Der Weg zur 35-Stunden-Woche ist jetzt frei

Der Tarifkompromiß in der Metallindustrie stellt die Weichen / Die Einigung kam nachts um kurz nach drei / GewerkschafterInnen waren zufrieden / Arbeitgeber taten sich schwerer / Bei der Wochenendarbeit blieb die Gewerkschaft hart / IGM Stuttgart als Vorreiter bestätigt  ■  Aus Göppingen Erwin Single

Als am frühen Morgen kurz nach sechs Uhr Walter Riester und Dieter Hundt ermüdet und mit geröteten Augen vor die wartenden JournalistInnen traten, war ihnen die Erleichterung sichtlich anzumerken. „Nach zähen Verhandlungen haben wir in wesentlichen Punkten Kompromisse und Einigungen erzielt, die das Gerippe für den neuen Tarifvertrag bilden werden“, erklärte Hundt, Verhandlungsleiter der baden-württembergischen Metallarbeitgeber. Der Stuttgarter IG-Metall-Bezirksleiter Riester gab dann das Ergebnis bekannt: die 35-Stunden-Woche kommt in zwei Schritten bis 1995, und es gibt sechs Prozent mehr Lohn und Gehalt. Der Durchbruch bei den diesjährigen Metalltarifverhandlungen war geschafft.

Bis kurz nach drei hatten die neunköpfigen Delegationen in der Göppinger Stadthalle verhandelt. Dann zog sich die Verhandlungsmannschaft des baden-württembergischen Verbands der Metallindustrie (VMI) noch einmal zurück, um sich die Zustimmung von Gesamtmetall und dessen Präsident Werner Stumpfe zu holen. Drei Stunden dauerte das Warten. Währenddessen informierte Riester seine versammelte Verhandlungskommission. Bei den Metallern kam Beifall auf; der erzielte Kompromiß wurde durchweg als „gutes Ergebnis“ gewertet.

Daß überhaupt eine Einigung zustande kam, hatte noch wenige Stunden zuvor nicht nur IG-Metall-Vize Klaus Zwickel bezweifelt. Der Frankfurter Tarifexperte, nach Göppingen geeilt, um die „Entscheidungen mit vorzubereiten“, signalisierte am Abend, wo sich die Gewerkschaften „weder für Geld noch für gute Worte“ auf Zugeständnisse an die andere Seite einlassen würden: beim arbeitsfreien Wochenende und damit dem Verlangen der Arbeitgeber, die Maschinenlaufzeiten zu verlängern.

Die Gewerkschaft konnte sich hier durchsetzen; die Regelungen zur Samstags- und Sonntagsarbeit bleiben unverändert. Dafür mußten die Metaller zwei Kröten schlucken: Der Abschluß sieht vor, daß ein Teil der Belegschaften - maximal achtzehn Prozent - bis zu vierzig Wochenstunden arbeiten kann. Der VMI hatte im Hinblick auf Facharbeitermangel längere Arbeitszeiten gefordert. Auch der von der IG Metall verlangte „Personalausgleich“ wurde gekippt. Die Metaller wollten damit verhindern, daß weitere Arbeitszeitverkürzungen, wie in der Vergangenheit, durch Mehrarbeit kompensiert werden.

Im VMI-Lager ging die Göppinger Kompromißlinie nicht so glatt über die Bühne. Gesamtmetall-Präsident Stumpfe wollte am Abend in Stuttgart nicht von seiner bisherigen Haltung abrücken. Leicht ironisch kommentierte er: „Dies ist die große Stunde des Dieter Hundt.“ Hundt war mit VMI -Geschäftsführer Heisler und Daimler-Arbeitsdirektor Gentz zu Stumpfe gefahren, um diesen von seiner Verhandlungslinie zu überzeugen. Auf Spannungen innerhalb des Arbeitgeberlagers angesprochen, meinte IBM-Arbeitsdirektor Ihno Schneevoigt, es gebe durchaus „unterschiedliche Meinungen“ in anderen Landesverbänden. Hundt erklärte am Morgen, bei Gesamtmetall sei der Kompromiß „zurückhaltend aufgenommen“ worden; für die heute in Stuttgart stattfindenden Beratungen der Arbeitgeber rechne er mit einer „kontroversen Diskussion“.

Walter Riester setzte ganz auf eine Einigung in dem gewichtigen Tarifbezirk Nordwürttemberg/Nordbaden. Als die Verhandlungen in der Nacht auf des Messers Schneide standen, zog er nochmals an. Die Verhandlungen sollten durchgezogen werden - auch ohne Spitzengespräch zwischen Steinkühler und Stumpfe.

Auf die Frankfurter Zentrale war Riester ohnehin nicht gut zu sprechen: Die gezielten Indiskretionen über eine zu späte Kündigung der Tarifverträge in Südwürttemberg von dort an das Nachrichtenmagazin 'Spiegel‘ führten zu einem kleinen Eklat. Es ist eine kleine Genugtuung für die Stuttgarter Bezirksleitung, mit der Einigung wieder einmal Vorreiter in der IG Metall gewesen zu sein.