richtung.“ Und so hält Galasso die Idee mit dem sanften Tourismus für „zwar rührend, aber ungefähr so realistisch, als wolle man das Mittelmeerbecken mit einem Teelöffel trockenlegen“.