Chinas KP probiert neue Propaganda

Mustersoldat Lei Feng kommt bei den Pekingern nicht mehr an /Die chinesische KP will Propaganda an „aktueller Situation“ ausrichten Zum Gedenken des 4. Mai 1919 hielt Generalsekretär Jinag Zemin eine Lobrede auf Chinas Jugend und Intellektuelle  ■  Aus Peking Boris Gregor

Der Mann ist im Reich der Mitte bekannter als manch Popsänger oder Pinpongspieler: Lei Feng. Soldat einer Pionierkompanie, der sein Leben Volk und Partei widmete - in dem er zum Beispiel seinen Kameraden die Schuhe putzte und alten Leuten die Kohlen trug. Der große Vorsitzende Mao hatte 1963, ein Jahr nachdem der 22jährige schmächtige KP -Samariter in der grünen Uniform seinen LKW gegen einen Strommast gesetzt hatte und dabei ums Leben gekommen war, die Devise ausgegeben: „Vom Genossen Lei Feng lernen“ seither soll das Volk ebenso aufopferungsvoll und der kommunistischen Sache hingegeben an die Arbeit gehen.

Die Zeitungen sind voll von Artikeln über den Propaganda -Helden der sechziger Jahre, an den schwarzen Brettern der Betriebe hängen Zeichnungen, die das Leben des jungen Mannes illustrieren, der Kinderfunk sendet pausenlos vom guten „Onkel Lei Feng“. Doch für viele Bürger ist der beschworene Geist von Lei Feng mehr lächerliches Gespenst als kraftspendender ideologischer Gefährte: „Denen da oben fällt nichts Neues mehr ein“, lautet der Tenor der Kommentare in Peking.

Daß Lei Feng kontraproduktiv wirkt, hat jetzt offensichtlich ein führender Funktionär erkannt: Das für Ideologie und Propaganda zuständige Politbüromitglied Li Ruihan, ehemaliger Bürgermeister von Tianli, nach dem Rausschmiß des liberalen Parteichefs Zhao Ziyang ins oberste Führungsgremium gewählt, versuchte deshalb jüngst gegenzusteuern. Vor Redakteuren der 'Volkszeitung‘ erklärte er, es sei „nicht gut“, in der Propaganda von „aktueller Situation und neuen Bedingungen“ abzuweichen. Nicht nur Lei Fengs Selbstlosigkeit zähle, sondern auch Leistungsprinzipien. Propaganda müsse die „Stimmung“ der Bevölkerung berücksichtigen.

Selbst Generalsekretär Jiang Zemin scheint sich das zu Herzen genommen zu haben und übte gestern an der offizielen Gedenkfeier zum 4.Mai 1919, als chinesische Intellektuelle erstmals Forderungen nach politischen Freiheiten formulierten, vor 3.000 Jugendlichen Selbstkritik. Zwar seien die „Schwächen und Verfehlungen“ mancher unter den rund 20 Millionen chinesischen Intellektuellen auf liberal -bourgeoise Einflüsse aus dem Westen zurückzuführen, doch die Ursache dafür liege „in Irrtümern, die die Partei in ihrer Arbeit beging“. „Die jungen Leute dürfen nicht verantwortlich gemacht werden. Die große Mehrheit unter ihnen liebt das Vaterland, das Volk und den Sozialismus“, wußte Jiang.